Swisscom, Prämienverbilligung, Arbeitslose
Wurde die Schweiz diese Woche gerechter, transparenter, fortschrittlicher? Und wo gings rückwärts? Der Nachrichtenüberblick des Beobachters für die Woche vom 22. April 2024.
Liebe Leserinnen und Leser
Willkommen zu «Das war richtig wichtig». Hier ordnen wir die wichtigsten Nachrichten der vergangenen Woche für Sie ein.
Diesmal:
- Prämienverbilligung: Viele fordern ihr Recht nicht ein – warum?
- Swisscom: Wettbewerbskommission erzwingt Glasfaser-Öffnung
- Arbeitslos im Alter: Bundesgericht fällt Leitentscheid zu Überbrückungsleistungen
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Botschaften sind die Aushängeschilder eines Landes – oft Prunkbauten an bester Adresse. Die ständige Vertretung von Pakistan in Genf liegt in einer ruhigen Seitenstrasse, ein paar Minuten zu Fuss vom Völkerbundpalast. Doch hinter ihrer sauberen Fassade sind angeblich philippinische Hausangestellte jahrzehntelang ausgebeutet, gemobbt und um Lohn geprellt worden. So erzählten es diese Woche zwei Philippinerinnen der Zeitung «20 Minuten».
«Wir dienten ihnen jahrelang mit ganzem Herzen – sie warfen uns weg wie Abfall.» – Rosaria, Hausangestellte in Genf
Die beiden haben ihre ehemaligen Arbeitgeber nun verklagt. Allerdings stehen ihre Chancen nicht sehr gut: denn Diplomaten geniessen weitgehende Immunität. Die Botschaft bestreitet die Vorwürfe. Wir erlauben uns trotzdem, den geschätzten Diplomaten diesen Text nahezulegen:
⇒ Jetzt lesen: Was bei der Anstellung einer Haushaltshilfe gilt
Prämienverbilligung: Viele fordern ihr Recht nicht ein – warum?
Darum gehts: Krankenkassen berechnen die Prämien unabhängig vom Einkommen und vom Vermögen der Versicherten. Personen mit wenig Geld haben deshalb Anspruch auf eine individuelle Prämienverbilligung (IPV). Nun zeigt sich aber: Oft wird diese staatliche Unterstützung gar nicht angefordert.
Warum das wichtig ist: Im Kanton Glarus etwa forderte ein Viertel der anspruchsberechtigten Personen die IPV nicht ein – «freiwillig», wie der Regierungsrat vermutete. Ganz freiwillig dürfte der Verzicht auf die IPV nicht sein. Denn: In 19 der 26 Kantone muss sich der Versicherte innerhalb einer bestimmten Frist selbst um den Antrag auf Verbilligung kümmern. GLP-Nationalrat Patrick Hässig glaubt, viele seien mit der Bürokratie überfordert, und will deshalb mit einer Motion erreichen, dass die IPV den Anspruchsberechtigten automatisch ausbezahlt wird.
Das sagt der Beobachter: Die Krankenkasse belastet Geringverdiener sehr stark. Darum greift ihnen der Staat unter die Arme. Wenn IPV-Berechtigte diese nicht einfordern, spart die Allgemeinheit nur vermeintlich Geld. Denn wenn die Hilfe nicht ankommt, belastet dies andere Systeme, etwa das Gesundheitssystem, weil Menschen an der Armutsgrenze Arztbesuche häufig so lange hinauszögern, bis es nicht mehr geht. Ob Sie Anspruch haben und wie Sie diesen einfordern, erklären wir hier:
⇒ Jetzt lesen: Wie erhält man Prämienverbilligung?
Über «Das war richtig wichtig»
Was hat die Schweiz diese Woche gerechter, transparenter, fortschrittlicher gemacht? Und wo gings eher rückwärts? Wo weiterlesen, wenn Sie es genauer wissen möchten? Wir liefern Ihnen immer freitagmittags drei bis vier wirklich wichtige Nachrichten – kompakt, verständlich und mit Haltung aufgeschrieben. Auch als E-Mail abonnierbar.
Swisscom: Wettbewerbskommission erzwingt Glasfaser-Öffnung
Darum gehts: Die Swisscom hat seit 2020 Glasfaser-Infrastruktur gelegt, welche die Konkurrenz nicht nutzen kann. Damit wollte sie sich eine Monopolstellung sichern, sagt die Wettbewerbskommission (Weko) – und büsst die Swisscom mit 18 Millionen Franken.
Warum das wichtig ist: Wichtiger als die – vergleichsweise milde – Busse sind die Auflagen, welche die Weko der Swisscom nun macht. Diese muss ihre Infrastruktur so um- und ausbauen, dass andere Anbieter ebenfalls Daten darüber verschicken können. Das ist gut für die Konsumenten. Die Weko ist in ihrer Mitteilung zum Entscheid sehr deutlich: «Die bedeutendsten Innovationsschübe und Preissenkungen auf dem Glasfasernetz gingen bisher von Konkurrentinnen und nicht von Swisscom aus. Das wäre künftig nicht mehr möglich gewesen.»
