Kommentar zur Rassismus-Debatte
Symbolpolitik hilft nichts
Der Zürcher Stadtrat entfernt historische Namen von Häusern, weil er sie für diskriminierend hält. Wem nützt das? Ein Kommentar von Beobachter-Redaktor René Ammann.
Veröffentlicht am 23. April 2021 - 12:15 Uhr
Darf man keinen Menschen mit dunkler Hautfarbe ehren und würdigen? Und das auch viele Jahrhunderte nachdem sein Name als «Mohr» in den Türsturz aus Marmor gemeisselt wurde wie im Zürcher Niederdorf? Und das – auch hier gilt die Unschuldsvermutung – in bester Absicht?
Im Mittelalter wies der Hausname oft auf den Ort hin wie «Zur Felsenegg» oder «Zum Feigenbaum». Auf Tiere wie «Zur Henne» oder Gewürze wie «Zum Rosmarin». Auf die Tätigkeit wie «Zur Schmitte» und «Zum Barfüsser», einem Mönch. Oder man nannte das Haus «Zum Mohr» – nach den Mauren oder nach Caspar, einem der Heiligen Drei Könige. Oder nach Maurice, dem Heiligen der Soldaten und der Tuchweberinnen.
Der Soldat, der zum Heiligen Mauritius werden sollte, kam ums Jahr 300 unserer Zeitrechnung aus Ägypten ins Unterwallis. Er sollte mit seiner Truppe gegen die Christen kämpfen. Selbst Christ, verweigerte er seinem Auftraggeber den Befehl. Der Auftraggeber liess 6600 Mann, einen nach dem anderen, töten. Er war ein römischer Kaiser.
Die Legende dahinter
Auf den Gräbern der Männer wuchs Saint-Maurice. Eine riesige Abtei samt Dorf zwischen Montreux und Martigny. Sie besteht seit über 1500 Jahren. Der Christ aus Ägypten wurde wegen seiner Standhaftigkeit als Märtyrer verehrt. Aus Mauritius wurde Maurice, aus dem französischen Maurice wurde der deutsche Mohr.
Von Saint-Maurice aus verbreitete sich die Legende in Europa. Für ihn schnitzte man Statuen. Apotheken von Berlin über Graz bis Stein am Rhein wählten einen «Mohren» als ihren Schutzheiligen. Oder sie weihten ihm einen «Mohrenbrunnen» wie in Schaffhausen. Die meisten Leute hatten zu jener Zeit in Mitteleuropa vermutlich nie einen dunkelhäutigen Menschen erblickt. Das Konzept «Rassismus» existierte nicht, aber die Furcht vor Fremdem, die zeitweise in Gewalt umschlug.
«Zeitzeugnisse wie Inschriften oder Malereien zu zerstören, ist ein Stellvertreter-Scharmützel. Es ist Pflästerli-Politik.»
René Ammann, Beobachter-Redaktor
Dann kam die Umdeutung durch die Intellektuellen in den Städten. Sie greifen bei einem Wort wie «Mohr» zum Messer wie der römische Kaiser, als Maurice sich nicht beugen wollte. Die deutsche Politikerin Sahra Wagenknecht wirft ihnen vor, sie lebten «in der Filterblase des eigenen Milieus».
Gut situiert, begegnen sie den weniger Begünstigten im realen Leben kaum noch, allenfalls «in Gestalt preiswerter Servicekräfte, die ihre Wohnungen putzen, ihre Pakete schleppen und ihnen im Restaurant das Sushi servieren». Die weniger Begünstigten, das sind oft Menschen mit dunkler Hautfarbe.
Der Rassismus-Hammer
Statt deren Lage und die Lage aller Leute zu überdenken und zu verbessern, die wegen Corona in Schwierigkeiten sind, greift der Zürcher Stadtrat mitten in der Pandemie zum Hammer «Rassismus». Kein Mensch von Verstand setzt sich für Rassismus ein. So schlägt der Stadtrat auf längst Tote ein, die wehren sich am wenigsten. Und er haut erst noch auf den Falschen ein, einen dunkelhäutigen Heiligen.
