Permakultur: Mehr als Bio
Auf dem Berner Balmeggberg erfindet eine Kommune Landwirtschaft neu. Als Gegenwelt zur Globalisierung.
Veröffentlicht am 12. Juni 2019 - 11:01 Uhr
Es riecht nach Heu auf dem Balmeggberg, die Sicht reicht bis hin zu den Berner Alpen. Simone und Toni Küchler haben den kleinen Hof im Emmental vor 15 Jahren in einem Inserat im «Tages-Anzeiger» entdeckt. Mit seinen sechs Hektaren Land schien er wie geschaffen, ihren Traum von einem besseren Leben zu verwirklichen. Heute leben sie mit vier anderen Erwachsenen, ihren zwei Kindern und den Sommer hindurch mit vier Praktikantinnen hier oben.
Ihren Hof betreiben sie nach den Grundsätzen der Permakultur. Diese existiert in vielen Spielarten, fast überall auf der Welt. Sie versteht sich als Antwort auf pestizidverseuchte Gewässer , verdichtete Böden und unfaire Produktionsbedingungen – kurz: auf die industrielle Landwirtschaft. Im Zentrum steht die Idee, nachhaltige Ökosysteme nach dem Vorbild der Natur zu schaffen. Man könnte auch sagen: natürliche Kreisläufe zu schliessen. Indem der Mensch von der Natur lernt, entsteht eine neue Form von Landwirtschaft, die langfristig produktiv ist.
In den Ratgebern, die derzeit die Auslagen der Buchhandlungen schmücken, ist von genial anmutenden Systemen die Rede. Etwa von Gewächshäusern, die von Hühnern beheizt werden, oder von Toiletten, die menschliche Exkremente in Dünger verwandeln. Permakultur scheint so etwas wie das neue Bio zu sein – und es ist gerade ein ziemlicher Hype.
Der riesige Garten ist das Herzstück von Toni Küchlers Hof. Hier wachsen bis zu zwei Tonnen Gemüse pro Jahr. «Das Wichtigste ist, den Boden zu füttern», sagt Küchler, während er ein Beet entlangschlendert, in dem Saubohnen und Kartoffeln in üppiger Mischkultur gedeihen. Seit Jahren baut er mit grosszügigem Einsatz von Hühner- und Schafmist, Kompost und selbst produzierter Pflanzenkohle eine fruchtbare Gartenerde auf. So bleiben dem Boden wertvolle Nährstoffe erhalten. Auf 1000 Metern über Meer ist das besonders wichtig, hier muss das Gemüse schnell wachsen.
Nicht nur mit Kompost kann man Kreisläufe schliessen. Hinter dem Hof steht die Pflanzenkläranlage, die sämtliche häuslichen Abwässer filtert und in mit Schilf bepflanzte Klärbeete leitet. Die Bakterien darin ernähren sich von den Nährstoffen im Abwasser und reinigen es. Anschliessend fliesst das Wasser in den Bach: «Sehr sauber, das beweisen regelmässige Tests.» Die menschlichen Ausscheidungen werden in der Komposttoilette gesammelt und ebenfalls wiederverwertet. Nach vier Jahren auf einem separaten Holzschnitzel- und Grünzeug-Komposthaufen können sie als Dünger unter den Obstbäumen verteilt werden.
Der Australier Bill Mollison (1928–2016) hat den Begriff der Permakultur begründet. Der Name setzt sich aus «permanent» (dauerhaft) und «agriculture» (Landwirtschaft) zusammen. Mollison glaubte, dass eine Kultur nur bestehen kann, wenn man stabile, produktive und natürliche Ökosysteme schafft. 1981 erhielt er den Alternativen Nobelpreis.
Vor dem Hasenstall treffen wir Philipp Schneider, 36, barfuss und mit blutig aufgekratzten Unterarmen. Er hat die Kaninchen eingefangen, um Weibchen und Männchen zu trennen. Er habe die «Schnauze voll gehabt» von seiner Arbeit als Schreiner, erzählt er. Da sei es nur noch um «mehr und schneller» gegangen. Bevor er auf den Balmeggberg kam, lebte er ein halbes Jahr im Wald . Heute betreut er den Pilzgarten. Am schattigen Waldrand hat er ein ideales Plätzchen für die mit Pilzmyzel geimpften Holzrugel gefunden. Aus ihnen wachsen bei entsprechendem Wetter nun essbare Pilze.
«Zuerst wollten wir ein von Hühnern beheiztes Gewächshaus bauen», sagt Toni Küchler beim Hühnerhof. «Hat nicht funktioniert. Die Hühner machen Staub, und das bekommt den Pflanzen nicht.» Mittlerweile steht er den Permakulturprojekten, die in den zahlreichen Büchern zum Thema abgefeiert werden, skeptisch gegenüber. «Das sind nur Techniken. Man muss vor Ort schauen, was Sinn macht.» Als Permakulturdesigner plant er für Kunden Gärten, auf dem eigenen Hof hat er aber kaum geplant. «Wir haben einfach ausprobiert. Manches hat sich bewährt, anderes nicht. Keiner von uns ist Bauer oder Gärtner.»
