Wie wird Facebook die Wahlen in der Schweiz beeinflussen?
Donald Trump hat seine Wahl angeblich Facebook zu verdanken. Ist so etwas auch in der Schweiz möglich? Der Zürcher Experte Fabrizio Gilardi gibt Auskunft.
Veröffentlicht am 15. März 2019 - 12:41 Uhr,
aktualisiert am 15. März 2019 - 16:01 Uhr
Beobachter: Fake News auf Facebook sollen vor drei Jahren die Wahl von US-Präsident Donald Trump entschieden haben. In England soll über soziale Medien die Brexit-Abstimmung manipuliert worden sein. Im Herbst wählt die Schweiz das Parlament. Wie werden die sozialen Medien diese Wahlen beeinflussen?
Fabrizio Grimaldi: Vor Einflüssen aus dem Ausland müssen wir uns nicht fürchten. Neuere Studien zeigen, dass Fake News auch in den USA kein Massenphänomen waren. Mehrheitlich ältere und rechtsextreme Menschen lasen und teilten Fake News
. Generell gilt: Wenn eine Person SVP wählt, wird sie nicht wegen der sozialen Medien plötzlich eine andere Partei wählen. Soziale Medien haben selten genug Macht, die Meinung einer Person direkt zu ändern
Das ist das Gegenteil von dem, was man über den Einfluss sozialer Medien
liest.
Die direkten Effekte sind gering, aber das heisst nicht, dass soziale Medien den Wahlkampf nicht beeinflussen. Man darf sie auf keinen Fall unterschätzen. Im Gegenteil, sie können bestimmen, worüber gesprochen wird. Wenn es eine Partei schafft, mit ihren Themen und Ansichten Debatten zu bestimmen, kann sie Wählende hinter sich vereinen. Über diesen Umweg ist es also möglich, dass eine Partei mit Hilfe der sozialen Medien am Ende als Gewinnerin dasteht.
Wer kann denn in den sozialen Medien den Ton angeben?
Theoretisch kann jeder mit hohem Tempo Themen auf die politische Agenda bringen. Man kann über die sozialen Medien die traditionellen Medien und Parteien einfacher umgehen. Viel mehr Leute haben die Möglichkeit, zu sagen: Liebe Politiker, wir haben dieses Problem, das müssen wir lösen. Wenn es einen Aufschrei in den sozialen Medien
gibt, dann geht das an der Politik nicht spurlos vorbei.
Momentan beschäftigt der Klimawandel die Parteien. Wird dieses Thema den Wahlkampf verändern?
Ob der Klimawandel die Debatte im Wahlkampf noch dominieren wird, kann man momentan nicht sagen. Es dauert noch lange bis dahin. Es ist auch schwierig vorauszusagen, welche Kampagnen und Ansichten ankommen. Man kann das mit einem Youtube-Hit vergleichen. Niemand ahnte, dass der Song «Despacito» einmal das meistgeschaute Video auf Youtube
werden würde. In der Politik ist das nicht sehr anders. Themen, die den Wahlkampf beschäftigen, hängen immer auch von Ereignissen aus dem Ausland ab.
«Wenn eine Person SVP wählt, wird sie nicht wegen der sozialen Medien plötzlich eine andere Partei wählen.»
Fabrizio Gilardi, Professor für Politik-Analyse an der Uni Zürich
Die traditionellen Schweizer Parteien sind auf sozialen Medien vergleichsweise wenig aktiv. Warum?
Die Parteien nutzten bisher vor allem Plakate und Inserate. Zum Beispiel war die SVP als ressourcenstarke Partei bisher nicht so sehr auf soziale Medien angewiesen und sah sich nicht gezwungen, ihre Kampagne darauf abzustimmen. Auch in Zukunft wird es nicht ohne Plakate am Bahnhof gehen. Trotzdem werden soziale Medien eine immer grössere Rolle spielen. Ich denke, dass wir im kommenden Wahlkampf einen Sprung nach vorn sehen werden.
Woran scheitern Parteien in den sozialen Medien?
Es könnten Know-how und Ressourcen sein. Daten allein nützen relativ wenig. Um sie auszuwerten, ist ziemlich viel Wissen notwendig. Gewisse Parteien können diese Mittel einkaufen, andere müssen zuerst noch eigenes Know-how aufbauen. Nur wer diese Ressourcen hat, wird die gewonnenen Daten effektiv nutzen können. Deshalb gehe ich davon aus, dass die Möglichkeiten, die soziale Medien bieten, in Zukunft noch stärker genutzt werden. Wir bewegen uns immer mehr in einer digitalen Welt, das spürt man in der Politik.
