Georgi Goranov least im letzten Sommer ein Occasionsauto – einen schwarzen Mercedes GLE 400 4Matic. Er hat das Fahrzeug auf der Occasionsplattform der Mercedes-Benz Automobil AG (Merbag) entdeckt. Dort liest er, dass die Fahrzeuge einen «111-Punkte-Check» durchlaufen würden, um einen «einwandfreien Zustand» sicherzustellen.

Goranov hat ein gutes Gefühl, als er das Auto bei der Merbag in Winterthur übernimmt und gleichzeitig einen Leasingvertrag mit der Mercedes-Benz Financial Services Schweiz AG unterschreibt. «Ich vertraute auf den guten Ruf von Mercedes», sagt Goranov rückblickend zum Beobachter. Zu Unrecht, wie sich bald schon zeigen sollte.

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«Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich den Wagen sicher nicht geleast.»

Georgi Goranov

Nach der Übergabe tauchen erste Macken auf: Das Getriebe ruckelt, die Auspuffrohre verfärben sich schwarz, das Auto beschleunigt unterschiedlich stark, und einmal bleibt es sogar stehen. «Merbag spielte die Mängel herunter», so Goranov.

Der 30-Jährige lässt den Wagen darum von einem unabhängigen Testcenter durchchecken. Dieses misst mit einem Lackschichtdickenmessgerät die Lackierung, prüft die Schweisspunkte, kontrolliert den Abstand zwischen Heck und Front und sucht nach Spuren von Reparaturen.

Das Ergebnis: Der Wagen muss in einen Unfall verwickelt gewesen sein. «Hätte ich das gewusst, hätte ich den Wagen sicher nicht geleast», sagt Goranov.

Auf die Aussagen des einstigen Eigentümers vertraut

Von Merbag verlangt er, dass der Leasingvertrag rückgängig gemacht wird oder dass man ihm ein gleichwertiges Fahrzeug zur Verfügung stellt. Doch Merbag bestreitet über einen Anwalt, dass das Fahrzeug bei der Übergabe mangelhaft war.

Wäre dem so gewesen, so hätte das Goranov bei der Probefahrt sicher gemerkt. Über einen möglichen Unfall wisse man nichts. Zudem habe man nie zugesichert, dass das Fahrzeug unfallfrei sei oder einen «111-Punkte-Check» durchlaufen habe. Für Goranov unverständlich. «Wie kann es sein, dass ein Testcenter ohne weiteres herausfindet, dass das Auto in einen Unfall verwickelt war, Merbag sich aber keinen Deut darum schert?»

«Alleine der Fakt, dass es ein Unfallwagen ist, genügt nicht.»

Nicole Müller, Beobachter-Rechtsexpertin

Gegenüber dem Beobachter hält Merbag fest, dass die Occasionsplattform durch einen Eintausch in den Besitz des Fahrzeuges gekommen sei. Sie habe dieses damals summarisch geprüft und auf die Aussagen des einstigen Eigentümers vertraut – so wie dies in der Branche Praxis sei.

Nichts habe auf einen Unfall hingewiesen. Zudem bestreitet Merbag, dass sie einen allfälligen Unfall «ohne weiteres» hätte feststellen können.

Es bleibt ein Unfallwagen

Solche und ähnliche Fälle, die auch andere Occasionshändler betreffen, sind an der Beobachter-Beratungshotline keine Seltenheit. «Egal, wie bekannt der Name der Gegenseite ist: Wir raten, Occasionen immer von einer unabhängigen Stelle testen zu lassen – und zwar bevor man einen Vertrag unterschreibt», sagt Beobachter-Rechtsexpertin Nicole Müller.

Denn der Leasingnehmer müsse bei Streit beweisen, dass ein Auto beim Kauf mangelhaft beziehungsweise nicht funktionstüchtig gewesen sei. «Alleine der Fakt, dass es ein Unfallwagen ist, genügt nicht.» Etwas anderes würde natürlich gelten, wenn der Lieferant die Unfallfreiheit ausdrücklich zugesichert hätte. 

Wann entscheidet das Gericht?

Merbag hat Goranov angeboten, sich an den Reparaturkosten zu beteiligen und sich dafür einzusetzen, dass der Leasingvertrag auf ein neues Fahrzeug übertragen werden kann.

Für Goranov keine Option. «Mit der Reparatur ist das Auto immer noch ein Unfallwagen. Und einen Neuwagen mit einem neuen Vertrag will ich nicht. Ich will raus aus dem Vertrag.»

Ohne Einigung müsste nun ein Gericht entscheiden. Für Goranov ist das Kostenrisiko allerdings zu hoch. 

 

Stellungnahme der Mercedes-Benz Automobil AG (Merbag) vom 27. Nov. 2024:

Im obenstehenden Artikel über den Kauf eines sich nachträglich als Unfallfahrzeug herausstellenden Occasionsfahrzeugs wurde der Eindruck erweckt, dass Mercedes-Benz Automobil AG Herrn Georgi Goranov einen vorgängigen «111-Punkte-Check» zugesichert habe. Das ist nicht der Fall. Herrn Georgi Goranov wurde nie zugesichert, dass das Fahrzeug mit einem «111-Punkte-Check» geprüft worden sei.

Mehr zu Occasionsautos mit Mängeln steht in unserem Merkblatt.