Der Schlossbüel bei Goldingen SG trägt seinen Namen zu Recht. Hier steht in einer exklusiven Parkanlage mit Teichen, Pergolas und mehreren Nebengebäuden eine herrschaftliche Villa. Man wähnt sich vor einem Landschloss an der Loire. Das Grundstück misst 8400 Quadratmeter, die Baukosten werden auf über zehn Millionen Franken geschätzt.

Das Anwesen, das ausserhalb der Bauzone liegt, hat allerdings Schönheitsfehler: Laut einem Urteil des Verwaltungsgerichts St. Gallen vom Februar 2008 müssten mehrere Neben- und Anbauten längst abgebrochen sein. Für das Hauptgebäude müssten nachträgliche Baugesuche eingereicht sein. Geschehen ist jedoch nichts dergleichen, Gerichtsurteil hin oder her.

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Ginge es nach Hansjörg Hunziker, Ratsschreiber in Goldingen, sollte man besser «keine schlafenden Hunde wecken». Weil der Fall heikel sei, habe man sich für einen Lösungsvorschlag ans kantonale Amt für Raumentwicklung und Geoinformation (Areg) gewandt. Offenbar hat die Sache dort aber nicht oberste Priorität. Jakob Ruckstuhl, zuständiger Leiter beim Areg, räumt ein, dass das Dossier «zu lange» bei ihm liegengeblieben sei. Und: «Ich werde nun eine Lösung vorschlagen. Durchsetzen muss sie dann die Gemeinde.» Was diese in die Zwickmühle bringen wird – schliesslich durfte die Bauherrschaft jahrelang mit dem Segen der örtlichen Baubehörde tun und lassen, was sie wollte.

Gemeinde schont die guten Steuerzahler

Der Konflikt ist programmiert. Margaretha Dewert, Mitbesitzerin der Goldinger Villa, will sich zur Sache nicht äussern: «Wir haben die Angelegenheit unserem Anwalt übertragen.»

Er wird einiges zu tun haben, denn das erwähnte Urteil des St. Galler Verwaltungsgerichts spricht Bände: 1997 bewilligt der Gemeinderat Goldingen den Abbruch eines bestehenden Wohnhauses und erteilt für den Ersatzbau gleich mehrere Ausnahmebewilligungen – für mehr Geschosse sowie ein höheres und längeres Gebäude. Weitere Nachtragsbewilligungen werden willig durchgewinkt, ohne dass – wie gesetzlich vorgesehen – die kantonalen Behörden einbezogen werden. So wird ein Dachgeschoss aufgesetzt, obwohl dies der Kanton ausdrücklich untersagt hat.

Als im Jahr 2000 rund um die Villa die Umgebungsarbeiten abgenommen werden, entdeckt die Gemeindebehörde unter anderem einen nicht bewilligten Wintergarten sowie ein Gerätehaus samt Tierstall. Die nachträglichen Baugesuche werden bewilligt und dem Kanton zur Zustimmung übermittelt. Im Jahr darauf führt die kantonale Behörde einen Augenschein durch und sistiert das Verfahren wegen der Revision des Raumplanungsgesetzes. Zu diesem Zeitpunkt stehen am Schlossbüel längst alle Gebäude.

Dann herrscht fünf Jahre lang Funkstille. Bis das Areg Anfang 2006 zwar der Umgebungsgestaltung zustimmt, aber dem Wintergarten, dem Gerätehaus, dem Tierstall und einem Backhäuschen die nachträgliche Baubewilligung verweigert. Die Gemeinde muss nun wohl oder übel den Rückbau verfügen, wogegen die Besitzerfamilie Dewert rekurriert. Beim neuerlichen Augenschein stösst das zuständige Kantonsdepartement sodann auf weitere unbewilligte Bauten wie ausgebaute Unter- und Dachgeschosse sowie Türme und einen Lift.

Die Gemeinde stellt sich schützend vor ihre guten Steuerzahler und ersucht darum, diese nachträglichen Baugesuche so lange aufzuschieben, bis der erste Rekurs entschieden sei. Schliesslich lehnt das Verwaltungsgericht die Beschwerde der Villenbesitzer ab. Seither sind vier Jahre vergangen, und die Gemeinde und der Kanton spielen miteinander Eile mit Weile.

All das könnte als Posse durchgehen, wäre Goldingen ein Einzelfall. Ist es aber nicht: «Ich kann ein halbes Dutzend vergleichbare Fälle aufzählen», erklärt Reto Schmid, Kopräsident beim WWF St. Gallen. Fälle, wo sich Gemeinden um Gerichtsentscheide foutieren. «So entsteht ein rechtsfreier Raum. Die Gemeinden handeln willkürlich. Wie will man dem Bürger A erklären, dass er etwas nicht tun darf, wenn Bürger B dasselbe ohne Bewilligung tut und die Gemeindebehörde nicht durchgreift?» Und weil es gerade ausserhalb der Bauzonen oft keine direkten Anstösser gebe, die den Behörden auf die Finger schauten, werde oft munter drauflosgebaut, fügt Schmid an.

