«So kann es nicht weitergehen»
Die Stadt Hamburg hat Anfang September alle 120 Sammelcontainer für Altkleider geschlossen. Auch Texaid und Tell-Tex machen sich Sorgen um ihre Zukunft. Die Gründe.
Veröffentlicht am 25. September 2020 - 12:53 Uhr
Es war ein Paukenschlag: Die Stadt Hamburg schloss Anfang September alle 120 Sammelcontainer für Altkleider. Dabei hatten immer mehr Bürger Kleider dort entsorgt. Allerdings landeten auch Elektroschrott, Gartenmöbel, sogar ein Schweinekopf in den Sammelstellen. Viele nutzten Lockdown und Homeoffice, um Wohnungen und Keller zu entrümpeln.
«Noch mehr Probleme bereitet uns aber die immer schlechtere Qualität der Kleider», sagt Texaid-Geschäftsführer Martin Böschen. Texaid verwertet die Altkleider in Hamburg und ist in der Schweiz der Branchenleader. «Der Trend zur Fast Fashion beschert uns tonnenweise wenig getragene Kleider. Sie halten aber auch nicht lang und lassen sich auf Secondhand-Märkten nur schwer verkaufen.» Zudem werde das Recycling aufwendiger, weil immer mehr Stoffe mit synthetischen Fasern versetzt sind, die sich nur schwer heraustrennen lassen. «Manche Stoffe können nicht mal als Putzlappen gebraucht werden», so Böschen.
In der Schweiz will Texaid vorderhand keine Sammelstellen schliessen. «Anders als in Hamburg betreiben wir sie selber. Das Verunreinigungsproblem ist hier noch nicht so verheerend», sagt Böschen. Tell-Tex, Nummer zwei der hiesigen Branche, stellt allerdings fest: «Wir finden Kaffeekapseln und Elektrogeräte zwischen den Kleidern. So kann es nicht weitergehen», sagt Aussendienstleiter Roland Tegtmeyer.
Texaid und Tell-Tex arbeiten mit Hilfswerken zusammen, die einen Teil des Erlöses der Kleider- und Schuhverwertung erhalten. Rentabel ist nur der Verkauf von Secondhand-Kleidern, in der Schweiz, vor allem aber in Ostländern und bei Texaid auch in Afrika. Mit den Einnahmen werden das Recycling der anderen Kleider zu Garn und das Downcycling zu Putzlappen und Dämmmatten querfinanziert.
Fast Fashion ist für die Kleiderverwerter zum Hauptproblem geworden. «Es kommen schlicht zu viele schlechte Kleider auf den Markt», sagt Böschen von Texaid. Grosse Ketten wie H & M und Zara bringen jedes Jahr 12 bis 24 neue Kollektionen in die Läden. Oft sind sie mit Synthetikfasern versetzt. Weltweit hat sich die Kleiderproduktion seit der Jahrtausendwende mehr als verdoppelt. «Wenn sich nichts ändert, wird die Verwertung so nicht mehr finanzierbar sein», sagt Tegtmeyer von Tell-Tex.
Frankreich schlägt einen neuen Weg ein: Hersteller und Händler sollen das Kleider-Recycling mitfinanzieren. Die EU verpflichtet ihre Ostländer, ab 2025 Altkleider zu verwerten, China tut es schon. Auch darum wird der Markt überschwemmt, und der Preis für Altkleider gerät noch mehr unter Druck.
Swiss Recycling, der Dachverband der Schweizer Recycling-Organisationen, sieht mehrere Ansätze, wie sich das Problem lösen lässt: «Durch einen freiwilligen Recycling-Beitrag der Hersteller und Verkäufer, wie wir es bei anderen Recycling-Systemen kennen. Eine staatlich verordnete Entsorgungsgebühr ist erst eine Option, wenn die Freiwilligkeit bei der Wirtschaft nicht funktioniert», sagt Geschäftsleiter Patrik Geisselhardt.
Alle hoffen, dass das nicht nötig wird. «Dafür müssen aber auch die Konsumenten umdenken», so Martin Böschen von Texaid. Kleider sollten möglichst lang getragen werden. Vom Erstkäufer oder später über einen Secondhand-Markt. Dafür brauche es wertigere, reinere Stoffe, die am Ende des Lebenszyklus zu Garn rezykliert werden können.
Seit Jahren kritisiert wird der Export von Altkleidern nach Afrika. Simbabwe und Ruanda haben den Import gar verboten: Die Flut von Billigstkleidern verunmögliche den Aufbau einer eigenen Produktion. Für Patrik Geisselhardt von Swiss Recycling ist das kaum das Haupthindernis. «Auch Afrika wird mittlerweile mit Billigstware aus Fernost versorgt. Wenn ein neues T-Shirt nur noch einen Franken kostet, ist das vielleicht das grössere Problem.»
- 5,9 Kilo Textilien wurden 1975 pro Kopf produziert. 13 Kilo Textilien waren es im Jahr 2018.
- 30 Prozent des Einkommens gab die Kundschaft in den Fünfzigerjahren für Kleider aus. 5 Prozent sind es 2020.
- 10 Prozent des weltweiten CO2-Ausstosses stammen von der Textilindustrie.
- 60 Prozent der fabrizierten Kleider werden im ersten Jahr nach dem Kauf weggeworfen.