Das sagt der Beobachter: Dieser Entscheid ist eine wichtige Etappe im sogenannten Glasfaserstreit. Fakt ist, dass die Swisscom mit ihrer ruppigen Geschäftspraxis bereits seit Jahren mit der Verwaltung und Konkurrenten im Clinch liegt. Dank der Intervention werden die Konsumentinnen und Konsumenten künftig einfacher tun können, was im Mobilfunk ganz normal ist: den Anbieter wechseln.
⇒ Jetzt lesen: Wetten, Sie zahlen zu viel?
Arbeitslos im Alter: Bundesgericht fällt Leitentscheid zu Überbrückungsleistungen
Darum gehts: Ältere Arbeitslose haben Anspruch auf Überbrückungsleistungen. Und zwar auch dann, wenn sie vor dem 60. Geburtstag einen übermässigen Anteil ihres Vermögens aufgebraucht haben. Das hat das Bundesgericht entschieden.
Warum das wichtig ist: Kurz vor der Pensionierung ist es besonders schwierig, eine neue Stelle zu finden. Für diese Fälle gibt es das System der Überbrückungsleistungen. Wer am Stichtag (als Alleinstehender) weniger als 50’000 Franken (als Alleinstehender) an Vermögen hat, hat Anspruch darauf. Die Ausgleichskasse des Kantons Tessin hatte das Gesuch eines dort ansässigen Mannes trotzdem abgelehnt, weil er in den vorangegangenen 18 Monaten mehr als 120’000 Franken seines ausbezahlten Freizügigkeitsguthabens ausgegeben hatte. Zu Unrecht, sagt nun das Bundesgericht: Der Vermögensverbrauch darf nicht rückwirkend angerechnet werden, sondern nur ab dem Zeitpunkt, von dem an man Anspruch auf Leistungen hat.
Das sagt der Beobachter: Die Überbrückungsrente ist ein ziemlich neues Konstrukt. Eingeführt 2021, soll sie verhindern, dass ältere Ausgesteuerte, die kaum mehr eine Chance auf einen neuen Job haben, in die Armut abrutschen. Doch das System krankt – trotz dieser Korrektur durch das Bundesgericht – grundsätzlich daran, dass es viel zu restriktiv ist. Und erst noch die Fleissigen bestraft.
⇒ Jetzt lesen: Konstrukt mit Systemfehler – das Gesetz muss geändert werden
Geschrieben haben diesen Überblick diesmal Oliver Fuchs und Chantal Hebeisen.
Bis nächste Woche. Wir bleiben für Sie dran.
5 Kommentare
NEIN zur Krankenkassen-Prämien-Initiative: Der Mittelstand und die Reichen bezahlen!
Der Bund hat am 4.6.2024 seine «Steuerstatistik 2023 – auf einen Blick» publiziert. Die Erhebungen sind interessant – gerade im Zusammenhang mit der Abstimmung über die Krankenkassen-Prämien-Initiative am kommenden Sonntag.
Für die immer grösser werdenden Einnahmen an Bundessteuern müssten der Mittelstand und die Reichen aufkommen. Wer wenig verdient, liefert dem Fiskus nichts ab. Dazu kommt eine steile Progression, die gerade bei einem steuerbaren Einkommen zwischen 110.000 und 180.000 Franken voll durchschlägt.
Jetzt können Sie dreimal raten, wer zur Kasse gebeten wird, wenn die Linke mit ihrem Prämiendeckel durchkommt und die Bundessteuer – wie verlangt – erhöht wird.
NEIN zur Prämien-Initiative: Der Föderalismus wird ausgehebelt.
Mit der Initiative subventionieren die Bewohner:innen von sparsamen Kantonen die Prämienverbilligung von reichen Kantonen mit einem stark ausgebauten Gesundheitswesen. Alle zahlen höhere MwSt. Alles wird teurer und die Falschen profitieren.
NEIN zur Prämien-Initiative: Sparsame Kantone bezahlen vor allem für welsche Kantone.
Die linke Prämien-Initiative ist ungerecht. Sie verteilt zusätzliches Geld aus der Bundeskasse. Es profitieren vor allem welsche Kantone mit ihren sehr hohen Gesundheitskosten. Mitzahlen müssen aber alle – zum Beispiel auch die Bewohner:innen des sparsamen Aargaus. Bei einer Erhöhung der Mehrwertsteuer würde jeder Haushalt mit bis zu 1200 Franken pro Jahr mehr belastet. Die Initiative macht alles teurer.
NEIN zur SP-Prämienverbilligungs-Initiative: Breiter Mittelstand müsste sie finanzieren!
Die Umsetzung dieser Initiative würde Bund (2/3) und Kantone (1/3) heute 3.5 – 5 Mia CHF kosten. Bis zum Jahr 2030 würde diese Summe auf 7 – 11.7 Mia CHF ansteigen. Es muss mit einer entsprechenden Steuererhöhung gerechnet werden (zum Beispiel mit einer Mehrwertsteuererhöhung von 2.3%), die wiederum vom breiten Mittelstand getragen werden muss. Auch die durch die Initiative Begünstigten müssten diese Steuern also mittragen.
Der Gegenvorschlag ist mit 360 Mio CHF Mehraufwand für die Kantone finanziell tragbar. Damit können noch mehr stark belastete Einkommensschichten unterstützt werden.