Als links galt das Ziel, weniger Begünstigte «vor Armut, Demütigung und Ausbeutung zu schützen», so Wagenknecht in ihrem Buch «Die Selbstgerechten». US-Bürgerrechtler Martin Luther King habe sich weniger dafür interessiert, wie man Schwarze nennt, «als dafür, in welchen sozialen Verhältnissen sie leben». Wenn man Wörter wie «Mohr» entfernt, profitiert davon kein einziger Mensch mit dunklerer Hautfarbe.
Zeitzeugnisse wie Inschriften oder Malereien zu zerstören, ist ein Stellvertreter-Scharmützel. Es ist ein Akt, der auch Restauratorinnen die Tränen in die Augen treibt. Es ist Pflästerli-Politik. Am besten bringt der Zürcher Stadtrat am Haus eine Erklärungstafel an, um Missverständnisse auszuräumen, und deckt den Namen mit Wundpflaster ab. Das kann man entfernen, wenn der Wind sich gedreht hat. Und wenn die Demütigungen der weniger Begünstigten aufgehört haben.
7 Kommentare
Generell bei Rassismus Artikeln schaue ich, wer diesen geschrieben hat. Hier ein weisser Mann. Wie Tupoka Ogette sagt: es gibt keine rassismusfreien Räume, auch René ist rassistisch sozialisiert und denkt sich hier eine Meinung zusammen, ohne selber betroffen zu sein. Viel wichtiger wäre es, Empathie zu zeigen, und zuhören, was Schwarze Personen fordern und empfinden, wenn sie M-Statuen sehen. (Die die ich kenne sagen, es sei skandalös und herabwürdigend, dass sie noch stehen). Wir können und müssen gleichzeitig kleine und grosse Antirassismus Taten tun, das Entfernen von rassistischen Gebäuden wird Rassismus nicht entfernen. Er existiert seit 500 Jahren. Aber nur weil es nicht den gesamten Rassismus abschafft heisst es nicht, dass wir es noch stehen lassen, wenn wir doch wissen, dass es Leute so verletzt. Schade, dass der Beobachtet keine Schwarze Redaktor*in hat, die hier etwas kluges schreiben kann, oder ein antirassistischer Redaktor*in, die Schwarzen Menschen zugehört hat.
Sehr guter Kommentar. Ich denke, würde es den Stadtmüttern* tatsächlich um die Bekämpfung des Rassismus gehen, wären sie echte Antirassisten, würden sie das genaue Gegenteil wollen: Die geschichtlichen Spuren überall visualisieren, damit man mit den Zusammenhängen von rassistischen Tätigkeiten und rassistischen Folgen innerhalb unserer Geschichte täglich konfrontiert würde. Nur Konfrontation bringt die Menschen zum Denken und zum Handeln. Versteckt und eliminiert man Dinge, verdrängt man sie und erschwert die Auseinandersetzung mit ihnen extrem. Mit verstecken kann man im Leben mit nichts umgehen, dass man überwinden will.
Die Absurdität dieser Symbolpolitik zeigt sich besonders deutlich am Beispiel von Andrew Onuegbu, der in Deutschland in seinem Leben insgesamt einmal rassistisch angegangen wurde, und zwar von antirassistischen Aktivisten.
https://www.youtube.com/watc…
Ein treffender, mutiger und notwendiger Kommentar, der nicht einfach im Chor der ausufernden Bigotterie mitsingt. Er hebt sich angenehm vom Gros der zahlreichen teils gar amtlichen Publikationen ab, die sich nicht selten schon im Lead durch ihre Gedankenlosigkeit disqualifizieren, indem sie von kolonialistischen Spuren sprechen, wo es sich um vorkolanialistische Spuren handelt.