Standpunkt: E-Mobilität ist nur die halbe Lösung
Dann steht man halt elektrisch im Stau
Lange Staus gehören schon fast wie Hasen und Schoggieier zu den jährlichen Ostertraditionen von Herr und Frau Schweizer. Dass das immer öfter in Elektroautos passiert, macht die Lage nicht besser.
Veröffentlicht am 6. April 2023 - 11:15 Uhr
Jetzt stehen sie wieder. Aktuell am Gotthard, bei den Verladestationen in Kandersteg und Klosters-Selfranga oder am Grenzübergang Chiasso. Und ab Osterdienstag wieder am Brüttiseller Kreuz, vor dem Gubrist-Tunnel oder beim Berner Wankdorf. Heerscharen von motorisierten Mitbürgerinnen und -bürgern, die an Feiertagen das wiederholen, was sie schon in ihrem normalen Leben täglich praktizieren: im Stau stehen.
Bloss brummt bei Herrn und Frau Schweizers meist gehasstem (und selbst verschuldetem) Zeitvertreib nicht mehr zwingend der Benzinmotor. Zu hören ist in vielen Autos bestenfalls noch das diskrete Surren der Klimaanlage, denn der Trend im Fahrzeugmarkt ist klar: Knapp 18 Prozent aller verkauften Neuwagen hatten 2022 einen vollelektrischen Antrieb, weitere acht Prozent waren sogenannte Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge mit externer Lademöglichkeit. Die Tendenz: rasant steigend. 2022 fuhren fast achtmal mehr elektrisch betriebene Autos auf Schweizer Strassen als fünf Jahre zuvor.
Der Trend wird anhalten. Eben hat die EU-Kommission beschlossen, ab 2035 mit wenigen Ausnahmen nur noch Elektroautos zuzulassen. Angesichts der Marktmacht der EU ist es da bloss eine Fussnote, dass der Nationalrat in der Frühlingssession einen entsprechenden Vorstoss aus den Reihen der SP ablehnte. Elektroautos werden über kurz oder lang auch hierzulande die Strassen dominieren – und weiter verstopfen. Daran wird auch die vom Bundesrat vorgeschlagene Besteuerung der Elektroautos nichts ändern.
Elektroautos bedingen Ausbau der erneuerbaren Energien
Elektroautos sind bei genauerem Hinsehen nicht die ultimative Lösung des Problems – weder für die Umwelt noch für die Strassen. Denn wer elektrisch fährt, will nicht auf Luxus verzichten und auch nicht alle paar Kilometer eine Steckdose suchen. Elektroautos werden deshalb tendenziell grösser und – bedingt durch eine leistungsstärkere Batterie – schwerer.
Wenn der Trend zu immer schwereren Elektroautos anhalte, so werde nicht das volle Potenzial genutzt, das die Elektrifizierung des Individualverkehrs zur Reduktion der CO2-Emissionen beitragen könnte, warnte kürzlich ein Experte des Paul-Scherrer-Instituts. Um die Klimabilanz tatsächlich zu verbessern, müsse die rasante Zunahme bei Elektroautos einhergehen mit einem Ausbau der erneuerbaren Stromproduktion. Davon sind wir jedoch weit entfernt – allen Ausbauplänen zum Trotz.
Man muss zudem nicht an Ostern am Gotthard unterwegs sein, um zu sehen, dass Elektroautos das Mobilitätsproblem nicht lösen. Eine Velofahrt durch eine Schweizer Stadt zur Feierabendzeit reicht dazu völlig. Es wird immer enger auf den Strassen – weil immer mehr Autos unterwegs sind. Vor 20 Jahren waren in der Schweiz 3,7 Millionen Fahrzeuge zugelassen. Ende 2022 waren es 4,7 Millionen, satte 27 Prozent mehr. Die Bevölkerung wuchs im gleichen Zeitraum um lediglich 20 Prozent.
Strassenbau ist keine Lösung
Die Antwort von Politik und Verwaltung auf den ständig zunehmenden Individualverkehr erinnert fatal an die 1960er- und 1970er-Jahre: Man baut einfach die Kapazitäten aus. Die zweite Röhre am Gotthard und die geplante Verbreiterung der Grauholz-Autobahn bei Bern auf acht Spuren sind nur zwei Beispiele dafür. Man muss kein Prophet sein, um zu sagen: Auch dort wird man dereinst wieder stehen – einfach elektrisch statt fossil motorisiert.
Dennoch: Der Raum für neue Strassen ist in der kleinräumigen Schweiz endlich. Und die Klimafrage drängt. Was also tun? Auch hier lohnt sich ironischerweise ein Blick zurück in die 1970er-Jahre. Während eifrig betoniert und asphaltiert wurde, erarbeiteten schlaue Köpfe damals im Auftrag des Bundes eine sogenannte Gesamtverkehrskonzeption, in der die Verkehrspolitik mit der Raumplanung, der Wirtschafts- und der Energiepolitik zusammen betrachtet wurde. Obschon das Volk einen entsprechenden Verfassungsartikel ablehnte, profitieren wir heute davon: Die Bahn 2000 und die Neat waren direkte Folgen dieser Denk- und Planungsweise.
Angesichts von immer längeren Staus, verstopften Strassen und einer Klimakrise, die auch durch Elektroautos höchstens ein klein wenig gemildert werden kann, stellt sich die Frage, ob die Zeit nicht wieder einmal reif wäre für einen ähnlich grossen Wurf. Eine Gesamtverkehrs- und Klimakonzeption zum Beispiel. Allen Elektroautos zum Trotz.
2 Kommentare
Wir machen den zweiten Schritt vor dem Ersten. Zuerst schsffen wir neue Verbraucher und dann schauen wir mal, wo die Energie herkommt. Autos werden bei uns nach Gewicht versteurt. Je schwerer, desto höher die zu zahlende Steuer, da je nach Gewicht die Belastung der Strassen variiert.
E-Autos haben ein deutlich höheres Gewicht als Verbrenner und sind Steuerbefreit, da wir sie auf Teufel komm raus wollen (politisch).
Bravo, wirklich ein bis ins letzte Detail durchdachtes Konzept.
Es gibt nur einen Weg dem täglichen Verkehrswahnsinn wirksam entgegen zu steuern. Die Halbierung des Indiviualverkehrs, d.h. je nach Autokennzeichen, gerade oder ungerade Zahl, dürfen die Privatautos bewegt werden. Ausgenommen eindeutige Nutzfahrzeuge.