Gericht spricht verzeigten Parksünder frei
Die Beschwerden über einen Parkplatzbetreiber reissen nicht ab. Ein Gericht urteilte nun, dass ein Autofahrer ihm kein Geld schuldet – obwohl er die Parkuhr nicht gefüttert hat.
Veröffentlicht am 18. Juni 2024 - 16:32 Uhr
Sven Rohrbach wollte bei Conforama in Lyssach BE einkaufen. Gelandet war er aber nicht auf dem Parkplatz des Geschäfts, sondern auf dem vielleicht problematischsten Parkplatz der Schweiz (der Beobachter berichtete).
Viele Betroffene sehen diesen als Falle. Sven Rohrbach kannte den riesigen Parkplatz nicht, der sich P & R Lyssach nennt. Die Einfahrt sei unübersichtlich, sagt Rohrbach. Keine Barriere steht am Eingang. Er nahm zwar an, er müsse bezahlen, aber er sah nirgends einen Bezahlautomaten. «Dieser ist versteckt. Es ist für mich eine absichtliche Irreführung.»
Parkverbot widerspricht Parkgebühren-Forderung
Immer wieder übersehen Autofahrer, dass auf dem Parkplatz Verbotsschilder angebracht sind, und dass es zwei Bezahlautomaten gibt. Deshalb bezahlen sie nichts.
Das Seltsame am Privatparkplatz: Parkieren ist eigentlich richterlich verboten. Wenn man bezahle, gelte das Verbot allerdings nicht, erklärt die Parkplatzfirma den Autofahrern. Ein Gerichtsurteil zeigt nun aber: Das geht gar nicht. Das richterliche Verbot könne nicht benutzt werden, um Parkgebühren einzutreiben. Das Geschäftsmodell des Parkplatzbetreibers ist somit in Frage gestellt.
Sensor im Boden
Dieser hat in Lyssach unter jedem Parkplatz einen Sensor verbaut. Wird nicht innerhalb von acht Minuten bezahlt, entsteigt ein Wachmann einem Container, fotografiert die Autonummer und druckt eine «Nachforderung» aus. Diese klemmt er entweder unter den Scheibenwischer oder verschickt sie per Post.
So wie bei Sven Rohrbach, der eigentlich anders heisst. Er will aus Angst vor Schikanen des Parkplatzbetreibers anonym bleiben.
Im Februar erhielt Rohrbach eine Nachforderung von 52 Franken. «Diese kam mir merkwürdig vor. Nachdem ich gegoogelt hatte, entschloss ich mich, nicht zu bezahlen.» Ende Mai erhielt Rohrbach eine zweite Forderung über Fr. 302.68 – zusammen mit einem Strafbefehl, den ein anderer Parksünder erhalten hatte. Die Parkplatzfirma schrieb, sie ziehe es in Betracht, Rohrbach ebenfalls anzuzeigen, wenn er nicht bezahle. «Ich lasse mich nicht einschüchtern», sagt Rohrbach. «Wenn mich die Parkplatzfirma betreibt, mache ich Rechtsvorschlag.»
Beobachter rät, Nachforderungen zu ignorieren
Ist das empfehlenswert? Jurist Daniel Leiser vom Beobachter-Beratungszentrum sagt Ja: «Wenn die Umtriebsentschädigung nur im Zusammenhang mit nicht bezahlten Parkgebühren steht, raten wir den Betroffenen, die Rechnung nicht zu bezahlen. Und bei einer Betreibung Rechtsvorschlag zu erheben.» So wie Sven Rohrbach. Doch dieser Tipp gelte nur für Betroffene mit Ausdauer: «Wer lieber sofort nie mehr etwas vom Parkplatzbetreiber hören will, dem bleibt wohl nichts anderes übrig, als die 52 Franken zu bezahlen.»
Sollte der Parkplatzbetreiber tatsächlich Strafanzeige einreichen, besteht kaum Gefahr. Das geht aus dem rechtskräftigen Urteil des Regionalgerichts Burgdorf hervor, das dem Beobachter vorliegt. Das Gericht hat im Februar einen Strafbefehl gegen einen Mann aufgehoben, der ohne zu bezahlen in Lyssach parkiert hatte. Und das Gericht hat gleichzeitig auch die Zivilforderung des Parkplatzbetreibers über 208 Franken Umtriebsentschädigung, zuzüglich 5 Prozent Zins, abgewiesen. Der Parkplatzsünder muss also keinen Rappen bezahlen.
Gericht spricht Parksünder frei
Die P & Ride Lyssach GmbH hatte den Mann wegen Widerhandlung gegen das gerichtliche Verbot angezeigt. Die Staatsanwaltschaft verurteilte den Parksünder per Strafbefehl zu 40 Franken Busse wegen verbotenen Parkierens auf privatem Grund. Der Parkplatzsünder akzeptierte das aber nicht und erhielt recht. Obwohl er immer zugegeben hat, dass er den Parkplatz nicht bezahlt hatte.
Das Gericht sagt zwar, der Autofahrer habe in Kauf genommen, «gegen die Pflicht, eine Parkgebühr zu entrichten, zu verstossen». Doch das sei nicht entscheidend. Entscheidend sei, dass der Parkplatzbetreiber ein richterliches Verbot nicht dafür benützen könne, Parkgebühren einzutreiben. Ein Verbot sei dazu da, Besitz zu schützen, und diene «nicht der Kommerzialisierung von Besitzesstörungen». Damit folgte es weitgehend den Argumenten des Berner Rechtsanwalts Martin Klaus.
Parkplatzbetreiber widerspricht
Der Parkplatzbetreiber bestreitet, dass er mit dem Versenden von Musterstrafbefehlen Leute zur Zahlung zu nötigen versuche. Er sagt, er würde das seit dem 4. Juni sowieso nicht mehr machen und niemandem mehr mit einer Strafanzeige drohen. Er mache das, obwohl juristisch noch gar nicht rechtskräftig entschieden worden sei. Denn er habe in einem anderen Fall das Urteil weitergezogen.
Tatsächlich ist vor dem Berner Obergericht ein fast identischer Fall aus Lyssach hängig. Das Obergericht könnte dabei zu einer anderen Einschätzung der Rechtslage kommen als das Regionalgericht. Das kann allerdings noch Monate dauern. Zudem ändert das nichts daran, dass das erwähnte Burgdorfer Urteil rechtskräftig ist.
Der Betreiber sagt, dass seine Firma weiterhin das Recht habe, Parksünder anzuzeigen sowie eine Betreibung anzudrohen. Im Übrigen würden 98 Prozent aller Kundinnen und Kunden ihre Parkgebühren korrekt bezahlen. Seine Firma P & Ride Lyssach GmbH signalisiere klar, dass der Parkplatz kostenpflichtig sei.