Im Zweifel Grenzwerte beibehalten
Ein schneller Ausbau der Mobilfunktechnologie auf 5G ist nur zu haben, wenn die geltenden Grenzwerte für Antennenanlagen erhöht werden. Doch der Bundesrat ist gut beraten, die Sicherheit höher zu gewichten als das Tempodiktat der Telekomindustrie. Ein Kommentar von Beobachter-Chefredaktor Andres Büchi.
Veröffentlicht am 29. November 2019 - 13:59 Uhr
Endlich liegt er vor, der im Auftrag des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation vorgelegte Bericht «Mobilfunk und Strahlung». Der Bericht ist verständlich abgefasst und zeigt den Stand der Dinge zum umstrittenen Ausbau des Mobilfunknetzes auf die fünfte Generation 5G differenziert auf.
Zum wesentlichen Punkt, inwiefern Mobilfunkstrahlung generell und insbesondere die neue superschnelle Funktechnologie ein für Mensch und Natur gefährliches Potenzial birgt, bleibt der Bericht nüchtern und sachlich, ohne die kritischen Punkte zu verharmlosen. Er liefert damit ein gutes Fundament für die politische Beurteilung, wie die an Kapazitätslimiten stossende Mobilfunkversorgung ausgebaut, beziehungsweise für die Zukunft sichergestellt werden soll.
Tatsache ist: Eine funktionierende und schnelle Mobilfunkinfrastruktur ist für ein hochentwickeltes Land wie die Schweiz wirtschaftlich entscheidend. Die bestehenden Sendeanlagen in Städten und Agglomerationen nutzen heute die maximal zulässige Sendeleistung fast überall aus.
Mit andern Worten: Das Mobilfunknetz in diesen Regionen ist ausgelastet und hat kaum noch Reserven, den stets zunehmenden Datenverkehr zu bewältigen. Lediglich in ländlichen Zonen bestehen noch Ausbaumöglichkeiten der bereits stehenden Antennen innerhalb der heute geltenden Grenzwerte .
Tatsache ist aber auch: Hinsichtlich eventueller gesundheitlicher Wirkungen der 5G-Funktechnologie – speziell im noch nicht bewilligten, künftig erst anvisierten Millimeterwellenbereich – gibt es bis heute «keine abgeschlossenen wissenschaftlichen Studien». Untersuchungen von biologischen Auswirkungen der Mobilfunkstrahlung in allen bisher freigegebenen Frequenzbereichen sind uneinheitlich. Es gibt aber vereinzelte bis gut dokumentierte Hinweise auf folgende Effekte:
- erhöhtes Tumorrisiko im Kopfbereich
- verändertes Verhalten von Kindern (speziell Hyperaktivität)
- negative Auswirkungen auf die Qualität von Spermien
- nicht thermische Wirkungen auf die Hirnströme
- Zunahme von Krebserkrankungen bei Ratten und Mäusen mit bereits vorliegenden genetischen Defekten
- mögliche Störung der Chromosomenteilung
- erhöhte Zelltod-Raten aus Zellversuchen
Alle Studien zeigen aber ebenfalls deutlich und klar: Die grösste Belastung für den eigenen Körper ergibt sich immer aus dem eigenen persönlichen Nutzungsverhalten. Wer sein Handy intensivst nutzt (10 Gigabyte Datenupload pro Tag) setzt sich einer rund tausendmal höheren Strahlendosis aus als ein Wenig-Nutzer (100 Megabyte Upload pro Tag). Für rund 95 Prozent der Belastung, die auf unser Gehirn und unseren Körper einwirkt, sind wir selber verantwortlich durch unsere Nutzung von Nahfeldquellen wie Handy, Laptop und Tablets in Körpernähe.
Es bleiben die Unsicherheiten über biologische Effekte auf unsere Gesundheit, speziell was mögliche Langzeitfolgen elektromagnetischer Strahlung auch in geringen, aber permanenten Dosen betrifft. Das Umweltschutzgesetz legt klar fest, dass Grenzwerte sicherstellen müssen, «dass die Immissionen weder schädlich sind noch das Wohlbefinden erheblich beeinträchtigen». Diesen Unsicherheiten trägt die heutige schweizerische Regelung deshalb vorsorglich Rechnung mit den geltenden, im internationalen Vergleich tiefen Anlagegrenzwerten.
Es gibt keinen Grund, diese vorausschauende und vorsichtige Politik im Interesse des Gesundheitsschutzes vorschnell den lautstark reklamierten Bedürfnissen der Telekom-Industrie zu opfern.
Natürlich muss die Schweiz im technologischen Bereich international wettbewerbsfähig bleiben. Eine schnelle, funktionierende Mobilfunkinfrastruktur gehört zweifellos dazu. Doch den Anbietern stehen auch andere Möglichkeiten offen, die an Kapazitätsgrenzen stossende Infrastruktur zu entlasten zugunsten schnellerer Datenautobahnen. Denn längst nicht alles, wofür wir den Mobilfunk heute brauchen, erscheint auch als sinnvoll und nötig im Interesse einer wirtschaftlich kompetitiven Schweiz.
Lorenz Hilty, Professor am Institut für Informatik und Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Zürich, schlägt vor, Flatrates durch Preise für effektiv verbrauchte Datenmengen zu ersetzen. Damit könnte das Netz von Spam und unnötigem Datenmüll entlastet werden, und es würden Kapazitäten frei für dringender benötigten Datenverkehr. Damit, so Hilty, würde ein weiterer durchaus wünschbarer Effekt erzielt: Die Klimabelastung durch den Stromverbrauch des Internets würde «automatisch abnehmen».