Diese Argumente kann man rauchen
Der Ständerat spricht beim neuen Tabakproduktegesetz von «Jugendschutz» – und schützt die Interessen einer Branche, die exakt das Gegenteil will. Scheinheiliger geht es nicht. Ein Standpunkt von Thomas Angeli.
Veröffentlicht am 21. Juni 2016 - 10:05 Uhr
Grossbritanniens Raucher müssen sich neuerdings mit hässlichen Bildern herumschlagen. Statt des Logos ihrer Zigarettenmarke prangen auf der Packung Fotos von Gefässkrankheiten und Krebs. Als erstes Land in Europa – erst als zweites überhaupt nach Australien – hat das Vereinigte Königreich das Plain Packaging eingeführt, die neutrale Packung ohne Logo.
Das Ziel: Insbesondere Jugendliche sollen dazu gebracht werden, mit dem Rauchen aufzuhören oder gar nicht erst anzufangen. Plain Packaging gilt als eine der besten Massnahmen dafür. Tabakkonzerne kritisieren das heftig und wollen ihre Position auch mit eigens bestellten Studien untermauern (siehe graue Box). Dennoch sind auch weitere Länder daran, Standardverpackungen für Zigaretten einzuführen.
Tabakstudien: Rauchpetarden der Uni Zürich
Die Uni Zürich soll zwei von der Tabakindustrie finanzierte Studien zurückziehen, fordert ein renommierter Präventionsexperte. Die Uni denkt nicht daran.
Eine Vorschrift für neutrale Verpackungen aber fehlt im neuen Tabakproduktegesetz, das der Ständerat in den vergangenen Tagen diskutiert hat. Auch in vielen anderen Punkten setzte der Bundesrat in einer Art vorauseilendem Gehorsam auf Bestimmungen, die der Tabakindustrie und ihren zugewandten Orten – Detailhändler, Kioske, Empfänger von Sponsoringgeldern et cetera – kaum schlaflose Nächte bereiten werden. Gemäss dem Gesetzesentwurf dürfen Tabakprodukte zwar künftig nur noch an Personen über 18 verkauft werden. Zudem wollte der Bundesrat verbieten, dass Zigarettenfirmen Veranstaltungen mit internationaler Ausstrahlung sponsern. Nationale Veranstaltungen hätten weiterhin für Tabakprodukte werben können.
Derzeit deutet alles darauf hin, dass Alain Berset dazu verdonnert wird, selbst diese milde Variante noch zu verwässern. Der Ständerat hat das Tabakproduktegesetz mit deutlicher Mehrheit an den Bundesrat zurückgewiesen. Dazu hat die Tabakindustrie im Hintergrund geschickt die Fäden gezogen. Sie selbst tritt kaum in Erscheinung, sondern lässt andere stellvertretend für sie weibeln.
Tabakwerbung ist nicht an mündige Bürger gerichtet. Sondern an möglichst junge.
Als eine der ersten Stimmen meldete sich nach dem Entscheid der kleinen Kammer die Allianz der Wirtschaft für eine massvolle Präventionspolitik (AWMP) – sehr befriedigt. Die Lobbygruppe wird vom Gewerbeverband orchestriert und vereint mehr als 25 Organisationen, neben Tabakfirmen auch Fleischfachverband, Solarien- und Kasinobetreiber. Wenn einer Branche staatliche Eingriffe drohen, kann sie auf die bedingungslose Unterstützung der anderen Mitglieder zählen, selbst wenn diese von der Intervention nicht mal am Rand betroffen sind.
Die AWMP bemüht denn auch «Eigenverantwortung», «mündige Bürger», «unverhältnismässige Werbeverbote». Und: «Ein starker und konsequenter Kinder- und Jugendschutz ist ohne die Revision des Tabakproduktegesetzes gegeben und unbestritten.»
Das ist Unsinn. Tabakwerbung richtet sich eben gerade nicht an mündige Bürger, sondern an möglichst junge. Darum die Präsenz der Glimmstängel-Werbung an Musikfestivals. Und die attraktiven jungen Leute, die am Wochenende vor Klubs und Bars Zigaretten-Gratismuster an jugendliche Partygänger verteilen. In Opernhäusern oder an Literaturfestivals ist die Dichte an Zigarettenwerbung jedenfalls deutlich geringer.
Kürzlich erklärte ein hoher Bundesbeamter im kleinen Kreis, er habe in seiner ganzen Amtszeit nie ein derart penetrantes Lobbying erlebt wie beim Tabakproduktegesetz. Offensichtlich waren die Einflüsterer erfolgreich: Die Argumente im Ständerat hörten sich teils an wie aus den Stellungnahmen der AWMP-Mitglieder kopiert. Und wenn die – bürgerlichen – Gegner des Gesetzes von «unbestrittenem Jugendschutz» sprachen, war das letztlich nicht viel mehr als zynisch: Wer die Jugend tatsächlich vor den Gefahren des Rauchens schützen will, hätte das Gesetz mit griffigen Massnahmen wie einem umfassenden Werbeverbot oder Plain Packaging verschärfen müssen, statt es zurückzuweisen.