Ist es für eine Frau weniger schlimm, nur kurz vergewaltigt zu werden? Und ist der Täter darum auch milder zu bestrafen? Ja, meinte das Bundesgericht noch im letzten Jahr. Höchste Zeit, dass es sich in seinem neusten Entscheid hintersonnen hat. 

Anlass bot der Fall einer Frau, die im Sommer 2023 vor einer Bar zwei Männer kennenlernte. Zusammen rauchten sie eine Zigarette, tanzten und gaben sich Drinks aus. Als einer der beiden ihr spätnachts anbot, sie nach Hause zu begleiten, lehnte sie ab.

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Der Täter verfolgte sie

Dennoch folgte er ihr, versuchte sie zu küssen, warf sie auf den Rasen, legte sich auf sie, hielt ihre Handgelenke fest, presste seine Hand auf ihren Mund, zog ihr den Slip herunter und drang in sie ein. Nach einigen Minuten gelang es der Frau, um Hilfe zu rufen. Woraufhin der Täter flüchtete. 

Das Kantonsgericht Wallis verurteilte den Täter wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten. Die Hälfte sollte er absitzen, der Rest sollte zur Bewährung ausgesetzt werden. Damit war der Mann nicht zufrieden – und berief sich auf ein Urteil des Bundesgerichts vom September 2023.

Verletzung ab dem ersten Moment

Damals hatte das höchste Gericht noch festgehalten, dass sich eine «relativ kurze Dauer» einer Vergewaltigung strafmildernd auswirken müsse. Täter also möglicherweise mit einer geringeren Strafe rechnen könnten. Genau das verlangte auch der Beschuldigte im jüngsten Fall. 

Doch das Bundesgericht vollführt in seinem neusten Entscheid nun eine Kehrtwende – eine ungewohnt deutliche sogar. Die einst verwendete Formulierung der relativ kurzen Vergewaltigung sei unangemessen, ja ein Unding. Die sexuelle Unversehrtheit werde ab dem ersten Moment verletzt. Darum könne sich die Dauer eines sexuellen Übergriffs auch nie zugunsten des Täters auswirken.