Der Traum vom grünen Fliegen
Neue Treibstoffe können das Fliegen umweltfreundlicher machen. Doch reicht das?
Veröffentlicht am 28. Mai 2021 - 15:03 Uhr,
aktualisiert am 25. Juni 2021 - 09:55 Uhr
Fliegen belastet die Umwelt stark. Daran ändert das Nein zum CO2-Gesetz und der Flugticketabgabe nichts. In der Schweiz ist der Flugverkehr für 27 Prozent des Klimaeffekts verantwortlich, weltweit für rund sieben Prozent. Tendenz steigend.
Die gute Nachricht: Weniger umweltschädlich fliegen ist möglich. Nicht in 20 Jahren, sondern heute. Etwa mit Biokerosin, das aus altem Raps-, Palmöl oder anderen Speiseöl-Abfällen hergestellt wird. Es hat eine bis zu 80 Prozent bessere CO2-Bilanz als herkömmliches Kerosin. Vor einem Jahr ist ein erster Business-Jet damit vom Flughafen Zürich abgehoben. Das Kohlendioxid, das bei der Verbrennung freigesetzt wird, haben die Pflanzen vorher der Atmosphäre entzogen. Bei fossilem Kerosin hingegen gelangt CO2 in die Luft, das über Jahrmillionen hinweg als Erdöl im Boden gebunden war.
Die schlechte Nachricht: Es gibt viel zu wenig von dem Bio-Sprit, im Moment gerade mal ein Tausendstel des weltweiten Bedarfs. Zudem ist Biokerosin rund dreimal teurer als herkömmlicher Flugtreibstoff. Wer seinen Flug nach London oder New York bei der Swiss mit Biokerosin kompensiert (das ist möglich), bezahlt anderhalbmal bis doppelt so viel für das Ticket. Kein Wunder macht das kaum jemand. Eine Biokerosin-Airline bekäme ihren Tank nicht voll – und beginge ökonomischen Selbstmord.
Die Flugbranche sieht im Biosaft trotzdem das Lebenselixier der Zukunft. Denn auch sie weiss, dass sie ihre Emissionen verringern muss. «Anstatt darüber nachzudenken, wie wir das Fliegen verteuern, verhindern und verbieten können, muss es das Ziel sein, dass wir einen Treibstoff entwickeln, der CO2-neutral ist», schreibt die Swiss.
Richtig ist, dass sogenannt nachhaltiges Flugbenzin SAF (Sustainable Aviation Fuel) heute der einzige Weg ist, wie die Luftfahrt ihre Emissionen substanziell reduzieren kann. Elektrisch oder mit Wasserstoff betriebene Flugzeuge sind auf absehbare Zeit höchstens für kurze Strecken mit wenigen Passagieren möglich. Mit Biokerosin hingegen gehen Airbusse und Boeings schon heute in die Luft.
Der Biosprit ist aber nur eine Übergangslösung. Seine CO2-Bilanz lässt sich kaum weiter verbessern. Biogene Abfallstoffe sind auch nicht unendlich verfügbar. Die Hoffnung auf sauberes Fliegen beruht deshalb auf der nächsten Generation alternativer Treibstoffe: auf synthetischem Kerosin. Es wird mit Strom (Power-to-Liquid) oder Solarwärme (Sun-to-Liquid) aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid hergestellt.
Besonders vielversprechend ist eine an der ETH Zürich entwickelte Methode. Dabei wird Kohlendioxid der Luft entnommen und mithilfe von Sonnenenergie in flüssigen Treibstoff umgewandelt. Der ist CO2-neutral, denn das Kohlendioxid, das beim Fliegen in die Atmosphäre abgegeben wird, fliesst wieder in den Herstellungsprozess ein.
Bis solche Treibstoffe zur Verfügung stehen, wird es aber noch Jahre dauern – und sie werden nochmals deutlich teurer als Biokerosin sein. Die Firma Synhelion, die aus dem ETH-Projekt hervorgegangen ist, will zuerst einen günstigeren Sprit auf den Markt bringen. Er ist 70 Prozent klimaschonender als fossiles Kerosin und kostet doppelt so viel. In vier Jahren soll eine erste kommerzielle Produktionsanlage entstehen, vermutlich in Spanien. Die Pläne sind ehrgeizig: Bis 2030 will die Firma die Hälfte des Schweizer Kerosinbedarfs abdecken, bis 2040 Treibstoff für die Hälfte aller Flüge in Europa liefern.
Ohne die Politik aber wird die Umstellung nicht gehen, sind sich Fachleute einig. Zu gross ist der Preisnachteil gegenüber fossilem Kerosin. Norwegen hat darum als erstes Land eine Quote festgelegt: Jedes Flugzeug muss 0,5 Prozent seiner Tanks mit alternativem Treibstoff füllen. Die EU plant ebenfalls eine Quote, mit der Zeit soll sie erhöht werden. Hersteller erhalten so einen Anreiz, ihre Produktion auszubauen – und mit grösseren Mengen sinken die Kosten, sagt das Wirtschaftslehrbuch.
