Weniger Stau dank 5G?
Mobilfunkanbieter loben 5G als Mittel gegen Staus. Verkehrsexperten sind weniger euphorisch.
Veröffentlicht am 6. Juni 2019 - 18:23 Uhr
Rund 1,9 Milliarden Franken – so hoch ist der volkswirtschaftliche Schaden, den Staus im Jahr 2015 verursacht haben. Aktuellere Zahlen gibt es nicht, der Trend aber zeigt nach oben. Der Bund will die Situation entschärfen, indem er bei hohem Verkehrsaufkommen die Nutzung des Pannenstreifens erlaubt, Lastwagen das Überholen verbietet und auf einzelnen Autobahnabschnitten die Höchstgeschwindigkeit senkt.
Lösen wollen das Problem auch die Mobilfunkanbieter – mit 5G, dem Mobilfunknetz neuster Generation. «Heute debattiert das Parlament über sechsspurige Autobahnen , um den Stau zu minimieren. Aber braucht es diese morgen noch, wenn eine autonome Steuerung den Verkehrsfluss optimiert, indem sie den Abstand zwischen den Autos verringert?», fragt Matthias Jungen, zuständig für das 5G-Mobilfunknetz bei der Swisscom. Auch Thomas Rohrbach, Mediensprecher des Bundesamts für Strassen (Astra), trommelt für 5G: «Gerade damit Autos automatisiert oder teilautomatisiert unterwegs sein können, braucht es ultraschnelle Kommunikationsverbindungen.»
Andere Fachleute sehen den Nutzen von 5G für selbstfahrende Fahrzeuge und die Verkehrsplanung differenzierter. «Unsere Fahrzeuge brauchen heute kein 5G», sagt Emilio Frazzoli. Der ETH-Professor gilt als Pionier auf dem Gebiet der autonomen Mobilität. In Las Vegas kurven seit einem Jahr 30 fahrerlose BMW-Taxis des Autotechnologie-Konzerns Aptiv herum, für den Frazzoli als wissenschaftlicher Leiter fungiert. Die Robotertaxis können per App bestellt werden, die Fahrzeuge beschaffen sich sämtliche Informationen, die sie zur Navigation benötigen, mit bordeigener Sensorik. Eine schnelle Mobilfunkverbindung brauchen sie nicht. «Die Taxis haben mittlerweile 50'000 Fahrten absolviert, das Kundenfeedback war mit einer durchschnittlichen Bewertung von 4,95 von 5 Sternen überaus positiv», erzählt Frazzoli.
Zweifel am langfristigen Nutzen von 5G für selbstfahrende Systeme äussert auch Jürgen Schmidhuber. Er gilt als «Vater der künstlichen Intelligenz» und ist wissenschaftlicher Direktor am Forschungsinstitut IDSIA in Lugano. Schmidhubers Ideen stecken in allen Smartphones. «Mit 5G soll künstliche Intelligenz von einem Server aus selbstfahrende Autos oder andere Maschinen steuern. Es gibt aber einen nicht aufzuhaltenden Gegentrend hin zu einer lokalen künstlichen Intelligenz», erklärt Schmidhuber. Als Beispiel nennt er Googles neuste Sprachverarbeitung. Diese befinde sich neu verzögerungsfrei direkt auf dem Smartphone, ohne Umweg über den Server. «So ähnlich wird das bei ganz vielen Anwendungen laufen. Es ist keineswegs offensichtlich, dass Fortschritte bei der künstlichen Intelligenz von 5G abhängen.»
Auch Daimler relativiert die Bedeutung des Mobilfunknetzes für seine Fahrzeuge: «Für den vollautomatisierten Verkehr in einer Stadt wird 5G nicht zwingend benötigt. Aus Sicherheitsgründen müssen die Erkennung und Analyse des Umfelds und deren Umsetzung in Fahrmanöver im Fahrzeug selbst erfolgen. Unsere Autos müssen auch bei fehlender Netzabdeckung wie etwa im Tunnel einwandfrei und sicher funktionieren», heisst es dort. Allerdings verspreche sich Daimler von 5G eine andere Verbesserung: «Informationen zur Verkehrslage, zum Wetter oder zu Parkmöglichkeiten können in Echtzeit ins Fahrzeug übertragen werden. Das bedeutet einen wirklichen Mehrwert.»
Ähnlich klingt es bei VW und BMW: «5G wird dazu beitragen, dass die verbrachte Zeit in den Fahrzeugen angenehmer, sicherer und produktiver gestaltet werden kann», heisst es bei BMW.
Doch Verkehrsinformationen in Echtzeit und alternative Routenführungen, um Staus auszuweichen, bieten Navigationsgeräte schon heute. Bei Garmin, einem der führenden Anbieter, teilt man die Euphorie von Swisscom, Salt und Sunrise nicht: «5G wird präzisere Verkehrsinformationen ermöglichen und Auswirkungen von Verkehrsstaus mindern, aber die Staus nicht zum Verschwinden bringen.»
Der Widerstand gegen den Ausbau des Mobilfunknetzes nimmt vor allem in der Westschweiz zu. Genf, Waadt, Neuenburg und Jura bewilligen derzeit keine neuen 5G-Antennen. Die Kantonsparlamente haben ein Moratorium durchgesetzt. Es soll mindestens so lange gelten, bis der Bund seinen Bericht zu den Bedürfnissen und Risiken beim Aufbau von 5G-Netzen veröffentlicht. «Der Bericht wird im Spätsommer vorliegen», verspricht man beim Bundesamt für Umwelt (Bafu).