Wie werden die Parteien und Kandidaten Facebook & Co. nutzen?
Die Parteien werden Werbung in den sozialen Medien schalten, denn das ist billig und einfach, und man ist flexibel. Wenn man Plakate drucken lässt, kann man hinterher nichts mehr ändern. Bei Facebook-Kampagnen ist das anders. Die Parteien können verschiedene Werbebotschaften parallel laufen lassen, schauen, was besser funktioniert, und dann nur die erfolgreichste Kampagne weiterverfolgen. Mit wenigen Hundert Franken ist man dabei und kann seine Werbung für bestimmte Zielgruppen
aufschalten. Mit wenigen Klicks lässt sich so gezielter werben, und man erhält ein Feedback, wie oft Nutzer die Werbung anklickten. Wenn ich Kandidat wäre, würde ich das so machen.
Das britische Parlament sieht in dieser personalisierten Werbung, die nicht für alle sichtbar ist, eine Bedrohung für die Demokratie. Eine begründete Sorge?
Die aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu personalisierter Werbung stammen von den US-Zwischenwahlen im letzten Herbst. Erstaunlicherweise haben über 40 Prozent der Studienteilnehmer während der drei Wochen vor den Zwischenwahlen überhaupt keine politische Werbung auf Facebook
zu Gesicht bekommen. Wenn man bedenkt, wie viel Geld in den USA in politische Kampagnen investiert wird, finde ich das schon sehr überraschend. Deshalb würde ich davon ausgehen, dass in der Schweiz noch weniger Leute politische Werbung in den sozialen Medien sehen werden.
«Ich bin der Ansicht, dass man Facebook mit Gesetzen regulieren muss. Die Schweiz ist aber zu klein, um da etwas zu bewirken.»
Fabrizio Gilardi, Professor für Politik-Analyse an der Uni Zürich
Trotzdem: Wenn die Werbung an den traditionellen Kanälen vorbeigeschleust wird und jeder andere Werbung sieht, schwindet der Wahlkampf aus der Öffentlichkeit. Was sind die Folgen?
Es gibt Bedenken wegen Filterblasen. Personen kommen darin nur noch mit Informationen in Kontakt, die ihren eigenen Ansichten entsprechen. Das kann durch personalisierte Werbung geschehen oder durch Algorithmen
, wie sie soziale Medien einsetzen. Bislang hat man angenommen, dass Filterblasen zu einer stärkeren Polarisierung führen, da Personen innerhalb dieser Blasen von anderen Meinungen isoliert sind. Neuere Untersuchungen zeigen aber, dass diese Wirkung überschätzt wird.
Dennoch wird immer öfter gefordert, dass Facebook reguliert wird. Ist das bloss ein verzweifelter Versuch, den Technologieriesen zu zähmen?
Es ist eine Illusion, zu denken, dass sich Facebook an einen unverbindlichen Verhaltenskodex halten wird. Ich bin deshalb der Ansicht, dass man Facebook mit entsprechenden Gesetzen regulieren muss. Die Schweiz allein ist aber zu klein, um da etwas zu bewirken. Die EU könnte dagegen eine führende Rolle übernehmen. Die Datenschutz-Grundverordnung, die letztes Jahr in Kraft trat, weist in die richtige Richtung. Im Moment wissen wir aber schlicht zu wenig über die Wirkung von Social Media
im politischen Bereich. Wie effektiv ein neues Gesetz wäre, ist deshalb fragwürdig. Wenn wir die Probleme zu wenig genau kennen, können wir sie vermutlich auch nicht richtig lösen. Ich kann verstehen, dass sich die Leute Sorgen um ihre Demokratie machen und sich Regulierungen wünschen. Und es stimmt, dass soziale Medien eine Gefahr für die Demokratie sind. Nur: Wie gross das Problem ist und wo es genau liegt, das müssen wir zuerst untersuchen.
Die Wissenschaft muss also Resultate liefern. Wieso fehlt es im Moment noch an verlässlichen Ergebnissen?
Für mehr Forschung brauchen wir erst mal die Daten. Die rückt Facebook nur zögerlich und begrenzt heraus. Auch wir versuchen momentan, von Facebook mehr Daten zu bekommen für unser digitales Demokratie-Laboratorium. Während der heissen Phase des Wahlkampfs werden wir einen wöchentlichen Bericht über online und offline geführte Debatten verfassen. Danach entscheiden wir, wie wir das Projekt weiterentwickeln. Wir haben unsere Arbeit erst begonnen. Bald werden wir mehr über dieses Thema wissen.