Die Teuerung ist in der Schweiz im November zurückgegangen. Sie liegt nur 1,4 Prozent über dem Vorjahresmonat. Zur Überraschung vieler Fachleute, die einen Anstieg der Inflation erwartet haben.

Was ist Inflation?

Sarah Lein, Fachleute prognostizierten eine gleichbleibende Inflation. Warum lagen sie so daneben?
Eine Komponente der Teuerung, die sehr schwierig abzuschätzen ist, sind die Mieten. Sie machen 20 Prozent des Warenkorbs des Landesindex der Konsumentenpreise aus, der die Inflation misst. Marktmieten kann man relativ gut beobachten, aber Bestandesmieten, also die Miete von Menschen, die in ihren Wohnungen bleiben, werden typischerweise über Umfragen erhoben. Das ist teuer und aufwendig, deswegen wird das nur jeden dritten Monat gemacht. Und weil der Referenzzinssatz erhöht wurde, ging man davon aus, dass die Mieten stärker steigen würden als in den Vormonaten. Das Ausmass des Anstiegs war aber schwierig abzuschätzen und fiel etwas tiefer aus als erwartet. Auch waren im November die Preise anderer Güter und Dienstleistungen im Vergleich zum Oktober im durchschnittlichen Warenkorb der Schweizer Konsumenten sogar leicht rückläufig.

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Warum geht die Inflation denn jetzt zurück?
Weil die Importpreise tiefer sind als noch vor einem Jahr, also im November 2022. Die schwanken im Vergleich zu den anderen Produkten stärker, weil sie vom Wert des Schweizer Frankens beeinflusst sind. Wenn der Schweizer Franken gegenüber den Währungen anderer Länder stärker wird, können wir günstiger aus dem Ausland importieren. Die Preise der Importe gehen also zurück. Das hat uns in der Zeit, als die Inflation im Ausland höher war, sehr geholfen.

Zur Person

Sarah Lein ist Professorin für Makroökonomie und Geldpolitik an der Universität Basel. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen monetäre Ökonomie, Konjunkturzyklen und internationale Makroökonomie.

Sarah Lein
Quelle: Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät/Universität Basel

Warum liegt die Inflation in der Schweiz so weit unter derjenigen in der EU, wo sie im Oktober 3,6 Prozent betrug?
Die Schweizerische Nationalbank hat früh reagiert und die Inflation gar nicht erst so hoch werden lassen. In den USA und in der Eurozone haben die Zentralbanken relativ lange gewartet, obwohl die Inflation schon sehr stark am Steigen war. Weil man erst spät reagiert hat, musste man die Zinsen relativ stark und schnell erhöhen. Das passierte in der Schweiz nicht in diesem Ausmass. Und weil wir hier eine eigene Währung haben, kann die Nationalbank der importierten Inflation gut gegensteuern, indem sie den Schweizer Franken relativ zu ausländischen Währungen teurer macht und damit die Importinflation abmildert. Zudem werden viele Preise vom Staat beeinflusst und passen sich nicht unmittelbar an den Markt an. So hat man zum Beispiel eine Preiserhöhung für Elektrizität in die Zukunft verschoben. Dadurch kamen nicht alle Preiserhöhungen auf einmal, wie es im Ausland der Fall war.
 

 

Welche Produkte sind jetzt billiger geworden?
Im Vergleich zum Vormonat sind das Lebensmittel, alkoholische Getränke, Tabak und Verkehr – dazu zählt Treibstoff, aber auch der Kauf von Autos.


Wenn Lebensmittel billiger werden, warum hat der sogenannte Café-crème-Index 2023 trotzdem ein Rekordhoch erreicht? In der Deutschschweiz zahlt man im Durchschnitt Fr. 4.49 für einen Café crème und damit 10 Rappen mehr als im Vorjahr.
Im Vergleich zum Vorjahr sind die Preise von Nahrungsmitteln immer noch 3 Prozent höher. Sie werden auch zukünftig wahrscheinlich nicht wirklich spürbar günstiger werden, sondern einfach nicht mehr stärker ansteigen. Das wird oft verwechselt, wenn wir über die Wachstumsrate von Preisen sprechen. Ein Rückgang der Inflation heisst nicht, dass die Preise zurückgehen. Solange die Inflationsrate über null liegt, steigen sie weiter, einfach weniger stark.


Wird die Inflation noch weiter zurückgehen?
Die Chancen stehen gut, dass sie sich nächstes Jahr wieder auf einem tieferen Niveau einpendelt. Natürlich könnte es sein, dass, wenn die Mieten oder der Strompreis erhöht werden, sich auch die Inflation nochmals etwas aufbäumt. Aber die zugrunde liegende Dynamik stimmt mich optimistisch.


Wir sind also über den Berg «Teuerungsschock»?
Man weiss natürlich nie, was für Preisschocks noch kommen. Aber wenn es keine neuen unvorhersehbaren Schocks gibt, dann haben wir die global starke Teuerung in der Schweiz gut überwunden.


Welchen Einfluss auf die Teuerung hat der Referenzzinssatz Mieten Referenzzinssatz bleibt bei 1,75 Prozent – was heisst das? , der kürzlich erneut auf jetzt 1,75 Prozent erhöht wurde?
Die Koppelung der Mieten an den Referenzzinssatz ist aus geldpolitischer Sicht ein Paradox. Denn die Nationalbank erhöht eigentlich die Zinsen, um die Inflation zu senken. Bei den Mieten passiert aber genau das Umgekehrte. Wenn der Referenzzinssatz erhöht wird, steigen die Mieten stärker. Deshalb bin ich der Meinung, dass die Nationalbank, wenn die Inflation nur aufgrund der Mieten ansteigen würde, den Leitzins nächstes Jahr nicht nochmals anheben sollte. Das würde die Inflation kurzfristig sogar eher erhöhen als senken.