Bedrohen Katzen die Artenvielfalt?
Es gibt immer mehr Katzen in der Schweiz. 1,6 Millionen sind es heute. Das macht den Vögeln das Überleben ständig schwerer.
Veröffentlicht am 23. Mai 2019 - 18:04 Uhr
Ein Hinterhof mitten in Zürich. Bäume und Hecken spriessen in saftigem Grün. Doch kein Pieps ist zu hören. Plötzlich springt Asrael aus einer Hecke hervor, der Kater vom Nachbarhaus. Aus seinem Maul hängt ein Vogel. Was für einer, ist nicht mehr zu erkennen.
Asraels gibt es viele in der Schweiz. Sehr, sehr viele: Über 1,6 Millionen Katzen leben zwischen Rorschach und Genf, in mehr als jedem vierten Haushalt mindestens eine . In den letzten 25 Jahren ist die Population um fast einen Drittel gestiegen. Drei von vier Tieren halten sich regelmässig im Freien auf.
Vögel bekommen das zu spüren, aber auch Mäuse, Eidechsen und Blindschleichen: Mehr als 10 Millionen Wildtiere werden in der Schweiz pro Jahr von Katzen getötet, schätzen Fachleute. Im Mai und Juni trifft es die Vögel besonders hart, weil ihre Jungen schlüpfen. Bis zu 600'000 fallen dann den Räubern aus der Stube zum Opfer. Vor allem in den Städten. In Zürich etwa leben pro Quadratkilometer 600 Katzen, in manchen Quartieren noch mehr. Zum Vergleich: Bei den Stadtfüchsen, dem häufigsten wilden Räuber in der Stadt, sind es 11 Tiere auf einen Quadratkilometer.
«Die vielen Katzen in gewissen Gebieten sind für die Vogelwelt ein Problem», sagt Stefan Bachmann vom Vogelschutzverband Birdlife. Dabei wird der Lebensraum Stadt für Vögel immer wichtiger . Im Kulturland, auf Feldern und Wiesen, nimmt ihr Bestand dramatisch ab. Wegen der intensiven Landwirtschaft mit Pestiziden und Monokulturen finden dort viele Arten kaum noch Nahrung. Gärten und Parks dagegen bieten Vögeln ähnliche Lebensbedingungen wie der Wald.
Trotzdem gehen zum Beispiel die Bestände von Grünfink, Grauschnäpper, Mehlschwalbe und Girlitz im Siedlungsgebiet zurück, sagt Bachmann. Der Gartenrotschwanz sei fast ausgestorben.
Natürlich gebe es dafür viele Gründe. Etwa immer weniger Insekten und Samen auch hier, kaum mehr naturnahe Ecken, keine Nistmöglichkeiten an modernen Hausfassaden und todbringende Glasscheiben. «Katzen sind aber ein Faktor, warum Vögel nicht alle geeigneten Flächen besiedeln können», sagt der Ornithologe.
Bachmann wählt seine Worte mit Bedacht. Denn die Frage, was Katzen für ihre Umwelt bedeuten, hat sich in den letzten Jahren zu einem teilweise erbitterten Streit entwickelt – weltweit.
Für manche Wildtierforscher ist das beliebteste Haustier das Problemtier schlechthin. Von Menschen gehegt, gepflegt und oft sogar medizinisch versorgt, sind Hauskatzen Raubtiere nur aus Spass. Im Siedlungsgebiet haben sie keine natürlichen Feinde, die Wildtierwelt im Garten ist für sie zum Austoben da. Sie müssen sich nicht schonen und nicht Mass halten. Wenn es keine Beute mehr gibt, wartet das Futter im Napf. Die Freude am Jagen aber ist ihnen angeboren, der Instinkt auch nach Tausenden Jahren Domestizierung intakt. Als «Killer mit Kulleraugen» bezeichnete das deutsche Nachrichtenmagazin Spiegel 2013 die Tiere.
Tatsächlich töten Katzen gern und enorm viel: In den USA pro Jahr bis zu 3,7 Milliarden Vögel und bis zu 20 Milliarden Säugetiere, so eine Studie von 2013. «Für die Vogelwelt sind Katzen eine grössere Gefahr als Fensterscheiben, Windräder und Pestizide zusammen», schreiben die Autoren.
«Die Hauskatze ist der grosse Feind der Artenvielfalt.»
Peter Berthold, Ornithologe
Besonders prekär ist die Situation in Australien, Neuseeland und Ozeanien. Bis zur Ankunft der Europäer im 17. Jahrhundert gab es dort kaum Landraubtiere. Die einheimische Fauna entwickelte deshalb keine Schutzmechanismen und ist den fremden Räubern schutzlos ausgeliefert. Katzen haben bereits 30 Vogel-, Reptilien- und Säugetierarten ausgelöscht.
Die Weltnaturschutzunion führt die ursprünglich aus Afrika stammende Hauskatze auf der Liste der 100 weltweit gefährlichsten invasiven Arten. Deutschlands bekanntester Ornithologe Peter Berthold sagt über die Spezies Felis catus: «Sie ist der grosse Feind der Artenvielfalt.»
