Kommentar zur Überbrückungsrente
Konstrukt mit Systemfehler – das Gesetz muss geändert werden
Ein Jahr nach seiner Einführung ist klar: Das Gesetz, das ältere Arbeitslose vor dem Fall in die Armut bewahren sollte, muss geändert werden. Es bestraft die Fleissigen.
Die Euphorie war gross. Trotz Corona-Krise führte die Schweiz vor einem Jahr ein neues Sozialwerk ein: eine Überbrückungsrente für ältere Arbeitslose. Damit wollte man verhindern, dass ältere Ausgesteuerte, die kaum mehr eine Chance auf einen neuen Job haben, in die Sozialhilfe abrutschen, ihr ganzes Altersguthaben aufbrauchen müssen und damit nach der Pensionierung auf keinen grünen Zweig mehr kommen.
Die Überbrückungsleistungen wurden als effizientes soziales Auffangnetz gepriesen. Doch als das Parlament das Gesetz nach einer scharfen Debatte verabschiedete, war von den grossartigen Plänen nicht mehr viel übrig. Aus Angst vor zu grossen Ausgaben hatte man den Kreis möglicher Empfänger und Empfängerinnen stark eingeschränkt.
Man wollte so sicherstellen, dass wirklich nur jene profitieren, die wegen ihres Alters im ersten Arbeitsmarkt keinen Job mehr finden. Das klingt vernünftig. Doch der Kreis möglicher Bezüger wurde offensichtlich zu stark eingeschränkt. Alle die Arbeitslosen, die einen Zwischenverdienst erzielen und sich deshalb länger Anspruch auf Arbeitslosengeld erarbeiten, wurden vergessen. Wenn sie dann später doch noch Überbrückungsleistungen erhalten, müssen sie unter Umständen damit sogar noch bezogene Sozialhilfegelder zurückzahlen.
Schlechteres Taggeld
Das macht klar: Das neue Gesetz krankt an einem grundlegenden Fehler. Es bietet älteren Arbeitslosen keine Anreize, einen Zwischenverdienst zu erzielen. Sie werden sogar dafür bestraft, wenn sie sich anstrengen und temporär einen Job finden.
Warum das so ist: Nur wer über 60 ist und ausgesteuert – und diverse andere Voraussetzungen erfüllt –, erhält eine Überbrückungsrente. Ausgesteuert wird, wer keine Arbeitslosenentschädigung mehr erhält. Wer hingegen eine bekommt, unabhängig von der Höhe, hat keinen Anspruch auf eine Überbrückungsrente.
Von Gesetzes wegen müssen Arbeitslose einen neuen Job suchen und auch Zwischenverdienste annehmen. Wer es schafft, während mindestens zwölf Monaten so zu arbeiten, und Beiträge an die Arbeitslosenversicherung abliefert, hat nach Ablauf der zwei Jahre wieder Anspruch auf Arbeitslosengeld. Nur wird das Taggeld dann aufgrund des Zwischenverdiensts berechnet. Der ist meist deutlich niedriger als der letzte Lohn vor der Kündigung.
Weniger PK-Rente
Um ihren Lebensbedarf zu decken, müssen dann viele auf ihr Erspartes zurückgreifen. Im schlimmeren Fall müssen sie das Freizügigkeitskapital ihrer Pensionskasse vorbeziehen – mit der Folge, dass sie weniger PK-Rente erhalten werden. Sozialhilfe bekommen sie erst, wenn sie auch ihr letztes Geld fast aufgezehrt haben. Und die Übergangsrente erst, wenn auch dieses Kapital weitgehend aufgebraucht ist. Sie haben also keine Chance mehr, je aus der Armut herauszufinden, obwohl sie auf ein langes Erwerbsleben zurückblicken. Stossend auch: Sobald klar ist, dass man nach der Pensionierung auf Ergänzungsleistungen (EL) angewiesen sein wird, gibts keine Überbrückungsrente.
Das neue System der Überbrückungsrenten bestraft also ausgerechnet die Engagierten. Im zweiten Halbjahr 2021 haben denn auch gerade mal 169 Personen eine Rente bezogen – und damit etwas mehr als ein Zehntel, wie ursprünglich der Bundesrat geschätzt hatte. Immerhin will jetzt SP-Ständerat Paul Rechsteiner diese Fehlentwicklung mit einer Interpellation stoppen. Das ist gut so. Es besteht dringender Handlungsbedarf, denn die Arbeitslosenquote bei den über 60-Jährigen ist weiter gestiegen.
Man kann nicht wie vorgesehen fünf Jahre warten, bis der Bundesrat Bilanz gezogen hat, und dann das Gesetz anpassen. Es enthält einen Systemfehler, der jetzt erkennbar ist und den das Parlament sofort korrigieren kann. Es ergibt keinen Sinn, zu warten und zuzusehen, wie ein paar Tausend Menschen unverschuldet in die Armut gestürzt werden.
