Die Empa hat den sauberen Motor schon
Diesel und Benziner könnten weitgehend schadstofffrei fahren. Dank einem neu entwickelten System der Empa. Doch man müsste die Hersteller dazu zwingen.
Veröffentlicht am 13. Februar 2018 - 10:58 Uhr,
aktualisiert am 14. Februar 2018 - 09:47 Uhr
Schadstofffreie Autos könnten bereits in fünf Jahren Realität sein. «Die Technik ist vorhanden, aber noch nicht bereit für die Massenproduktion», sagt Christian Bach, Leiter der Abteilung Fahrzeugantriebssysteme bei der Forschungsanstalt Empa in Dübendorf ZH. Der Trick dabei: Der Katalysator wird beim Anfahren mit Mikrowellen auf 300 Grad vorgeheizt. So werden auch bei kaltem Benzinmotor die Emissionen minimiert – heute entstehen rund 90 Prozent aller Schadstoffe in der ersten Minute nach dem Start.
Bis dahin brauche es mehr Forschung und Entwicklung, sagt Bach. Doch die Autokonzerne brächten die neue Technologie erst zur Marktreife, wenn sie dazu gezwungen seien. «Dazu müssten die EU-Behörden die entsprechenden Schadstoff-Grenzwerte um 50 bis 80 Prozent senken», fordert Bach (siehe Interview unten).
Bevor die Zukunftsmusik spielt, müsste sich die Politik aber auch mal mit den fahrenden Altlasten befassen. Fakt ist: Die zehn Prozent der ältesten Autos stossen fünfmal mehr Schadstoffe aus als die zehn Prozent der neusten Autos. Insgesamt sind sie für einen Fünftel aller Autoabgase verantwortlich – obwohl sie deutlich weniger gefahren werden als neuere Autos. Errechnet hat das die Empa für den Beobachter, eine offizielle Statistik fehlt.
Das Problem bei den alten Autos: Sind sie einmal zugelassen, kann man sie allein wegen des Schadstoffausstosses nicht aus dem Verkehr ziehen – egal, wie «schmutzig» sie sind.
Was sich auf den Strassen abspielt, alarmiert Ärzte. Dass man Kinder permanent Zigarettenrauch aussetzt, ist heute undenkbar. Genau das wird aber getan. Tausende Familien atmen Luft ein, die so stark belastet ist wie diejenige in einem verrauchten Raum. Weil sie in einer verkehrsreichen Gegend wohnen. So veranschaulicht der Mediziner Nino Künzli, Vizedirektor des Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Instituts, das Problem.
Schuld an der dauernden Überschreitung der Grenzwerte sind auch die manipulierten Dieselfahrzeuge. Die meisten stossen ein Vielfaches der erlaubten Schadstoffmenge aus. Nur weil die Autohersteller die Abgasreinigungsanlagen so eingestellt haben, dass sie bei Tests im Labor normal funktionieren, auf der Strasse aber nur reduziert oder gar nicht. Ob diese Praxis wirklich legal war, wie die Konzerne meinen, ist noch immer nicht klar.
Klar ist dagegen, dass die Auswirkungen der veralteten Dieseltechnik auf Gesundheit und Umwelt enorm sind. Laut einer Studie fordern übermässige, also illegale Schadstoffemissionen weltweit rund 38'000 Todesopfer pro Jahr. Vor allem wegen des Stickstoffdioxids. Dieser Luftschadstoff reizt die Atemwege, schädigt die Lunge, verursacht chronische Erkrankungen, wahrscheinlich Lungenkrebs und vorzeitige Todesfälle. Er ist zudem ein wichtiger Vorläufer für Ozon und gefährliche Kleinstpartikel. Wie bei anderen Schadstoffen leiden vor allem Kinder, Kranke und Alte.
Wenn man die Diesel-Abgasnormen einhielte, sänken die Stickoxide aus dem Verkehr im Kanton Zürich um mindestens einen Drittel (siehe Grafik). So hat es das Umweltamt des Kantons Zürich errechnet. Damit könnte man auch die Grenzwerte der Luftreinhalteverordnung einhalten.
Die Verschmutzung der Luft mit Stickoxiden wäre im Kanton Zürich im Jahr 2015 um einen Drittel geringer gewesen, wenn die Dieselfahrzeuge die Abgasnormen eingehalten hätten. In Zukunft beeinträchtigen die manipulierten Fahrzeuge die Luftqualität noch stärker, da ihr Anteil an der Gesamtflotte steigt.
Mit dem Einhalten der Grenzwerte wäre aber nicht alles gut. «Jede Verschmutzung der Luft schädigt die Gesundheit. Und jede Abnahme der Luftverschmutzung hat positive Effekte auf die Gesundheit der Bevölkerung», sagt Mediziner Künzli, der auch Präsident der Eidgenössischen Kommission für Lufthygiene ist.
Die Situation ist in den letzten 30 Jahren zwar besser geworden. Dennoch verursacht die Luftverschmutzung in der Schweiz jedes Jahr Kosten von vier Milliarden Franken und fordert rund 3'000 Menschenleben. Diese gewaltigen Schäden könnte man mit Investitionen in saubere Technik vermeiden. Eine Möglichkeit wären die schadstofffreien Empa-Motoren. Doch zur Umsetzung fehle der politische Wille, sagt Empa-Experte Bach.