Überall auf der Welt wollen Naturschützer deswegen den Katzen an den Kragen. Die Forderungen reichen von staatlich verordnetem Hausarrest während der Vogelbrutzeit bis zum kompletten Verbot, Katzen zu halten. In Australien macht die Regierung offiziell Jagd auf verwilderte Katzen und will bis 2020 mindestens 2 Millionen töten, teils durch Abschüsse, teils mit Gift.
Ausserhalb Ozeaniens und der USA hat bisher jedoch keine Regierung Massnahmen beschlossen. Auch in der Schweiz nicht. Einzig in der Nähe von besonders schützenswerten Gebieten wie Flachmooren ist es in Einzelfällen verboten, Katzen zu halten. Verwilderte, herrenlose Katzen dürfen von Jägern erlegt werden, sofern sie sich mindestens 300 Meter entfernt vom nächsten Haus befinden. Im Kanton Zürich etwa geschah das seit 2009 aber nur elf Mal, heisst es beim Amt für Landschaft und Natur.
Ein Grund für die Zurückhaltung ist, dass man Katzen kriminologisch kaum überführen kann. «Wie stark sie den Vögeln wirklich zusetzen, lässt sich nicht genau belegen», sagt Madeleine Geiger von der Zürcher Forschungsgemeinschaft für Stadtökologie und Wildtierforschung SWILD. Zahlen beruhen meist auf Hochrechnungen, Studien gelten immer nur für ein bestimmtes Gebiet. «Die Resultate kann man nicht verallgemeinern.»
Zwischen 7 und 80 Beutetiere erlegt eine Katze
pro Jahr im Schnitt – ein enorm grober Wert. Junge Katzen jagen öfter als ältere, hungrige mehr als satte. Es sei ein Irrglaube, dass man Katzen von der Jagd abhält, wenn man sie füttert, sagt Geiger. «Eher hilft es, wenn man oft mit ihnen spielt.»
«Besonders wichtig sind Dornbüsche, in denen die Jungvögel vor Katzen sicher sind.»
Stefan Bachmann, Birdlife Schweiz
Auch wie stark der Vogelbestand leidet, ist schwer zu fassen. Erwischt es vor allem schwache und kranke Tiere oder auch gesunde, starke? Allein die Anwesenheit von Katzen setzt Vögel unter Stress. «Was das für Folgen hat, lässt sich bei Wildtieren jedoch nur schwer messen», sagt Expertin Madeleine Geiger.
Gewiss ist nur: Katzen sind nicht wählerisch. Am häufigsten fallen ihnen jene Vogelarten zum Opfer, von denen es am meisten gibt. In der Schweiz sind das Amseln, Kohlmeisen und Spatzen. «Trotzdem kommt man auch hier nicht um die Tatsache herum: Katzen setzen den Vögeln und anderen Wildtieren stark zu und können ihren Bestand gefährden», sagt Geiger.
Katzenhalter sollten deshalb dafür sorgen, dass ihre Stubentiger bei der Jagd nicht zu erfolgreich sind , sagt die Biologin. Etwa indem sie sie für zwei, drei Wochen im Haus lassen, wenn im Garten Jungvögel leben. Oder ihnen ein Glöcklein oder einen speziellen bunten Kragen anlegen. «Die meisten Katzen gewöhnen sich schnell daran.» Plastik- oder Blechmanschetten um Baumstämme verhindern, dass Katzen hochklettern.
Die beste Hilfe für Vögel sei aber ein naturnah gestalteter Garten , sagt Stefan Bachmann von Birdlife. Bäume, Sträucher, Naturwiesen und Asthaufen bieten gute Verstecke. Zudem sind sie ein Lebensraum, wo Vögel und andere Wildtiere Nahrung finden. «Besonders wichtig sind Dornbüsche, in denen die Jungvögel vor Katzen sicher sind.»
Der Vogelschutzbund fordert derzeit keine vom Bund verordneten Schutzmassnahmen. Madeleine Geiger von SWILD hingegen wünscht sich eine Registrierungspflicht für Katzen. «Dann wüsste man genauer, wie viele Tiere es in einem Gebiet gibt, und könnte entlaufene Katzen ihren Besitzern zurückvermitteln, bevor sie verwildern.» Eine Katzensteuer würde ausserdem Geld für den Wildtierschutz bringen. «Ich bin überzeugt, dass die Artenvielfalt auch vielen Katzenhaltern am Herzen liegt.»
4 Kommentare
Ich kann mich Doris L. und Frau Emmenegger nur anschliessen!
Ja, auch ich bin Tier- und Naturverbunden, und ja, auch ich halte seit vielen Jahren Katzen. Vermutlich denken nun Einige, dass das nur von so Jemanden kommen kann... Aber auch ich bin der Meinung; Fangen wir doch erstmal beim Menschen an. Keine andere Spezies zerstört so kompromisslos seine eigene Lebensgrundlage! Von Tieren kenne ich jedenfalls keine einzige Gattung/Art die das tut, oder ist mir bisher noch nicht begegnet.
