Mehr Schutz vor häuslicher Gewalt – aber nicht genug
Wer daheim misshandelt und geschlagen wird, soll sich trennen können, ohne die Aufenthaltsbewilligung zu verlieren. Die Organisation Brava kritisiert den Bundesrat.
Veröffentlicht am 1. Dezember 2023 - 16:40 Uhr
Alina wird von ihrem Mann Thomas geschlagen. Regelmässig und oft blutig. Doch sie kann sich nicht von ihm trennen, denn wenn Alina und ihre Kinder Thomas verlassen, droht ihnen die Abschiebung. Alina ist Ausländerin. Ihre Aufenthaltsbewilligung hängt von ihrem Schweizer Ehemann ab.
Der Beobachter hat im August die Geschichte von Alina, die eigentlich anders heisst, aufgeschrieben. Frauenorganisationen fordern seit langem, dass Ausländerinnen und Ausländer besser vor ihren gewalttätigen Ehepartnern geschützt werden. Pia Allemann von der Frauenberatungsstelle BIF begleitet immer wieder ausländische Frauen, die zu Hause misshandelt werden: «Wenn wir den Betroffenen die rechtliche Situation erklären und sie erfahren, dass sie ausgeschafft werden können, wenn sie sich von ihrem gewalttätigen Mann trennen, kehren viele zum Täter zurück.»
Das soll sich jetzt ändern. In einer Initiative, die in der Wintersession ins Parlament kommt, fordert die Staatspolitische Kommission des Nationalrates, dass das Ausländerrecht geändert wird. Wer von häuslicher Gewalt betroffen ist, soll keine Ausweisung befürchten müssen. Zwar gibt es bereits heute eine Härtefallregel, welche die Opfer vor der Abschiebung schützen soll. Die Initianten kritisieren jedoch, dass diese sehr restriktiv gehandhabt wird und nicht alle Personen schützt.
Der Bundesrat gab von seiner Seite her Ende November grünes Licht. Auch er will die Härtefallregelung ausweiten.
Das Gesetz will auch die Kinder schützen
Heute hat nur Anspruch auf eine rechtliche Aufenthaltsregelung, wer mit einem Schweizer, einer Schweizerin oder einer Person mit C-Ausweis verheiratet ist. Neu soll der Anspruch für alle Aufenthaltskategorien gelten, wenn die Trennung wegen häuslicher Gewalt erfolgt.
Zudem soll der Begriff «eheliche Gewalt» durch «häusliche Gewalt» ersetzt werden. So soll das neue Gesetz nicht nur die Ehefrauen und Ehemänner schützen, sondern auch ihre Kinder. Auch Personen, die in einer eingetragenen Partnerschaft oder im Konkubinat leben, sollen vor einer Ausweisung geschützt werden.
Eine weitere Änderung ist, dass die Dokumentation von Beratungsstellen und Frauenhäusern stärker gewichtet wird. Die Migrationsdienste, die einen Entscheid fällen, müssen neu deren Berichte einfliessen lassen.
Brava fordert drei Jahre Zeit
Die Non-Profit-Organisation Brava, die sich für gewaltbetroffene Frauen einsetzt, ist sehr froh, dass der Bundesrat die parlamentarische Initiative unterstützt. Nur in einem Punkt ist Sim Eggler, verantwortlich für die politische Arbeit, nicht einverstanden.
Brava fordert, dass die gewaltbetroffenen Personen drei Jahre Zeit bekommen, sich nach der Trennung zu integrieren. Zum Beispiel, wenn die Betroffenen kurz nach der Trennung Sozialhilfe beziehen, dürfe dies nicht zu einem Entzug der Aufenthaltsbewilligung führen. «Die Gewaltsituation kann die Integration erschweren», sagt Eggler. Der Bundesrat ist anderer Meinung. Er hält fest, dass die Integrationskriterien wie Sprache oder wirtschaftliche Selbständigkeit für alle gelten sollen, die in der Schweiz leben möchten.
Das letzte Wort hat das Parlament. In der kommenden Wintersession entscheidet der Nationalrat, ob und in welcher Form er die Ausweitung der Härtefallregel unterstützt.