Es sind die Betagten in Alters- und Pflegeheimen, die über 80-Jährigen, denen die schwere Infektion der Atemwege in vielen Fällen das Leben verkürzt. Sie machen die Hälfte der Covid-Todesfälle der Schweiz aus. Das Personal arbeitet oft hart an der Belastungsgrenze. Daher fordert der Heimverband Curaviva die Kantone auf, die Betagten in den Heimen zu impfen und das Personal regelmässig zu testen.

Damit einzelne Heime keine eigene Strategie entwickeln müssen, soll das Impfen und Testen möglichst rasch und möglichst einheitlich gehandhabt werden. Nicht als Ersatz für die Einhaltung von Hygiene und Abstandsmassnahmen, sondern als Zusatz.

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Das ist einfacher gesagt als getan. Gegenwärtig prüft das Bundesamt für Gesundheit aber, ob und wie man die Tests in Altersheimen und weiteren Institutionen wie Schulen ausbauen kann. Damit sollen ansteckende Personen, die keine Symptome haben, identifiziert werden.

Der Krisenstab beschliesst Tests

Der Kanton Basel-Landschaft mochte nicht warten, bis die Teststrategie allenfalls angepasst wird: Die Anzahl Covid-Todesfälle in den 25 Heimen von Aesch bis Thürnen war im November rapid gestiegen – dort starben Ende Jahr zwei von drei Covid-Opfern im Kanton. Ein Krisenstab beschloss deshalb, die Heime sollten das Personal systematisch testen dürfen, wenn es im engen Kontakt zu den Betagten steht.

Der geeignete Zeitpunkt für den Start der Testreihe war rasch gefunden. Gleich nach den Feiertagen. Vom 21. Dezember letzten Jahres an waren zudem genügend Tests vorrätig, damit auch Personen ohne Symptome auf Covid untersucht werden konnten.

Seit Anfang Januar hat sich etwas mehr als die Hälfte der 2500 Pflegefachleute im Kanton Baselland testen lassen, die anderen 1200 verzichteten. Zum Test kann niemand gezwungen werden. Eine wöchentliche Wiederholung wäre sinnvoll. Der Krisenstab kam aber zur Überzeugung, das unangenehme Testbohren in der Nase dürfe dem Personal nicht allzu oft zugemutet werden. Daher einigte man sich zunächst auf einen Abstand von 14 Tagen. 18 waren positiv, aber ohne Symptome. Sie wurden nach Hause geschickt, damit sie das Virus möglichst nicht verbreiteten.

Spucken erwünscht

Vor der zweiten Runde hat Basel-Landschaft einen neuen Test eingeführt. Bei dem genügt es, am Morgen etwas Speichel in ein Röhrchen zu speien und es zu verschliessen. Aufgrund der angenehmeren Variante wurde die Testvorgabe für die Heime geändert. Ab sofort sei rollend zu testen, das heisst alle vier bis acht Tage sowie nach Ferien und bei Neueintritt.

Der Speicheltest kommt beim Personal besser an. Die Bereitschaft, sich untersuchen zu lassen, hat zugenommen. «Insgesamt lassen die Ergebnisse hoffen, dass wir die Ansteckungen durch das Personal so nach und nach eindämmen können», sagt Gabriele Marty, Leiterin der Abteilung Alter und Gesundheit der Volkswirtschafts- und Gesundheitsdirektion im Kanton Baselland.

In den Heimen werden die Tests administrativ erfasst und vom Labor abgeholt. Es sind keine Schnelltests, sondern die zuverlässigeren PCR-Tests. Deren Auswertung dauert keine 15 oder 20 Minuten wie bei den Schnelltests, sondern mehrere Stunden. Die Idee: Das Pflegepersonal soll am Vormittag des einen Tages ins Röhrchen speien. Dann liegt das Ergebnis des Covid-Tests vor, bevor das Personal am Tag darauf wieder das Heim betritt.

