Vertrauen ist eine Komponente, die beim Sex nicht fehlen darf. Das Vertrauen, dass beide Partner die Grenzen des Gegenübers respektieren. Beim sogenannten Stealthing – zu Deutsch List, Heimlichtuerei – werden sie überschritten. Das Wort beschreibt das heimliche Abziehen des Kondoms beim Sex.

Der Stealthing-Fall, der zuletzt Mitte September das Zürcher Obergericht beschäftigte, begann 2017 mit einem Tinder-Date. Zwei Studierende, ein Mann und eine Frau, hatten einvernehmlich Sex. Sie bestand darauf, mit einem Kondom zu verhüten. Er entfernte das Kondom aber während des Akts ohne ihr Wissen. Daraufhin zeigte sie ihn an. Weil sowohl das Bezirksgericht Bülach als auch das Zürcher Obergericht den Mann freisprachen, zog die junge Frau den Fall bis vors Bundesgericht. 

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Angeklagt hatte die Staatsanwaltschaft den Mann wegen Schändung. Dieser Straftatbestand beschreibt den sexuellen Akt an einer Person, die sich nicht wehren kann. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass beim Stealthing der Sexualpartner oder die Sexualpartnerin zwar getäuscht wird, eine Schändung liege aber nicht vor. Das Bundesgericht wies den Fall für eine Neubeurteilung ans Zürcher Obergericht zurück. 

Das Obergericht hat den Studenten nun wegen sexueller Belästigung verurteilt. Er muss eine Busse von 2500 Franken und Verfahrenskosten von 7200 Franken zahlen. Noch ist der Entscheid nicht rechtskräftig. Er kann wiederum ans Bundesgericht weitergezogen werden. 

Gesetzeslücke wird gestopft

Im Vergleich zu Schändung oder Vergewaltigung wird sexuelle Belästigung milder bestraft. Dem Jura-Studenten bleibt ein Eintrag ins Strafregister erspart, den gibt es in der Regel erst ab einer Busse von mehr als 5000 Franken. 

Ein härteres Urteil wurde 2017 beim schweizweit ersten Gerichtsfall von Stealthing gefällt. Damals entschied das Obergericht des Kantons Waadt, dass es sich bei Stealthing um Schändung handelt. Der Angeklagte wurde verurteilt und erhielt eine bedingte Freiheitsstrafe von zwölf Monaten. 

Im Frühling 2023 verabschiedeten National- und Ständerat das revidierte Sexualstrafrecht Nationalrat will «Ja heisst Ja»-Lösung Wie diese Juristin das Sexualstrafrecht verbesserte . Dabei verhandelte das Parlament auch über einen eigenen Straftatbestand Stealthing. Nach längerer Debatte lehnte es einen solchen aber ab. Gemäss Bundesamt für Justiz kommt Artikel 190 des Sexualstrafrechts zum Zug: «Das heimliche Entfernen des Kondoms ist nicht von der Zustimmung zum Geschlechtsverkehr mit Kondom abgedeckt», so eine Sprecherin.

Künftig bis fünf Jahre Haft

Damit erfolge die sexuelle Handlung ab dem Zeitpunkt des Entfernens gegen den Willen des Opfers. Sprich: Es handelt sich um eine Vergewaltigung. Gemäss neuem Gesetz kann ein Mann, der beim Sex das Kondom auszieht, demnach mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden.

Das revidierte Sexualstrafrecht ging Mitte Juni in die Vernehmlassung. Die Referendumsfrist endet am 5. Oktober. Der Bundesrat werde demnächst entscheiden, wann die revidierten Bestimmungen in Kraft treten, so die Sprecherin des Bundesamtes für Justiz.

Doch was, wenn jemand wegen Stealthing angezeigt wird, bevor das neue Sexualstrafrecht in Kraft tritt? Gemäss Obergericht soll Stealthing nicht straflos sein, sagt Beobachter-Rechtsexperte Simon Keller. «Sexuelle Belästigung wird aber nicht wie eine Vergewaltigung automatisch strafrechtlich verfolgt, sondern nur, wenn ein Strafantrag gestellt wird 9 Fragen und Antworten Sexuell belästigt – so wehren Sie sich .» Zudem kann sexuelle Belästigung nur mit Busse bestraft werden. «Ich kann mir vorstellen, dass sich andere Gerichte an dem Entscheid orientieren könnten. Wobei zu betonen ist, dass er ja noch nicht rechtskräftig ist.»