Der Bund spricht den Kantonen die Kompetenz ab, solche Moratorien zu beschliessen. «Zuständig für den Erlass von Vorschriften über den Schutz vor schädlicher oder lästiger nichtionisierender Strahlung ist der Bund. Es bleibt kein Raum für kantonale oder kommunale Bestimmungen», heisst es in einer Bafu-Stellungnahme von Anfang Mai.
Diese Kompetenzverteilung will der Zürcher SP-Nationalrat Thomas Hardegger ändern. «Der Ausbau des 5G-Netzes muss als Antennensystem betrachtet werden und nicht als Bau von einzelnen Antennen. Ganze Anlagen müssen aber im Richtplan eingetragen werden, und das ist in der Kompetenz der Kantone.» Er werde im Juni im Parlament einen Vorstoss einreichen, der die rechtliche Definition der Antennen klären soll.
2 Kommentare
Selbstfahrende "Auto's" = Zukunftsvision der Menschheit? Die Welt massiv belastende Tatsache ist: dass sie durch die Menschen massiv überbevölkert ist und es immer noch mehr Menschen geben wird! Die Menschheit sollte/muss sich deshalb unbedingt um die Reduzierung dieses Missstandes kümmern, nicht um "selbstfahrende Auto's"! Auch der immense Strassen-Motorfahrzeug-Verkehr, muss durch Sinn machende Massnahmen reduziert werden = Abbau des motorisierten Verkehrs - Auf-und Ausbau der ÖV-Möglichkeiten auch auf A-Bahnen (Bussystem - "stop and go")! Tag für Tag, fahren 10-tausende von Menschen "ALLEIN" im Auto zur Arbeit und zurück, etc = aktives "Car-sharing" fördern! Das wäre Innovation für die Zukunft!
Reisestrapazen, langweilige Autofahrten, die Notwendigkeit einer Fahrt, das Alles ist nun in Frage gestellt.
Ein grosser Teil der Bevölkerung fährt nicht gerne stundenlang im Auto und empfindet es als Anstrengung. Was aber, wenn nun diese Anstrengung wegfällt? Fernsehschauen oder ein Buch lesen, im Prinzip alles, was ich bis heute auf dem Sofa mache, kann ich in Zukunft auch im selbstfahrenden Auto erledigen und dies dann kombinieren mit einer Fahrt ans Meer oder wohin auch immer. In Zukunft kann man bestimmt auch im Auto schlafen, man hat dann seinen "Schlafwagen", der einem dahin bringt, wo man hin will und das bequem während der Schlafenszeit. Klingt doch alles super, aber ist es das auch? Dass damit viel mehr gereist wird, ist klar. Ökologisch gesehen braucht diese Entwicklung enorm viel mehr Energie, weniger CO2, aber mehr Strom. Vielleicht gibt es ja in Zukunft freie Energie?
Umverlagerung ÖV zu selbstfahrenden Autos
Die entscheidende Frage ist: Was passiert mit den ÖV? Werden die Tram- und Buslinien eingestellt? Ich schätze ja. Wer will denn schon noch soviel Zeit aufbringen? Und die Zuglinie? Auch da gilt die gleiche Frage, was bequemer ist? Man kann das ja noch ausmalen. Ein selbstfahrendes Auto kann auch als Ruheplatz, ev. sogar als Schlafplatz gebraucht werden. Also ist ein Arbeitsweg von Genf nach Zürich in Zukunft sicher kein Problem. Der Mitarbeiter kann im Auto arbeiten, an Online-Meetings teilnehmen, er kann sogar seinen Arbeitsplatz im Auto einrichten und kommt dann zum Mittagessen zur Arbeit, um etwas persönliches zu besprechen. Ein Problem wird sein, wo all die Fahrzeuge parkiert werden können. Aber das kann man sicher mit Tiefgaragen oder Autosilos lösen. Als Konsument muss ich das Auto nicht mehr holen, sondern es fährt zu mir. Ich muss also nur noch frühzeitig die Anweisung ans Auto geben, damit ich keine Wartezeit habe. Das Autosilo kann dann irgendwo ausserhalb stehen.
Nie mehr Stau behaupten die Lobbys
Das ist bestimmt nicht so. Dass der Verkehr massiv zunehmen wird, ist wohl unbestritten. Ich gehe mal davon aus, dass er sich mindestens verdreifachen wird. Da frage ich mich natürlich, wie das die bestehenden Strassen schlucken sollen. umverkehR titelt ihre Broschüre mit «Rahmenbedingungen setzen!» Das wäre äusserst wichtig. Ich frage mich aber, ob unsere Politik dazu im Stande ist? Schliesslich bedeuten Rahmenbedingungen einen Rahmen, eine Grenze im Ausbau der Ideologie von selbstfahrenden Fahrzeugen. Das wird die Lobby kaum zulassen. Deshalb wird man wie gewohnt erst mal alles ausrollen und dann schauen, was passiert ist und dann gegebenenfalls Rahmenbedingungen setzen. Das kennen wir zu genüge vom Mobilfunk, Flugverkehr, Asbest, Zigaretten, Nanotechnologie, etc und der heiligen Kuh namens Auto.