Das wird schnell teuer

Diese Strategie hat ihren Preis. Wer für eine Reise ins Ausland einen negativen Testnachweis benötigt, zahlt ihn selber. Je nach Kanton und Anbieter kostet der Test 137 (Luzern) bis 215 Franken (Nidwalden), schreibt srf.ch. In Basel-Landschaft werde «der gesetzlich vorgeschriebene Tarif» verrechnet, sagt Gabriele Marty von der dortigen Gesundheitsdirektion. Zur Höhe des Tarifs äussert sie sich nicht.

Das Bundesamt für Gesundheit teilt mit, der Bund übernehme maximal 156 Franken. Aber vorerst nur gemäss «Verdachts-, Beprobungs- und Meldekriterien», nicht im Rahmen einer Strategie. Das heisst, es könnten allein im Kanton Basel-Landschaft bis zu 234'000 Franken pro Testrunde zusammenkommen, wenn 1500 Pflegefachleute ins Röhrchen speien. Eine stattliche Summe, die den Betagten in den Heimen möglichst viel Schutz und mehr Freiheit bieten soll.

Kurz erklärt: Welche Beträge hat der Bund für PCR-Tests definiert?

«Die Diskussion über das Sterben ist wichtig. Sie muss aber den Menschen und seine Lebensqualität ins Zentrum stellen.»

Markus Leser, Leiter des Fachbereichs «Menschen im Alter» von Curaviva Schweiz

Viele setzen ihre Hoffnung auf die Impfung. Seit Anfang Jahr werden Menschen über 75, Risikopersonen und Betagte in Heimen mit den Seren von Pfizer/Biontech und Moderna gegen Covid-19 immunisiert. «Auch das Personal, das mit Bewohnern in Kontakt steht, hat die Möglichkeit, sich gleichzeitig impfen zu lassen», schreibt das Bundesamt für Gesundheit. Die Bereitschaft des Personals dürfte sich aber in noch engeren Grenzen halten als die Bereitschaft, sich testen zu lassen.

Die Massnahmen zur Hygiene und zum Wahren von Abstand müssen auch nach einer Impfung eingehalten werden. Nach der ersten Impfdosis baut sich der Schutz gegen Covid zwar in etwa zwei Wochen auf. Aber einen Schutz von 95 Prozent gegen die schwere Erkrankung garantiert erst die zweite Dosis. Weiter ist unklar, ob die Impfung bloss gegen die Covid-Erkrankung schützt oder auch Ansteckungen verhindern kann. Nicht empfohlen wird die Impfung bei Schwangeren, weil zu wenig Daten vorliegen. Chronische Krankheiten oder die Einnahme von Medikamenten hingegen sind kein Hinderungsgrund.

Auch wenn sich die Todesfälle in Heimen häufen, wehrt sich der Branchenverband Curaviva gegen übermässige Dramatisierung. Schon vor der Pandemie verbrachte jede zweite Person die letzten Jahre oder Monate vor dem Tod in einem Alters- oder Pflegeheim. «Die Gesellschaft hat Mühe mit dem Gedanken, dass in Heimen gestorben wird», sagt Markus Leser, Leiter des Fachbereichs «Menschen im Alter» von Curaviva Schweiz. Daher sei die Diskussion über das Sterben wichtig, betont er. «Sie muss aber den Menschen und seine Lebensqualität ins Zentrum stellen.»

Unsere Gesellschaft «verhält sich in der Krise wie ein Kind, das sich vor der Dämmerung fürchtet. Die Dämmerung des Lebens beginnt früh, und wer sie ausblendet, ist nicht weise», schrieb der Schweizer Theologe Peter Ruch. «Empfindsamer müssten wir auch in Bezug auf die Nebenwirkungen werden, die die Massnahmen nach sich ziehen.» Ruch meint die politischen Entscheide, die Pandemie einzudämmen. Finanziell wie menschlich.