So auch Katzen.
Ich kann ebenfalls bestätigen was Doris L schon sagte: Wir sind vor 10 Jahren aufs Land gezogen, dachten wir können unsere Katzen gut und ohne Sorgen raus lassen...
Davor waren sie jedoch immer Hauskatzen... In all den Jahren (bis zu ihrem Ableben), haben nur zwei von den 4 überhaupt gejagt. Und immer brachten sie Nachhause was sie fingen. Darunter waren nur 5 Vögel in 8 Jahren. 2 konnte ich lebend und unverletzt frei lassen.
Was meine hauptsächlich Heim brachten sind Mäuse (Feld- und Wühl- Mäuse). Die Bauern in der Umgebung waren jedenfalls froh, denn es gab Jahre, da waren es so massiv viele, dass grosse Schäden entstanden... Und seien wir ehrlich: Die Katzen wurden ursprünglich zum Haustier um der Müseplage Herr zu werden, oder irre ich mich da? Dafür waren sie dann doch gut genug... Und viele der Probleme sind überhaupt erst wegen - vom Menschen verursachten Problemen entstanden, nämlich; das nicht kastrieren - das Aussetzen wenn man sich dem einst angeblich geliebten Tier entledigen will... und dies seit die Katze zum Haustier/Mäusejäger des Menschen wurde. Nur deshalb gibt es doch global überhaupt Mio von verwilderten Büsi's. Ein vom Mensch gemachte Problem!
Die Lösung vergiften und erschiessen; na super! Wie man in der CH auf eine Distanz von 300m kommt ist mir ebenfalls ein Rätsel. Katzen streifen viel weiter.
Mit diesen Hochrechnungen habe auch ich so meine Probleme! So sind sie meiner Meinung nach völlig überrissen und es ist brandgefährlich dies ohne jede weiterführende Infos weiterzuverbreiten!!! So wird eine Spezies schlicht verteufelt und zum Hassobjekt, ohne bewiesen zu haben, dass sich diese "Hochrechnungen" auch belegen lassen.
Ich habe inzwischen zwei neue Büsi's (aus dem Tierschutz). Aber sie sind keine Freigänger und werden es auch nie. Nicht wegen den Beutetieren, die sie vielleicht erwischen könnten, sondern wegen dem Menschen. Es ist nicht zu glauben wieviele hier auf dem Land, in einer 30er Zone (an die sich übrigens kaum einer, ausser den Anwohnern selbst hält) überfahren wurden...
Ich denke daher, wo es menschelt reduzieren sich andere Spezies automatisch... traurig!
Jetzt hört es aber auf!
Reduziert besser die Spezies Mensch, die mit Kriegen und Umweltverschmutzung unsere Erde zu Grunde richten.
Mich hat Ihr Artikel mit dieser reisserischen Überschrift sehr geärgert. Ja, ich gebe zu, ich liebe Katzen und habe seit meiner Kindheit immer mit Katzen zusammen gelebt. Sicher, sie sind Jäger, von Natur aus, und töten andere Kleintiere und leider auch Vögel, das stimmt. Aber gerade weil ich seit Jahrzehnten mit Katzen zusammen lebe, kann ich mit gutem Gewissen sagen, dass uns von all unseren Katzen, die gekommen und gegangen sind, maximal zwei Handvoll Vögel als Fangtiere heimgebracht wurden, von den ich gut die Hälfte noch lebend befreien und in die Freiheit entlassen konnte. Die Anzahl Mäuse als Beutetiere hingegen kann ich nicht benennen, da sie so zahlreich sind. Mäuse in den Gärten und im Haus werden aber auch vom Mensch bekämpft, oder ist dies heute anders? Wobei wir beim grössten Feind unserer Natur und den wildlebenden Tierarten angelangt sind, dem Menschen. Wie war das mit den Pestiziden in der Landwirtschaft, und neuerdings verifiziert auch im Trinkwasser, ganz legal? In Ihrem Artikel steht, die Vögel fliehen vom Land in die Städte, aufgrund der Pestizide in der Landwirtschaft. Und wer ist dafür verantwortlich? Die Katzen, weil sie nun auch in den Städten ihrem natürlichen Instinkt nachgehen? Ich glaube, ich kann mir die Antwort sparen.
Nur noch dies, als Tüpfelchen auf dem i für Vogelfreunde, ein Artikel über die Olivenernte zur Herstellung von Olivenöl, wo sich der Mensch einen Dreck um das Leben der Vögel schert, hier wird mir übel: https://www.stern.de/genu…?
utm_campaign&utm_source=facebook&utm_medium=mweb_sharing&fbclid=IwAR2oshlH5UMVC_b5cqOQ5ruVJHZ05Pic34kEMDPl71uaDiWWPyD_IxXCvZ0