Und das ist beileibe keine St. Galler Spezialität, weiss Raimund Rodewald. Der Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz erwähnt unter anderem rund 600 Rustici im Tessin: «Tendenziell meist illegal erstellte Ferienhäuser, die nicht zurückgebaut werden.» Weil der Kanton nichts unternimmt, blockiert das Bundesamt für Raumplanung seit Jahren sämtliche Umbaugesuche für Rustici, um das Tessin zum Einlenken zu zwingen. Bisher erfolglos.

Seit Jahren müsste abgebrochen sein

Einen besonders illustren Fall leistet sich auch die Bündner Gemeinde Samnaun. Die dortige Zeblas-Hütte steht mitten in der roten Gefahrenzone – und in einem geschützten Flachmoor. Sie wird seit Jahren von Gästen des Hotels Silvretta für ausgiebige Grillfeste und zum «Hochmoor-Kneippen» genützt – trotz rechtsgültiger Abbruchverfügung vor bald zehn Jahren.

Die Vorgeschichte: In den siebziger Jahren zerstört auf Zeblas eine Lawine einen landwirtschaftlich genutzten Stadel. Erst 1991 wird gut hundert Meter davon entfernt eine neue, bewohnbare Sommerresidenz errichtet – ohne Baubewilligung und trotz der Aufforderung der Gemeinde, die Bauarbeiten einzustellen. Gegen das Gebäude hat die Umweltschutzorganisation Pro Natura Graubünden interveniert.

Es dauert fünf Jahre, bis Bauherr Josef Jenal schliesslich ein nachträgliches Baugesuch einreicht. Schon zuvor bezieht das Bündner Amt für Raumplanung klar Position: Baugesuche, die offensichtlich nicht bewilligungsfähig sind, habe die Gemeinde abzulehnen. 1997 schützt die Baubehörde Samnaun die Einsprache von Pro Natura und kündigt an, das Gesuch abzulehnen. Doch für die folgenden vier Jahre bleibt es bei der Ankündigung. Erst 2001 verfügt die Gemeinde schliesslich den Abbruch der Zeblas-Hütte und fordert Jenal auf, die «Wiederherstellung des Standorts bis Ende September 2002 freiwillig vorzunehmen».

«Noch dieses Jahr erledigen»

Doch der Bauherr reagiert nicht. Trotzdem verzichtet die Gemeinde auf eine Busse, ebenso auf eine Ersatzmassnahme – laut Gesetz könnte die zuständige kommunale Baubehörde den Abbruch «auf Kosten des Säumigen durch Dritte vornehmen».

Doch die Hütte wurde in den letzten Jahren weiter ausgebaut und rege genutzt – die lokalen Behörden schauen zu. Anfang 2011 interveniert Pro Natura erneut. Nun verspricht der neu gewählte Gemeindepräsident Hans Kleinstein, abzuklären und allenfalls neu zu verfügen. Will heissen: Es soll nochmals eine rechtsgültige Abbruchverfügung ausgesprochen werden. Zum Beobachter sagt Kleinstein: «Wir werden den Fall noch in diesem Jahr erledigen.» Man wird sehen.

Fatalistisch reagiert Elisabeth Gugganig-Zegg, Chefin des Silvretta-Hotels und Nutzniesserin der Partyhütte: «Einen Abbruch würden wir als Hotelbetrieb wahrscheinlich noch verschmerzen. Es wäre aber völlig sinnlos, dieses Bijou abzureissen.» Alle hätten Freude daran, und die Hütte füge sich «harmonisch in die Zeblaswiese».

Was tun, wenn Gemeinden illegale Bauten einfach als Fait accompli hinnehmen? Reagieren müsste eigentlich der Kanton. Gemäss Raumplanungsgesetz trifft nämlich «der Kanton die erforderlichen Massnahmen, sofern die kommunale Baubehörde untätig bleibt». Doch in der Praxis geschieht das nicht: Die lange Leine gibt es nicht nur für Bausünder, sondern auch für Behörden, die dem Prinzip Wegschauen frönen.

Löchrig wie Emmentaler Käse

Die grundsätzliche Trennung von Bau- und Nichtbaugebiet gilt in der Schweiz seit 1972. Bis dahin durften Gebäude fast wahllos in die Landschaft gestellt werden. Das Raumplanungsgesetz trat dann erst 1980 in Kraft. Es ist löchrig wie ein Emmentaler Käse: Nach Analysen des Bundesamts für Raumentwicklung wurden in den letzten 30 Jahren etwa 20'000 Gebäude mit Wohnnutzung ausserhalb der Bauzonen errichtet, wobei nur Bauten mit Ausnahmebewilligungen erfasst sind. Statistiken zu Abbruchverfügungen gibt es keine, geschweige denn Daten zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands.

