«Ekel und Furcht» – Organisationen kritisieren Schweiz
Ein Drittel der Asylgesuche in der Schweiz stammt von Minderjährigen. Diese würden nicht kindergerecht untergebracht, beklagen Fachleute.
Veröffentlicht am 19. Februar 2024 - 14:17 Uhr
Über 30’000 Asylgesuche gab es 2023 in der Schweiz. Das zeigt die neue Asylstatistik, die das Staatssekretariat für Migration Mitte Februar publizierte. Rund 12’500 Asylgesuche stammen von Minderjährigen.
Kinder machen also ein Drittel der Asylsuchenden aus. Einige von ihnen fühlen sich auf Fluchtwegen in Europa in Gefahr, heisst es bei der Nichtregierungsorganisation Save the Children. Sie erleben oft Gewalt und machen traumatische Erfahrungen. Einmal in der Schweiz angekommen, müssen psychisch belastete Kinder besonders geschützt werden.
Das Problem? «Das Asylsystem der Schweiz ist primär auf Erwachsene ausgerichtet, was die Bearbeitung von Gesuchen, die Unterbringung und die Betreuung angeht», sagt Nina Hössli, Leiterin der Schweizer Programme von Save the Children. Unterbringung und Betreuung in Asylunterkünften würden den Schutzbedürfnissen dieser Kinder oft nicht gerecht – trotz Bemühungen auf Bundes- und kantonaler Ebene.
Ekel und Furcht
Kinder teilten sich oft ein Zimmer mit der ganzen Familie oder sogar mit weiteren Familien. Und es fehlten Räume für Hausaufgaben oder Spielzimmer. «Einige Kinder ekeln sich vor sanitären Anlagen, die sie mit vielen anderen Personen teilen müssen – und fürchten sich auch vor Fremden in der Unterkunft», so Hössli.
Aber auch die Isolation sei ein Problem: «Viele Asylunterkünfte sind abgelegen.» Kinder haben dann ausserhalb der Unterkunft keinen Zugang zu Bildungs- und Freizeitangeboten. Viele würden sich aber ein möglichst normales Leben und den Besuch der normalen Volksschule wünschen, erklärt Hössli. Problematisch sei auch, dass Familien mit Kindern teils längerfristig in umfunktionierten Messe- oder Turnhallen oder in unterirdischen Anlagen untergebracht würden.
«Für unbegleitete Minderjährige gibt es klarere Standards», kritisiert Hössli – manche Probleme beträfen deshalb solche Kinder stärker, die mit ihren Eltern einreisten.
Zudem sei die Situation nicht überall gleich. Die Standards in den Asylunterkünften variierten stark. Denn: Unterschieden wird zwischen Asylzentren des Bundes und solchen, die die Kantone betreiben.
Kritik von verschiedenen Seiten
Save the Children ist mit der Kritik nicht allein: So zeigte sich etwa die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter besorgt über die Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen in Rückkehrzentren. Auch Empfehlungen des Kinderrechtsausschusses der Vereinten Nationen an die Schweiz betreffen die Asylverfahren.
Hössli von Save the Children fordert, dass im Asylbereich nicht weiter gespart wird und Massnahmen zum Schutz von Kindern verstärkt werden. «Es braucht mehr Ressourcen und Fachpersonal – und gute Standards für unbegleitete Minderjährige und Familien mit Kindern.»
Was die Finanzen betreffe, seien dem Staatssekretariat für Migration gewissermassen die Hände gebunden, sagt dessen Mediensprecherin Magdalena Rast: «Das ist die Zuständigkeit des Parlaments.»
Zudem verteidigt sie die Praxis in den Asylzentren des Bundes: «In allen Zentren sind kinderfreundliche Räume mit Spielsachen vorhanden.» Betreuungsteams würden regelmässig Spiel- und Entwicklungsaktivitäten anbieten. Schulpflichtige Kinder könnten im Zentrum die Grundschule besuchen. Doch alle Zentren würden auch Aktivitäten ausserhalb anbieten.
Sie werden auch unter der Erde untergebracht
Unbegleitete Minderjährige würden von Erwachsenen getrennt untergebracht, sagt Magdalena Rast – andere Kinder zusammen mit ihrer Familie. «Aufgrund der in den letzten Jahren stark angestiegenen Asylgesuche mussten zusätzliche Unterkünfte eröffnet werden.»
Die unterirdische Unterbringung von Kindern werde wenn immer möglich vermieden. Allerdings: «Aufgrund der prekären Unterbringungssituation, insbesondere im Herbst 2023, konnte das nicht immer verhindert werden.» Es gebe aber immer eine oberirdische Tagesstruktur für Kinder.