Fast wie im Gefängnis

Die Entscheide wirken bis ins letzte der 1565 Heime in der Schweiz hinein. Betroffen sind rund 100'000 Betagte und ebenso viele Pflegekräfte. In manchen Institutionen wurden die Betagten sowohl während der ersten wie in der zweiten Welle ins Zimmer gesperrt. Sie bekamen dreimal am Tag etwas zu essen, Besuche waren verboten, ebenso der Besuch beim Hausarzt. Der Grund: Sowohl bei den Betreuern wie bei den Betagten war Covid aufgetreten.

«Ich mache dem Heimleiter keinen Vorwurf. Aber meine Mutter fühlte sich wie in einem Gefängnis», erzählte ein Sohn dem Beobachter. Die Mutter ist 90, der Sohn Mitte 50. Die Mutter ist leicht dement und sitzt nach einem Oberschenkelhalsbruch im Rollstuhl. Das Telefon oder gar das Handy zu bedienen, fiel ihr zunehmend schwerer. Manchmal vergass sie die Hörhilfe, oder die Batterien waren leer. Oder sie hatte beides weggeworfen, weil sie nicht mehr wusste, wozu die Dinger gut sind. «Sie hatte panische Angst, mir oder meiner Schwester sei etwas zugestossen.»

Die alte Mutter war über Weihnachten und Neujahr allein. Als sie ihren Sohn nach über sechs Wochen wiedersah, mussten beide eine Maske tragen und 1,5 Meter Abstand halten. «Meine Mutter blühte auf. Wir spielten Eile mit Weile und Halma. Die Cafeteria war zu, und ein Stückli durfte ich ihr auch nicht ins Heim bringen. Als ich nach drei Stunden ging, fragte sie: ‹Wann kommst du wieder?›»

Abschied auf Facetime

Statistiken mögen uns in manchen Dingen weiterhelfen. Aber sie sind keine Gefühle. Während der Recherchen zu diesem Text wurde der Vater eines Freundes ins Spital überführt. Ein stattlicher Mann. Gut auf den Füssen und gut im Kopf. Diagnose: Covid. Die Tochter: negativ. Es dauerte nur Tage, da zogen die Ärzte dem Vater den Beatmungsschlauch aus der Luftröhre. Sie gaben ihm 48 Stunden. Der Vater verabschiedete sich von den Kindern auf dem Mobiltelefon. Per Facetime. Dann starb er. Mit 79.

«Wenn dein Vater stirbt, ist das, als brenne eine ganze Bibliothek nieder. Eine Welt ohne Ende. Erinnere dich an mich», schrieb Laurie Anderson, eine amerikanische Künstlerin.

Unsere Eltern haben uns Kinder grossgezogen in der Hoffnung, es ginge uns besser. Sie haben uns Fünfliber auf Beulen gedrückt, uns Essigsocken über die Füsse gestreift, uns endlos dieselbe Gutenachtgeschichte vorgelesen und uns auf die Stirn geküsst, wenn wir endlich, endlich! einschliefen. Sie haben unsere Pubertät ertragen. Sie haben ins Kissen geheult, als wir auszogen. Oder eine Flasche Champagner geköpft. Erinnere dich an mich.

Was würden wir uns wünschen? Wie gehen wir mit unseren wertvollsten Büchern um, mit unserer Erinnerung? Also mit unserem Vater, unserer Mutter, unseren Grosseltern, unserer Grosstante? Wir leben genauso in unserer Vergangenheit wie sie, die Betagten. Wir sehen uns genauso wie sie, jung – für immer. Was würden wir uns wünschen, wenn wir alt sind? Als Paar? Allein? Im Heim? Nicht mehr ganz gut auf den Füssen, vielleicht nicht mehr ganz gut im Kopf. Was würden wir uns wünschen? Und wer wird uns zuhören wollen?

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René Ammann, Redaktor
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