Der St. Galler WWF-Vertreter Reto Schmid kritisiert: «Es braucht eine stärkere Aufsicht durch die Kantone und einen Sinneswandel bei den Gemeinden.» Zwar könnten Umweltverbände mit Rechtsverweigerungsbeschwerden und aufsichtsrechtlichen Anzeigen nachhaken, wenn nichts passiere. Aber: «In jedem Fall haben wir dann den schwarzen Peter. Obwohl wir nur auf geltendes Recht pochen.»

Illegal das ganze Gelände verändert

Recht sprechen und Recht durchsetzen sind zwei Paar Schuhe. So auch am Schönenberg in Wattwil SG, wo sich Bauer Erich Künzle bisher um alle behördlichen Auflagen foutiert hat. 1998 lässt er anstelle einer kleineren, bewilligten Geländeanpassung bei einem neuen Laufstall den ganzen Hang bis zum Wald meterhoch mit Aushubmaterial aufschütten. Ohne die nötige Zustimmung des Kantons einzuholen, bewilligt die Gemeinde Wattwil zwei Jahre später nachträglich die Terrainauffüllung mit Auflagen. Künzle schüttet daraufhin noch eine weitere Geländemulde samt einem Fliessgewässer zu, errichtet einen Damm quer über den Hang und verlegt einen Gemeindeweg – wiederum ohne Bewilligung. Nun ringt sich die Gemeinde durch, einen Baustopp zu verfügen und Künzle wegen «mehrfacher Widerhandlung gegen baurechtliche Vorschriften» mit 1200 Franken zu büssen.

Abgeschlossen ist die Sache damit nicht. Landwirt Künzle reicht die «vergessenen» Unterlagen nach, und die Bauverwaltung schickt die Projektänderungen zur Prüfung ans kantonale Raumentwicklungsamt – versehen mit dem Hinweis, die Geländeveränderungen würden in keiner Weise der Baubewilligung entsprechen.

Bauer Künzle baut nun einen Melkstand ohne Bewilligung und führt weiteres Erdmaterial zu. 2003 verfügt die Gemeinde erneut einen Baustopp und droht mit Ersatzmassnahmen auf Kosten des Verursachers. Schliesslich verweigert der Kanton St. Gallen 2005 die Zustimmung für die Geländeauffüllungen und die neue Flurstrasse. Wattwil wird aufgefordert, den rechtmässigen Zustand wiederherzustellen. Nun spurt die Gemeinde: Künzle wird angewiesen, über 10'000 Kubikmeter illegal aufgeschüttetes Material zu entfernen.

Ohne Resultat: Künzle macht Rekurs, dieser wird 2007 vom Kanton abgewiesen und die Gemeinde Wattwil aufgefordert, die Transportfirma Schmucki – sie hatte den Aushub damals angekarrt – als «Verhaltensstörerin und Verursacherin» mit einzubeziehen. Auch dagegen rekurriert Künzle beim Verwaltungsgericht, und diese Instanz trifft einen erstaunlichen Entscheid: Wohl rügt sie seitenlang sämtliche Baurechtsverstösse und illegalen Eingriffe ins Landschaftsbild, erachtet die Rückführung des grösseren Teils des Bauaushubs von 7000 Kubikmetern dennoch als «unverhältnismässig». Dafür wären Hunderte von Lastwagenfahrten nötig, argumentiert das Gericht, womit eine «erhebliche Belastung der Umwelt und ein schwerer Flurschaden verbunden wären». Fazit: Wer nur stark genug sündigt, kriegt einen Freipass.

«Wir müssen da Ordnung schaffen»

Immerhin: Das Bundesgericht, das den Fall schliesslich beurteilt, ist nicht einverstanden. Alle illegalen Aufschüttungen müssten entfernt werden, urteilt es, und der Bauherr habe dafür innert sechs Monaten ein Projekt vorzulegen. Wattwil wird aufgefordert, die Verantwortlichkeit der Transportfirma und deren «subjektive Wiederherstellungspflicht» zu prüfen.

Mittlerweile sind vier Jahre vergangen, die Aufschüttung ist längst zugewachsen. «Ich kann mir die Kosten von über 300'000 Franken für die Wiederherstellung gar nicht leisten», sagt Bauer Künzle. Er stellt sich auf den Standpunkt, dass sich die Transportfirma darum kümmern müsse. Deren Chef, Hans Schmucki, will sich nicht näher äussern. Nur so viel: «Wir müssen da Ordnung schaffen.» Laut Verfügung der Wattwiler Behörden hat sich Schmucki an den Kosten zu beteiligen. Das Konzept der Gemeinde sieht vor, dass alles Material bis Mitte 2012 entfernt ist. Die Zeit drängt also – zumindest auf dem Papier.