Wer ausgesteuert wurde, kann von Überbrückungsleistungen (ÜL) profitieren. Doch wer hat Anspruch darauf und wie berechnet sich die Überbrückungsrente? Beobachter-Mitglieder erfahren mehr darüber.
- 1Wer hat Anspruch auf Überbrückungsleistungen?
- 2So berechnen sich Ihre Überbrückungsleistungen
- 3Anerkannte Ausgaben bei den Überbrückungsleistungen
- 4Anrechenbare Einnahmen bei den Überbrückungsleistungen
- 5Welche Folgen hat es, wenn Sie auf Vermögen oder Einkünfte verzichten?
- 6Auskunfts- und Meldepflichten beim Bezug von ÜL
- 7Unrechtmässig bezogene ÜL zurückzahlen
- 8Gegen Entscheide zu den Überbrückungsleistungen vorgehen
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6 Kommentare
Ich finde, es ist ein lobenswerter und realitätsbezogener Ansatz, Menschen in dieser unschönen Situation kurz vor der Pensionierung unterstützen zu wollen. Dass allerdings mit harschen Ausschlusskriterien eine Grosszahl Berechtigter gleich wieder ausgeschlossen werden, ist peinlich. Und die Idee, erst einen massiven Abbau des ersparten – und bei der Pensionierung dann fehlenden – Altersguthabens zu verlangen, geht für mich schon in Richtung Verhöhnung. Wie man so das neoliberale Credo von «jeder sorge gefälligst für sich selbst» noch umsetzen soll, das möchte ich gerne von Herrn Noser erklärt bekommen. Es ist hart, im fortgeschrittenen Alter die Arbeit zu verlieren. Dafür abgestraft zu werden und den/die Partnerin finanziell gleich noch mit hinunterzuziehen, da geht der ursprünglich soziale Gedanke der Rente doch ziemlich tauchen …
Nach Ablauf der Rahmenfrist - 2 Jahre und 8 Monate RAV im Zwischenverdienst - wurde die Übergangsrente beantragt von einem bald 62jährigen Mann. Die Rente stand schon in den Startlöchern. Man brauche noch die Mitteilung der Arbeitslosenkasse, dass dieser Mann ausgesteuert wurde. Die Kasse bestätigte dann eine erneute Rahmenfrist, da der Mann immer gearbeitet hat im Zwischenverdienst. Es wurde ihm Brutto 800.- zugesagt. Dazu bis zum Rentenalter der Gang zum RAV! Will heissen: Den Rest des Lebensunterhalts muss er aus eigenen Mitteln tragen. Wenn alles aufgebraucht ist, darf der Mann zum Sozialamt. Hätte er nicht gearbeitet, wäre er mit dieser Rente belohnt worden. So aber wurde er fürs Arbeiten bestraft! In den Statuten dieser Sozialversicherung steht geschrieben: Die Rente solle verhindern, dass eben solche Menschen vor der Armut bewahrt werden sollten... Was für ein Hohn! Nach 44 Beitragsjahren Steuern/AHV eine solche Demütigung erleben zu müssen.
Die Präambel unserer Bundesverfassung endet mit "Die Stärke des Volkes misst sich am Wohl der Schwachen". Leider ignorieren diesen moralischen Wert zu viele Einzelpersonen, Familien, Sippen, AktionärInnen, GesellschafterInnen,... mehr und mehr. Politische Kurz- und Kürzestsicht-Entscheide werden als brilliant gefeiert. Doch der grosse Teil der Betroffenen landet dadurch früher oder später in der "Kloake". Danke, Herr Rechsteiner, für die hoffentlich erfolgreiche Interpellation!
Das Schlimmste ist, dass man als Arbeitsloser kein Geld in die PK einzahlen darf. Arbeitslos werden ist schon hart genug, aber dazu wird das Leben in der Pension auch dramatisch eingeschränkt (besonders dann, wenn als Ü50 arbeitslos wird). Wieso Arbeitslose dermassen bestraft werden, ist mir ein Rätsel.
Es ist ja nicht weiter verwunderlich, dass nach "intensiven" Debatten und "vorbereitenden Kommissions-Sitzungen" ein Flickenteppich zustande kommt, der von den Bürgerlichen wie immer locker eingeschränkt wird. Ist bei jeder Sozial-/Asylhilfe-Debatte auch so und letzthin wurde auch die EL-Spar-Reform zu ungunsten ALLER eingeführt! Weshalb lassen sich die Linken und Verbände dermassen vorführen...!? Die Mietzinsmaxima war die Falle..., weil gleichzeitig der Freibetrag gesenkt wurde - Faktor 2.5 schlechter! Das Nebenkosten-Drama nimmt seinen Lauf...