Occasion entpuppt sich als Unfallwagen
Ein vermeintliches Traumauto macht plötzlich Mätzchen. Dann stellt sich heraus: Es ist ein Unfallwagen. Die Lieferantin will nichts davon gewusst haben.
Veröffentlicht am 4. November 2024 - 09:34 Uhr
Georgi Goranov least im letzten Sommer ein Occasionsauto – einen schwarzen Mercedes GLE 400 4Matic. Er hat das Fahrzeug auf der Occasionsplattform der Mercedes-Benz Automobil AG (Merbag) entdeckt. Dort liest er, dass die Fahrzeuge einen «111-Punkte-Check» durchlaufen würden, um einen «einwandfreien Zustand» sicherzustellen.
Goranov hat ein gutes Gefühl, als er das Auto bei der Merbag in Winterthur übernimmt und gleichzeitig einen Leasingvertrag mit der Mercedes-Benz Financial Services Schweiz AG unterschreibt. «Ich vertraute auf den guten Ruf von Mercedes», sagt Goranov rückblickend zum Beobachter. Zu Unrecht, wie sich bald schon zeigen sollte.
«Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich den Wagen sicher nicht geleast.»
Georgi Goranov
Nach der Übergabe tauchen erste Macken auf: Das Getriebe ruckelt, die Auspuffrohre verfärben sich schwarz, das Auto beschleunigt unterschiedlich stark, und einmal bleibt es sogar stehen. «Merbag spielte die Mängel herunter», so Goranov.
Der 30-Jährige lässt den Wagen darum von einem unabhängigen Testcenter durchchecken. Dieses misst mit einem Lackschichtdickenmessgerät die Lackierung, prüft die Schweisspunkte, kontrolliert den Abstand zwischen Heck und Front und sucht nach Spuren von Reparaturen.
Das Ergebnis: Der Wagen muss in einen Unfall verwickelt gewesen sein. «Hätte ich das gewusst, hätte ich den Wagen sicher nicht geleast», sagt Goranov.
Auf die Aussagen des einstigen Eigentümers vertraut
Von Merbag verlangt er, dass der Leasingvertrag rückgängig gemacht wird oder dass man ihm ein gleichwertiges Fahrzeug zur Verfügung stellt. Doch Merbag bestreitet über einen Anwalt, dass das Fahrzeug bei der Übergabe mangelhaft war.
Wäre dem so gewesen, so hätte das Goranov bei der Probefahrt sicher gemerkt. Über einen möglichen Unfall wisse man nichts. Zudem habe man nie zugesichert, dass das Fahrzeug unfallfrei sei oder einen «111-Punkte-Check» durchlaufen habe. Für Goranov unverständlich. «Wie kann es sein, dass ein Testcenter ohne weiteres herausfindet, dass das Auto in einen Unfall verwickelt war, Merbag sich aber keinen Deut darum schert?»
«Alleine der Fakt, dass es ein Unfallwagen ist, genügt nicht.»
Nicole Müller, Beobachter-Rechtsexpertin
Gegenüber dem Beobachter hält Merbag fest, dass die Occasionsplattform durch einen Eintausch in den Besitz des Fahrzeuges gekommen sei. Sie habe dieses damals summarisch geprüft und auf die Aussagen des einstigen Eigentümers vertraut – so wie dies in der Branche Praxis sei.
Nichts habe auf einen Unfall hingewiesen. Zudem bestreitet Merbag, dass sie einen allfälligen Unfall «ohne weiteres» hätte feststellen können.
Es bleibt ein Unfallwagen
Solche und ähnliche Fälle, die auch andere Occasionshändler betreffen, sind an der Beobachter-Beratungshotline keine Seltenheit. «Egal, wie bekannt der Name der Gegenseite ist: Wir raten, Occasionen immer von einer unabhängigen Stelle testen zu lassen – und zwar bevor man einen Vertrag unterschreibt», sagt Beobachter-Rechtsexpertin Nicole Müller.
Denn der Leasingnehmer müsse bei Streit beweisen, dass ein Auto beim Kauf mangelhaft beziehungsweise nicht funktionstüchtig gewesen sei. «Alleine der Fakt, dass es ein Unfallwagen ist, genügt nicht.» Etwas anderes würde natürlich gelten, wenn der Lieferant die Unfallfreiheit ausdrücklich zugesichert hätte.
Wann entscheidet das Gericht?
Merbag hat Goranov angeboten, sich an den Reparaturkosten zu beteiligen und sich dafür einzusetzen, dass der Leasingvertrag auf ein neues Fahrzeug übertragen werden kann.
Für Goranov keine Option. «Mit der Reparatur ist das Auto immer noch ein Unfallwagen. Und einen Neuwagen mit einem neuen Vertrag will ich nicht. Ich will raus aus dem Vertrag.»
Ohne Einigung müsste nun ein Gericht entscheiden. Für Goranov ist das Kostenrisiko allerdings zu hoch.
Stellungnahme der Mercedes-Benz Automobil AG (Merbag) vom 27. Nov. 2024:
Im obenstehenden Artikel über den Kauf eines sich nachträglich als Unfallfahrzeug herausstellenden Occasionsfahrzeugs wurde der Eindruck erweckt, dass Mercedes-Benz Automobil AG Herrn Georgi Goranov einen vorgängigen «111-Punkte-Check» zugesichert habe. Das ist nicht der Fall. Herrn Georgi Goranov wurde nie zugesichert, dass das Fahrzeug mit einem «111-Punkte-Check» geprüft worden sei.
Mehr zu Occasionsautos mit Mängeln steht in unserem Merkblatt.
4 Kommentare
Der Artikel wirft ein interessantes Licht auf die Situation, doch meine eigenen Erfahrungen mit Merbag sehen völlig anders aus. Natürlich können bei Gebrauchtwagen Probleme auftreten – das ist nichts Aussergewöhnliches. Was ich jedoch aus dem Artikel entnehme, ist, dass Merbag Herrn Goranov sogar eine Beteiligung an den Reparaturkosten und die Möglichkeit einer Vertragsübertragung auf ein neues Fahrzeug angeboten hat. Solche Kompromissvorschläge sind nicht selbstverständlich und zeigen, dass die Firma durchaus gewillt ist, Lösungen zu finden.
Manchmal hat man allerdings den Eindruck, dass weniger das eigentliche Problem, sondern vielmehr die eigene Unzufriedenheit im Mittelpunkt steht. Wenn selbst gutgemeinte Vorschläge ignoriert oder abgelehnt werden, stellt sich die Frage, ob es wirklich um eine Lösung geht oder darum, ein Schuldiger für die eigene Situation zu finden.
Meine Erfahrungen zeigen jedenfalls, dass Merbag bemüht ist, fair und kundenorientiert zu handeln – solange man selbst auch zu einem Dialog bereit ist.
Ich habe mit Merbag nur positive Erfahrungen gemacht.
Lieber Herr Stamm,
Bitte zögern Sie nicht, mich per Privatnachricht oder über Beobachter zu kontaktieren. Ich freue mich, Ihre Geschichte zu hören und gemeinsam einen Weg zu finden, zu handeln.
Freundliche Grüsse,
Georgi Goranov
Leider habe auch ich mit der Merbag, der CH-Vertreterin von Mercedes, schlechte Erfahrungen gemacht, die denen von Herrn Goranov gleichen. Bei einem Problem, das fast sicher auf einen Herstellermangel zurück zu führen war, lehnte man jede Verantwortung in Bausch und Bogen ab. Das Verhalten der Merbag passt nicht zum Premiumimage, das Mercedes beansprucht.