Am 9. Februar 2020 findet die Abstimmung über die Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm auf sexuelle Orientierung statt (Antworten auf die wichtigsten Fragen Mehr Schutz für Schwule, Lesben und Bisexuelle Darum gehts bei der Abstimmung zur Anti-Rassismus-Strafnorm ). Die Gegner des Gesetzes fürchten, es führe zu Zensur. Im Interview ordnet Rechtsprofessor Matthias Mahlmann ein, wie es um die Meinungsfreiheit in der Schweiz steht. 

 

Beobachter: Gibt es Grenzen für die Meinungsfreiheit?
Matthias Mahlmann: Natürlich gibt es Grenzen. Und das akzeptiert auch jeder. Etwa, dass man jemand anderen nicht persönlich herabsetzen und beleidigen darf. Die Frage ist nur, wo diese Grenzen verlaufen. 

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Für die Gegner des Gesetzes ist die Grenze überschritten, sie sprechen von Zensur.
Zensur ist eine vorgängige systematische Inhaltskontrolle. Klassischerweise von Publikationen, aber auch von anderen Äusserungsformen. In der Schweiz ist das kein Problem. Es gehört zum Beispiel zur Meinungsfreiheit sagen zu können, dass die vorliegende Gesetzesänderung ein «Zensurgesetz» sei. 


Ist es nicht etwas zufällig, dass Homo- und Bisexuelle besser geschützt werden sollen und nicht andere Personengruppen wie Übergewichtige oder Alte?
Nein, diese Erweiterung ist nicht willkürlich. Es ist wichtig, den Unterschied zu verstehen: Dass es Gewalt gegen gleichgeschlechtlich orientierte Menschen gibt, ist empirisch belegt und schrecklich. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass wenn zu Hass aufgestachelt wird, das konkret Gewalt nach sich ziehen kann. Würde jemand gegen Juraprofessoren hetzen, wäre das ganz anders, denn wir sind keine bedrohte Minderheit. Die Worte haben dann eine völlig andere Bedeutung.  


Wann ist Witz und Satire strafbar?
Das ist schwierig zu sagen! Grundsätzlich muss man sich um die Zukunft von Witz und Satire keine Sorge machen. Dem Humor wird in der Schweiz definitiv nicht der Garaus gemacht. Es gibt eine Fülle von Gerichtsentscheiden aus der ganzen Welt, die versuchen, die Grenze zu ziehen. Schlussendlich kommt es auf den Zusammenhang an. 


Zum Beispiel?
Der Fall des Juso-Plakats bei der 1:12-Initiative vor einigen Jahren. Die Juso karikierte Brady Dougan, Oswald Grübel und Daniel Vasella halbnackt in einer Fotomontage, oben auf dem Plakat stand «Abzocker, zieht euch warm an!». Vasella klagte dagegen, die Juso bekamen vor Bundesgericht jedoch Recht. Die Begründung: Das Plakat habe nicht auf die Privatpersonen gezielt, sondern es sei um eine konkrete Botschaft in einer politischen Debatte gegangen. 


Die Meinungsfreiheit war wichtiger als die mögliche Ehrverletzung .
Genau. Natürlich gibt es schwierige Grenzfälle, aber es gibt auch robuste Kriterien um festzumachen, ob Witze noch in Ordnung sind: Richtet man sich mit einer Satire gegen eine Sache, ist es ein politisches Statement? Oder will man eine Person gezielt herabsetzen? Wer sich auf politische Inhalte bezieht, hat viel mehr Spielraum, um sich zu äussern. Deshalb müssen Personen im öffentlichen Leben in der Regel mehr aushalten, weil meist nicht sie als Privatpersonen gemeint sind, sondern die Politik, für die sie stehen. 


Wie merkt man, dass die Meinungsfreiheit zu stark eingeschränkt worden ist?
Eine klare Schwelle ist überschritten, wenn man für harmlose Äusserungen im Gefängnis landet. Klassische Beispiele für Staaten mit offenen Repressionsmassnahmen sind Russland oder die Türkei. Man muss nicht einmal direkt von solchen Repressionen betroffen sein, damit sie wirken. Auch unter dieser Schwelle kann es Eingriffe in die Meinungsfreiheit Antirassismusgesetz Was darf man noch sagen? Und was nicht? geben, zum Beispiel der berühmte «chilling effect». Damit ist der Effekt gemeint, bei dem Leute abgeschreckt werden etwas zu tun oder zu sagen – ohne unmittelbare Sanktionen, aus Angst aber vor möglichen Folgen. Wenn man für eine robuste Meinungsfreiheit ist, muss einem sowas Sorgen machen. 


Aber auch in der Schweiz riskiert man bei einem Verstoss gegen die Anti-Rassismus-Strafnorm eine Gefängnisstrafe. 
Ja, das stimmt, das hat aber eine völlig andere Qualität hierzulande. Die Regeln lassen Raum genug, um im Zweifelsfall für die Meinungsfreiheit zu entscheiden, was die Gerichte auch tun. Rein politische Äusserungen sollten überhaupt keine rechtlichen Konsequenzen haben, und das haben sie in der Schweiz auch nicht. In dieser Hinsicht funktioniert unser Rechtssystem gut. Und zum Glück schützt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte energisch dieses Gut! 


Die Gegner des vorliegenden Gesetzes sprechen aber auch in der Schweiz von Gesinnungsjustiz.
Nein, das ist es definitiv nicht. Es wird nicht bestraft, was man denkt, sondern was man tut. Das ist für das Strafrecht prägend und wichtig. Man kann sich auch weiterhin kritisch zu bestimmten Lebensformen äussern. Man darf einfach nicht zu Hass aufrufen. Das ist ein offensichtlicher Unterschied: Hass oder Lebensform-Kritik. Selbstverständlich sollen alle weiterhin scharfe politische Kritik äussern dürfen. Unbedingt! Man soll sagen können, dass die «Ehe für alle» Homosexualität «Ich habe Mühe mit der Ehe für alle» eine schlechte politische Entscheidung ist. Aber darum geht es hier nicht, sondern um Hass. Auch die Kritiker des Gesetzes werden der Meinung sein, dass man nicht wegen ihrer politischen Einstellung zu Hass gegen sie aufrufen darf. Die Meinungsfreiheit wird nicht eingeschränkt, wenn man Hassaufrufe verbietet. Das ist ehrlich gesagt ziemlich weit hergeholt: Damit zollen sie unserer intakten demokratischen Kultur nicht den Respekt, den sie verdient. 


Dann sorgen Sie sich also nicht um die Meinungsfreiheit hierzulande?
Man wird mich häufig auf der Seite derjenigen finden, die gegen eine Einschränkung der Meinungsfreiheit kämpfen. Aber in diesem Fall kann ich keine Einschränkung der Meinungsfreiheit erkennen. Immer wichtig ist die Testfrage: will man laut sagen können «Ich will zum Hass auf Schwule und Lesben aufrufen dürfen»? Also – ich will das nicht. Stellen Sie sich vor, gegen Sie wird gehetzt, Ihnen wird womöglich grundsätzlich das Menschsein abgesprochen. Würden Sie das dulden? Ich bin sehr sicher, dass das auch die Kritiker – zu Recht – nicht akzeptieren würden. 

Zur Person

Matthias Mahlmann

Matthias Mahlmann ist Professor für Philosophie und Theorie des Rechts, Rechtssoziologie und Internationales Öffentliches Recht an der Universität Zürich.

Quelle: ZVG
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