Essen retten, Steuern sparen
Lebensmittel zu spenden, ist teurer und riskanter, als sie wegzuwerfen. Ein CVP-Ständerat will das ändern. Mit einer Steuerreform.
Veröffentlicht am 3. Dezember 2020 - 14:44 Uhr
In der Schweiz landen zu viele einwandfreie Esswaren im Abfall. Ein Drittel der Lebensmittel schafft es nicht vom Feld auf den Teller. 2,8 Millionen Tonnen Foodwaste fallen so jedes Jahr an. Das ist teuer, unnötig und schlecht für Klima und Umwelt.
Aktionen zum Retten von Gemüse, Foodsave-Bankette oder Apps wie «Too Good to Go» sind sehr beliebt. Doch eine Trendwende beim Foodwaste ist nicht in Sicht. Gewisse Aktionen könnten sogar kontraproduktiv sein, weil sie das Problem zu wenig an der Wurzel packen und damit zum Erhalt des jetzigen Systems beitragen, sagen Kritiker. Klar ist: Die Zeit drängt, und die Politik lässt mit Lösungen auf sich warten.
Das will CVP-Ständerat Peter Hegglin ändern. Er fordert mit einer Motion, dass man Lebensmittelspenden an gemeinnützige Organisationen von der Steuer absetzen kann. «Heute ist Spenden wirtschaftlich und administrativ weniger attraktiv als Wegwerfen. Das ist doch absurd», sagt Hegglin. Mit steuerlichen Anreizen will er dafür sorgen, dass das Spenden von Lebensmitteln finanziell mindestens so interessant ist, wie sie zu entsorgen. Damit liessen sich gleich mehrere gesellschaftspolitische Probleme lösen.
Schon heute spenden viele Lebensmittelhersteller und der Detailhandel regelmässig. In der Praxis gibt es aber Hürden, etwa Kosten für Verpackungen, zeitaufwendige Administration, Organisation sowie Lagerungs- und Kühlvorschriften, die eingehalten werden müssen.
Die Agrargenossenschaft Fenaco (Volg, Landi) zum Beispiel spendet Haltbares wie Getränke, Fleischwaren oder Tiefkühlprodukte, deren Verpackung beschädigt ist oder die sich aus saisonalen Gründen nicht verkaufen lassen. Oft scheitere es aber am Lebensmittelgesetz, sagt Urs Vollmer, Projektleiter Nachhaltigkeit bei Fenaco. «Juristisch ist es sicherer, Lebensmittel wegzuwerfen, statt sie zu spenden, weil wir als Hersteller und Detailhändler auch bei einer Spende für die einwandfreie Qualität der Produkte geradestehen.»
In vielen Fällen lasse sich aber mit vertretbarem Aufwand einiges bewegen. «Unsere Tochtergesellschaft Frigemo entsorgte früher Pommes frites oder Croquetten, die nicht exakt den Kundenvorgaben entsprachen. Heute werden sie gespendet.» Frigemo brachte mit einer Investition von 10'000 Franken in die Abpackung Lebensmittel im Wert von 200'000 Franken zurück in den Kreislauf. «Das ist eine Verzwanzigfachung der Wertschöpfung. Wir finden das lohnenswert.» Das Problem: Solche Initiativen sind ein Verlustgeschäft. Nicht jede Firma will die notwendigen Mittel in die Hand nehmen.
Peter Hegglins parlamentarischer Vorstoss geht auf die Arbeitsgruppe «Foodsave 2025» zurück. Gegründet wurde sie von Alex Stähli, Geschäftsführer von «Tischlein deck dich». Die Organisation verteilt wöchentlich an rund 20'000 Armutsbetroffene in der ganzen Schweiz und in Liechtenstein Lebensmittelspenden aus Landwirtschaft, Industrie und Detailhandel.
Pro Jahr werden über Organisationen wie «Tischlein deck dich» und «Schweizer Tafel» etwa 10'000 Tonnen Lebensmittel an Bedürftige weitergegeben. «Das ist aber nur ein Tropfen auf den heissen Stein. Das ungenutzte Potenzial ist enorm, es könnten eigentlich nur schon vom Detailhandel mindestens 100'000 Tonnen Lebensmittelspenden verwertet werden», sagt Stähli.
620 Franken pro Kopf und Jahr – für so viel Geld landen Lebensmittel in der Schweiz im Abfall.
foodwaste.ch
Aus diesem Grund setze sich seine Arbeitsgruppe dafür ein, dass systematisch Barrieren für Spendewillige abgebaut werden. «Mit den meisten heutigen Massnahmen gegen Foodwaste kratzt man nur an der Oberfläche. Ein steuerlicher Anreiz für Spenden könnte aber eine grosse Hebelwirkung entfalten», sagt Stähli. Hersteller und Handel könnten damit zwar nicht die Margen verbessern und müssten gespendete Produkte wie bisher abschreiben. «Aber immerhin würde der Zusatzaufwand honoriert. Damit der Goodwill nicht noch mit Mehrkosten verbunden ist.»
