Es ist Mitte Mai und damit Anfang Grillsaison, als ein Hilferuf aus einer kleinen Aargauer Gemeinde den Beobachter erreicht. Es geht, wie so oft in solchen Fällen, um die Freiheit des Einzelnen in den starken Armen des Staats. Hier das, was sich zutrug.

Herr Santori, Pensionär und Stockwerkeigentümer einer Wohnung in einem Wohnblock, ist ein geselliger Typ. Eigentlich heisst er anders – er möchte anonym bleiben, es gehe ihm aber ums Prinzip. Im Garten hätten frühere Hausbewohner vor 45 Jahren, so erzählt er, einen Sitzplatz eingerichtet. Dort, schön im Schatten, sitze man seither im Sommer zusammen, es werde heiter grilliert. 

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Bis plötzlich der Kanton um die Ecke bog. Der Sitzplatz, eine Gesamtkonstruktion aus Bodenplatten, einem kleinem Gartenhaus sowie einer Treppe, befinde sich zu nahe am Wald. Ausserdem liege keine Bewilligung vor. Die Oase müsse weg. 

Ist der Wald an allem schuld?

Herr Santori staunt. Als der Grillplatz entstand, seien die Büsche noch klein gewesen, sagt er. In der Zwischenzeit, immerhin 45 Jahre lang, tat die Natur, was die Natur eben tut, wachsen nämlich. Und weil da nun Wald sei, wo früher Büsche standen, soll jetzt der Grillplatz verschwinden? 

Die Hausgemeinschaft beriet sich. Rechtsmittel wurden erwogen. Es gab einen Ortstermin mit der Behörde, man schaute sich alles an. Vergeblich. Der Platz muss weg. 

Wuchs Herrn Santori und seinen Grillkollegen die Sache buchstäblich über den Kopf? Ist der Wald an allem schuld?

Nachfrage beim Kanton – und siehe da: Ja, der Aargauer Wald hat sich bis 2019 an heimtückischen Landnahmen beteiligt. An der Causa Grillplatz ist er aber unschuldig. Doch der Reihe nach. 

Waldgrenzplan macht alles klar

Früher sorgten der Wald und seine Begleiterscheinung, das natürliche Wachstum, immer wieder für rote Köpfe. Er wuchs nämlich an den Rändern in Wiesen oder Äcker hinein. Und wenn dort 15 Jahre lang nichts getan wurde, dann wurde diese Fläche –  in der Sprache der Planungsbehörden – «als Wald ausgeschieden und so dauerhaft einer anderen Nutzung entzogen». Das heisst: Der Wald frass Freifläche.

Dieser «dynamische Waldbegriff» sorgte jedoch für Rechtsunsicherheit. Und Aufwand. Dauernd mussten Waldgrenzen nachkontrolliert, zurückgestutzt und mit früheren Plänen verglichen werden. Darum gab es 2019 einen neuen Waldgrenzplan und aus dynamischen wurden statische Waldgrenzen. Alles wurde neu vermessen, ein riesiger Aufwand. Luftbilder wurden gemacht, Laserscanning kam zum Einsatz, es gab Feldbegehungen. 

Dann wurde alles akribisch protokolliert. Wo Wald war, war jetzt offiziell Wald. Wo Acker, da Acker. Dazwischen: das sogenannte «Pionierstadium», eine Übergangszone zwischen Freifläche und Wald. Ist es nun so, wie Herr Santori vermutet: Wurde der Sitzplatz hinter dem Haus vom Wald «aufgefressen»?

Bewilligung fehlt

Nein, sagt Giovanni Leardini, Sprecher des Departements für Bau, Verkehr und Umwelt des Kantons Aargau. «Gestützt auf die verfügbaren Akten und den Sachverhalt vor Ort (Luftbilder, Baumbestand) wurde festgestellt, dass bereits bei der Erstellung des Sitzplatzes Ende der Siebzigerjahre im fraglichen Perimeter Wald bestanden haben dürfte.»

Es handle sich hier also nicht um das vermutete «Einwachsen». Der Platz sei schon damals nicht bewilligungsfähig gewesen. Eine Bewilligung wurde jedoch nie eingeholt. Der Platz wurde, wie damals wahrscheinlich üblich, einfach erstellt. 

Dieses «natürliche Wachstum» eines Sitzplatzes im Kanton Aargau flog auf, als im Zuge der neuen Vermessung Präzision Einzug hielt. Der Platz wird zurückgebaut. Über einen neuen Standort muss sich die Hausgemeinschaft noch beraten. Der Wald ist unschuldig.