«Fahrgemeinschaften haben sehr grosses Potenzial»
Fahrgemeinschaften mindern Staus und schonen die Umwelt. Mit Carpooling könnten bis zu 20 Prozent der Fahrkilometer eingespart werden, sagt ETH-Verkehrsexperte Kay Axhausen. Warum wird es so wenig genutzt?
Veröffentlicht am 26. November 2018 - 09:47 Uhr,
aktualisiert am 22. November 2018 - 11:57 Uhr
Beobachter: Die Staustunden in der Schweiz haben sich seit 2009 verdoppelt. Dennoch sitzen zu Stosszeiten durchschnittlich nur 1,1 Personen in einem Auto. Warum verändert sich da nichts?
Kay Axhausen: Wie oft fahren Sie gemeinsam mit einem Freund zur Arbeit?
Ich habe kein Auto.
Und wie oft fahren Sie mit Freunden im Bus oder im Zug zur Arbeit?
Nie, das wäre irgendwie umständlich.
Genauso geht es den Leuten, die Auto fahren. Die Koordination ist zu schwierig. Sie müssen jemanden finden, der zur selben Zeit ungefähr an denselben Ort will. Und selbst wenn Sie jemanden finden, ist noch lange nicht gesagt, dass Sie auch Lust haben, die Zeit mit jemandem zu teilen. Vielleicht wollen Sie mal 20 Minuten die Musik hören, die Ihr Mann nicht ausstehen kann. Oder einfach für sich sein.
Man will seine Freiheiten nicht aufgeben.
Darum werden hierzulande auch oft Autos gekauft, die man eigentlich nicht braucht. Auf unseren Strassen fahren so viele Mercedes und BMW. Wenn sich jemand ein solches Auto anschafft, will er sich das Pendeln möglichst angenehm gestalten – wieso sollte er danach darauf verzichten?
Braucht es mehr Anreize für Carpooling?
Carpooling funktioniert vor allem dort, wo sich Leute kein Auto leisten können oder die Kapazitäten auf den Strassen
nicht ausreichen. Autofahren ist in der Schweiz aber historisch gesehen immer billiger geworden, dazu verdienen wir im Mittel immer mehr. Will man diesen Trend wirklich kontern, wären harte Massnahmen nötig.
«In Singapur gibt es nur eine bestimmte Anzahl Nummernschilder. Diese werden dann in Tranchen versteigert.»
Kay Axhausen, Professor für Verkehrsplanung an der ETH Zürich
Zum Beispiel weniger Parkplätze beim Arbeitsplatz?
Oder bestimmte Fahrspuren nur für Autos, in denen mehrere Leute sitzen. Wenn man ganz radikal sein will, beschränkt man das Wachstum der Fahrzeugflotte. In Singapur gibt es nur eine bestimmte Anzahl Nummernschilder. Diese werden dann in Tranchen versteigert – ein Auto wird so mit den hohen Einfuhrzöllen gut dreimal so teuer wie der Einkaufspreis.
Mobilität nur noch für Reiche?
Man lässt den Konsumenten einfach spüren, welche Folgen sein Verhalten hat
. Danach kann er selber entscheiden, ob es ihm das wert ist.
Braucht es mehr Apps wie «Mobility-Carpool» oder «PubliRide»?
Es gibt schon zu viele Apps. Carpooling ist ein klassisches Beispiel für einen Markt, bei dem eine Zersplitterung der Kunden auf Dutzenden Plattformen unsinnig ist. Es braucht einen genug grossen Pool, um einen Fahrpartner zu finden.
Wie gross wäre überhaupt das Potenzial für Carpooling in der Schweiz?
Sehr gross. Wir haben für den Grossraum Zürich untersucht, wie viele Fahrgemeinschaften potenziell möglich sind. Man könnte 10 bis 20 Prozent der Fahrkilometer damit einsparen. Das Problem ist aber, dass der Beitrag in den Augen eines Einzelnen zu klein ist. Wenn Sie morgen anfangen, Carpooling zu machen, stehen Sie nicht weniger im Stau, und Sie sehen für die Umwelt keine Verbesserung. Dafür spüren Sie den Zusatzaufwand.
Wie beim Fliegen – was nützt es schon, wenn ich verzichte und alle anderen weiterfliegen?
Genau. Die grossen Gewinne werden erst sichtbar, wenn eine bestimmte Menge an Leuten mitmacht. Deshalb braucht es ein Umdenken in der Gesellschaft. Wie etwa beim Rauchen. Der stete Druck hat dort irgendwann dazu geführt, dass die Stimmung gekippt ist. Heute ist es nicht mehr normal, in Restaurants rauchen zu können. Aber dafür war ein jahrzehntelanger Prozess nötig. Bei Carpooling müsste es ähnlich laufen.