Die angeblich umweltfreundlichen Diesel wurden lange gefördert – obwohl Ärzte seit Jahrzehnten davor warnen. Heute machen sie gut 28 Prozent der Personenwagen aus. Für die Umwelt ein Fiasko: 90 Prozent der Dieselautos auf Zürcher Strassen überschreiten die Stickoxid-Abgasnormen um das Fünf- bis Sechsfache, kritisiert das kantonale Umweltamt Awel. Die Abgasemissionen der neueren Diesel seien «heute auf dem Stand, wo man vor 20 Jahren hätte sein wollen».
Die Schweizer Behörden wussten, dass der Stickoxidausstoss der Diesel über dem Grenzwert lag. Schon vor dem Dieselskandal. Das bestätigt sowohl das Bundesamt für Umwelt (Bafu) wie auch das Zürcher Awel. Dem Awel waren die «Abweichungen bekannt, aber es gab keinen Anlass, von unerlaubten Manipulationen auszugehen. Denn die Abweichungen waren auch mit legalen Praktiken zu erklären.» Laut Bafu waren höhere Stickoxid-Emissionen im realen Strassenbetrieb als auf dem Prüfstand «nicht grundsätzlich verboten». Man habe schon vor Jahren auf die höheren Emissionen hingewiesen.
Auf die Barrikaden gingen die Schweizer Ämter aber nicht. Bis heute sind sie nachsichtig mit den Konzernen. Manipulierte Diesel dürfen noch bis 2019 importiert werden. «Es ist ein Skandal, dass auf den Strassen Fahrzeuge ohne funktionierende Abgasreinigung legal unterwegs sind», sagt Lungenarzt Otto Brändli, ehemaliger Chef der Zürcher Höhenklinik Wald. «Der Staat hat die Pflicht, uns vor Gesundheitsschäden zu schützen.»
Juristisch einfordern kann man diesen Schutz allerdings nicht. Die gesetzlichen Luftreinhaltewerte seien zwar verbindlich, ihre Verletzung aber nicht einklagbar, sagt eine auf Umweltrecht spezialisierte Zürcher Anwältin. «Der Staat ist lediglich verpflichtet, auf die Einhaltung der Grenzwerte hinzuarbeiten.» Es gebe dabei nicht einmal rechtliche Fristen.
Lungenarzt Brändli ärgert sich, dass die Schweiz ihre Bevölkerung nicht besser schützt. Selbst Schulen, Horte und Krippen stünden hierzulande trotz nachgewiesenen Gefahren an verkehrsreichen Strassen. «In Kalifornien müssten sie mindestens 300 Meter Abstand haben.» Die Stadt Zürich baut sogar ein neues Schulhaus direkt an der Autobahn, an der äusserst stark befahrenen Pfingstweidstrasse. Brändli ist entsetzt.
Empa-Forscher Christian Bach über den Weg zum sauberen Motor, die spezifischen Probleme von Benzinern und Dieseln – und darüber, was er selbst fährt.
Beobachter: Autos könnten fast schadstofffrei fahren. Wie geht das?
Christian Bach: Moderne Benzinfahrzeuge haben sehr tiefe Schadstoffemissionen, sobald der Katalysator warm ist. Diesel ebenfalls, solange die Abgastemperatur hoch genug ist. Das Problem beim Benziner sind die ersten paar hundert Meter Fahrt nach Kaltstart und beim Diesel der Stop-and-go-Betrieb in der Stadt. Dabei stossen sie sehr viel mehr Schadstoffe aus als bei voller Fahrt. Wenn der Katalysator geheizt werden kann, kann man die Fahrzeuge fast schadstofffrei betreiben. An der Empa entwickeln wir ein solches System. Autohersteller interessieren sich dafür.
Beobachter: Wie weit weg sind wir noch vom «sauberen» Auto?
Bach: Die entsprechenden Systeme funktionieren, sind aber noch nicht bereit für die Massenproduktion. Es braucht mehr Forschung und Entwicklung, was teuer ist. Die Autofirmen werden die Technologie erst zur Marktreife bringen, wenn die Behörden dies einfordern. Die EU-Behörden müssten die entsprechenden Schadstoff-Grenzwerte um 50 bis 80 Prozent senken. Realisierbar wären die neuen Systeme in fünf Jahren, so lange dauert etwa ein Entwicklungszyklus.
Beobachter: Und warum bleiben die Behörden passiv?
Bach: Der politische Wille fehlt noch. Die zuständigen Behörden sind stark ausgelastet mit der Einführung der neuen Abgasmessrichtlinien, die neu Strassenmessungen enthalten. Gespräche für die Reduktion der Kaltstartemissionen laufen aber. Ich gehe davon aus, dass die Vorgaben bald angepasst werden.
Beobachter: Was für ein Auto haben Sie?
Bach: Ich fahre ein Gasfahrzeug. Das ist bei den Schadstoff- und CO2-Emissionen viel besser als ein Diesel oder ein Benziner, denn Gas verbrennt sehr sauber. Ich profitiere auch davon, dass wir in der Region bereits viele Gastankstellen haben.