Anthony Patt, Umweltökonom an der ETH Zürich, hält das für den besten Weg. «Eine Quote nimmt die Branche in die Pflicht, lässt aber den Markt spielen.» Allerdings müsse sie so ausgestaltet sein, dass nicht nur die günstigsten und am weitesten entwickelten alternativen Treibstoffarten zum Einsatz kommen, sondern auch die neuen, klimaschonenderen Varianten.
Gemäss einer Überschlagsrechnung, die er mit GLP-Nationalrat Martin Bäumle gemacht hat, wäre es möglich, bis 2050 fossiles Kerosin komplett zu ersetzen – und die Flugticketpreise würden höchstens um einen Viertel steigen, wenn überhaupt. «Über einen Zeitraum von 30 Jahren wäre das für die Konsumentinnen verkraftbar», sagt Patt.
Dafür müssten in den nächsten Jahren Fabriken aus dem Boden schiessen, die alternative Treibstoffe herstellen. Die Schweiz soll dabei eine Führungsrolle übernehmen, sagt der Ökonom. Mit Synhelion und Climeworks, ein weiteres ETH-Spinoff, das CO2 aus der Luft entnimmt, seien die zwei weltweit führenden Firmen der Sun-To-Liquid-Technologie hier ansässig. In dem Verfahren mit Sonnenwärme liegt laut Patt das grösste Potenzial für die grüne Luftfahrt. Es sei effizienter als das Power-to-Liquid-Verfahren, bei dem man Treibstoff mithilfe von Strom herstellt wird. Die auf Windenergie-Länder wie Deutschland ausgerichtete Förderung der EU ist vor allem auf diese Technologie ausgerichtet. «Längerfristig ist Sun-To-Liquid aber wohl günstiger und umweltschonender», so Patt.
Mit der Hälfte der Flugticketabgabe hätte die Schweiz diese Treibstoffe wirksam fördern können. Das Nein zum CO2-Gesetz interpretiert Patt nun aber nicht als Votum gegen solche Pläne. «Die Konsumentinnen und Konsumenten wollen keine höheren Ticketpreise. Ich glaube aber nicht, dass sie gegen Subventionen für alternative Energien sind.» Das habe sich beim Strom gezeigt. Patt ist deshalb auch gegen Lenkungsabgaben, die jene belohnen, die weniger fliegen. «Für den Klimaschutz muss sauberes Fliegen das Ziel sein, dafür müssen wir das Geld einsetzen.»
Viele Klimaschutzfachleute sind jedoch anderer Meinung. «Um das Klima zu schützen, brauchen wir nicht nur alternative Treibstoffe, wir müssen auch weniger fliegen», sagt etwa die Klimapolitikexpertin Anja Kollmuss. Es sei gefährlich, wenn die Flugbranche CO2-neutrales Kerosin als Alternative zu nachhaltigerem Reisen anpreise. «Wir werden kaum je genügend solchen Treibstoff zur Verfügung haben, wenn der Flugverkehr nicht zurückgeht.»
Noch kritischer ist Christof Drexel, Autor des Buchs «Zwei Grad. Eine Tonne. Wie wir das Klimaziel erreichen und damit die Welt verändern». Allein um den Bedarf des Flughafen Zürichs mit synthetischem Treibstoff zu decken, benötige man fast die gesamte heutige Stromproduktion aus Schweizer Wasserkraft, rechnet er vor. Klimaneutral wäre das Fliegen selbst dann nicht. Denn auch mit grünem Sprit bewirken Flüge in grosser Höhe einen um den Faktor 2,7 grösseren Treibhauseffekt, als ihn das CO2 verursacht, das bei der Treibstoffherstellung der Luft entnommen wird.
Drexel sieht beim Flugverkehr deshalb nur geringe Möglichkeiten, mit technischem Fortschritt die CO2-Bilanz nachhaltig aufzubessern. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis stimme einfach nicht. Das Klimaziel Netto-Null bis 2050 sei erreichbar – aber nur, wenn wir noch halb so viel fliegen wie heute. Ist das nicht noch utopischer? Drexel findet Nein. Vor allem sei das viel günstiger. «Auf jeden zweiten Flug verzichten – schon wären wir ziemlich weit.»
2 Kommentare
Kurz nachdem die deutsche Regierung vor Jahren euphorisch auf Biodiesel für Motorfahrzeuge setzte, haben sich die negativen Auswirkungen als gravierend herausgestellt. Noch mehr Druck auf die Regenwälder, noch mehr Intensivlandwirtschaft, Flächenkonkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion etc. Nun folgt dieselbe Mär von Neuem. Das Problem ist, dass viele Menschen heute glauben, Kurzurlaube in Palmendestinationen, Wochenendtrips in ferne Metropolen und Einkaufsbummel in London oder NY seien ein Menschenrecht.
Eine Verpflichtung langsamer zu fliegen würde auch schon eine Reduktion bringen. Auch bei der Treibstoffeffizienz der Triebwerke gäbe es noch aufholbedarf und ein Landeverbot für alte Dreckschleudern wäre doch auch noch interessant. Ging leider vergessen in diesem sonst guten Artikel.