Zum ersten Mal habe er in Simbabwe von Permakultur gehört, erzählt Toni Küchler, während er Polenta, Krautstiel und hausgemachtes Radiesli-Kimchi auftischt. Beim Autostopp. Ein Farmer habe ihm erzählt, dass Permakultur in Simbabwe eine grosse Sache sei, weil sie die Erträge ohne teure Chemie steigere. Das interessierte den Studenten der Umweltwissenschaften. Er entwickelte seine eigene Permakulturvision und setzte sie in die Tat um. Heute ist der Balmeggberg so etwas wie ein Pilgerort für angehende Permakulturisten. Von Frühjahr bis Herbst finden hier zahlreiche Workshops von Baumschnitt bis Meditation statt.
Auch die beiden Praktikantinnen Stéphanie Chanton, 38, und Jeannine Zihlmann, 32, sind hierhergekommen, um zu lernen. Sie arbeiten für Kost und Logis. Jede so viel, wie sie mag. Wobei es manchmal schwierig sei, sich eine Pause herauszunehmen: Bei so viel Handarbeit gibt es immer etwas zu tun. Zihlmann wohnt in einem Baumhaus im nahen Wald. Flink klettert sie die 26 Leitersprossen hinauf. Neun Meter über dem Boden befinden sich eine Terrasse und ihr winziges Zimmer. «Frühmorgens weckt mich die Sonne», schwärmt sie. Ihre Dusche befindet sich ebenfalls draussen: im hauseigenen Spa mit Warmwasseranschluss und Fernsicht bis hin zum Eiger. Permakultur heisst eben nicht nur, dass zum Boden Sorge getragen wird, sondern auch zu den Menschen.
Und, gemäss dem dritten ethischen Prinzip der Permakultur, sich für eine gerechte Zukunft einzusetzen. Ein Rezept, wie man diese Grundsätze umsetzt, gebe es nicht. «Für mich ist Permakultur eher so etwas wie eine Brille, durch die du die Welt siehst», sagt Küchler. «Wir fragen uns ständig: Wie könnten wir das besser machen?»
Längst hat er den Glauben an den grossen Masterplan verloren, «das ist viel zu komplex». Vielmehr gehe es darum, jede Situation neu zu beurteilen und jeden Tag «Permakultur-Entscheidungen» zu treffen. Zum Beispiel bei der Selbstversorgung : Fast die Hälfte der Lebensmittel und 60 Prozent der Energie produzieren die Bergler, wie sie sich selbst nennen, selbst. Das Wasser kommt aus der eigenen Quelle. Die Milch aber vom Hof nebenan, das Getreide von einem Bauern im Tal. «Niemand kann vollkommen autark leben. Das ist auch gar nicht sinnvoll.» Wenn sich alle eine Solaranlage aufs Dach montieren und eine Batterie – die notabene aus China kommt – in den Keller stellen, dann sage der Permakulturist: «Hey, lasst uns ein Kabel von Haus zu Haus ziehen und die Stromversorgung zusammen machen, das ist doch viel effizienter!»
Trotz allem Idealismus ist Küchler pragmatisch. Er ist stolz darauf, den Hof mit Holz aus dem eigenen Wald umgebaut zu haben, aber das Geld für ein Elektroauto , das ein wenig umweltschonender wäre als der alte Benziner, fehlt. «Aber was willst du?», fragt er. «Wenn du so lebst, Kinder und Gäste hast, brauchst du ein Auto.» Er fühlt sich nicht als Aussteiger. Sondern als einer, der eingestiegen ist. In die Auseinandersetzung mit dem, was vor seiner Haustür stattfindet.
Permakultur ist eine Vision. Ein Gegenmodell zur Globalisierung. Das in Zukunft, darin sind sich die Visionärinnen einig, noch an Bedeutung gewinnen wird. «Wenn uns das Erdöl ausgeht, wird es einfacher sein, das zu nutzen, was wir vor der Haustür haben.» Sind die Permakulturistinnen vielleicht so etwas wie ökologische Prepperinnen, die sich auf ein Überleben nach der Katastrophe vorbereiten? Küchler lacht den Gedanken weg. Vieles laufe schief auf der Welt. «Den einen ist es egal. Andere haben Panik. Wir überlegen uns: Was können wir machen?»
Es muss nicht gerade eine Komposttoilette sein: Permakultur lässt sich auch im Kleinen zu Hause ausprobieren.
Regenwasser sammeln
An den Fallrohren des Hausdachs Öffnungsklappen montieren, aus denen man Wasser in einen Sammelbehälter abfliessen lassen und zum Giessen verwenden kann.
Pilze züchten
Ein mit Pilzmyzel geimpfter Holzrugel liefert während drei bis fünf Jahren Speisepilze – gesundes pflanzliches Eiweiss.
Kompostieren
Der Kompost ist so etwas wie der Urkreislauf im Garten: Aus den Grünabfällen entsteht nährstoffreicher Humus.
Strom aus der Region
Aus der Region erneuerbaren Solar- oder Wasserstrom beziehen, zum Beispiel über www.stromvonhier.ch.
Samen gewinnen
In der Regel lassen sich Samen, die man essen kann – etwa Mohn oder Bohnen –, einfach pflanzen.
Hühner halten
Hühner legen nicht nur jeden Tag ein Ei, sie liefern auch wertvollen Mist für den Garten.