Bei «Foodsave 2025» engagiert sich auch Lorenz Hirt, Geschäftsführer der Föderation Schweizerischer Nahrungsmittel-Industrien. Er sagt: «Lebensmittelverschwendung zu verringern, ist ein drängendes Bedürfnis in der Industrie. Und wir haben Aufholbedarf.» Übrig gebliebene Produkte einfach in den Container zu werfen oder zur Biogasanlage zu karren, sei ethisch und ökologisch Blödsinn – aber wirtschaftlich oft interessanter als spenden. Ein Fehler.
«Spenden soll nicht profitabel sein, es geht uns nicht ums Steuersparen. Am Ende muss es nicht einmal eine schwarze Null geben, aber immerhin weniger negative Auswirkungen haben als heute», sagt Hirt.
Wie viel steuerliche Anreize bringen, zeigt ein Blick ins nahe Ausland. In Frankreich können 60 Prozent des Werts des gespendeten Produkts von der Steuer abgezogen werden, in Spanien 35 Prozent. In Italien wurde 2016 ein Gesetz zur Förderung von Lebensmittelspenden inklusive steuerlicher Anreize eingeführt. Seitdem haben sich die Spenden des Detailhandels verdreifacht. Solche Regelungen wirken sich positiv aus, hält die EU-Kommission in einem Bericht fest.
Infografik
Der Ständerat hat Peter Hegglins Motion bereits im Herbst zugestimmt. Das Geschäft kommt voraussichtlich im Frühling 2021 in den Nationalrat.
Dagegen ausgesprochen hat sich der Bundesrat. Seiner Meinung nach ist die Steuerpolitik der falsche Ort, um Foodwaste zu bekämpfen. Die Schweiz habe sich mit der UN-Agenda für nachhaltige Entwicklung verpflichtet, Nahrungsmittelverluste bis 2030 zu halbieren. Der Bundesrat erarbeite deshalb einen Aktionsplan gegen die Verschwendung von Lebensmitteln und passe parallel das Lebensmittelgesetz an. Bevor man sagen könne, wie effizient die verschiedenen Massnahmen des Aktionsplans sind, solle man nicht vorpreschen.
Dieses Argument lässt Claudio Beretta nicht gelten. Der Präsident des Vereins Foodwaste.ch sagt: «Das UN-Ziel, bis 2030 die Nahrungsmittelverluste zu halbieren, ist derart ambitiös, dass wir keine Zeit verschwenden sollten.» Zudem wisse man aus Studien, dass Lebensmittelspenden sehr effektiv sind und man sie darum fördern sollte. «Der Klimanutzen ist zwölfmal grösser als der Klimaschaden durch zusätzliche Logistik, Kühlung und Verteilung – weil weniger Lebensmittel produziert werden müssen», sagt Beretta. «Auch wirtschaftlich ist es ein klarer Fall. Schätzungen zeigen, dass man mit einem in die Verteilung der Spenden investierten Franken Lebensmittel im Wert von 13 Franken retten kann.»
Ein rechtliches Hindernis ist auch die «Zu verbrauchen bis»-Regelung: Wenn das Datum überschritten ist, dürfen Produkte heute nicht mehr verteilt werden. «Wir wollen überprüfen, ob das aus Gründen der Lebensmittelsicherheit wirklich bei allen Produkten gerechtfertigt ist. Sonst soll das Datum durch die Formulierung ‹Mindestens haltbar bis› ersetzt werden», sagt Claudio Beretta. Er erarbeitet an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften zwei neue Leitfäden für die Datierung und das Spenden von Lebensmitteln – im Auftrag des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen.
Mit der Weiterentwicklung dieser Leitfäden könne man viel mehr Lebensmittel retten und verteilen, sagt «Tischlein deck dich»-Chef Alex Stähli. «Wir müssen die Spenderbarriere für gewisse Produkte senken. Aber zugleich müssen wir dafür sorgen, dass die Produkte sicher bleiben. Denn Armutsbetroffene haben genauso das Recht, sichere Lebensmittel zu bekommen, wie alle anderen Konsumentinnen und Konsumenten.»
Was ist Foodwaste?
Unter Foodwaste versteht man, wenn für den Menschen produzierte Lebensmittel nie auf dem Teller landen, sondern vorher weggeworfen werden. Dabei wird zwischen vermeidbaren und unvermeidbaren Lebensmittelabfällen (Knochen, u.a.) unterschieden. Zu Foodwaste zählt man etwa aussortierte unförmige Früchte, ungenutzte Nebenprodukte wie Innereien, Buffetüberschüsse oder Essensreste.
Sind Rüstabfälle auch Foodwaste und wie wird Foodwaste überhaupt verursacht? Welche Art von Foodwaste belastet die Umwelt besonders stark? Weitere Informationen finden Sie auf der Info-Seite des Vereins foodwaste.ch.