Wehe, jemand steht einem grossen Tabakkonzern auf die Füsse. Eine geharnischte Reaktion ist in einem solchen Fall so gut wie garantiert. Und wenn der Angriff auf die Tabaklobby von einer renommierten Wissenschaftszeitschrift kommt und in klare Worte gefasst ist, fällt die Reaktion umso heftiger aus.

So geschehen in den vergangenen Tagen. Die Protagonisten: auf der einen Seite die renommierte Medizinzeitschrift «The Lancet», auf der anderen der Tabakmulti Philip Morris International, der seit einigen Jahren versucht, sein Image IQOS Philip Morris mimt den Wohltäter mit einer Kampagne für «rauchfreies Rauchen» namens «Unsmoke Your World» aufzupolieren.

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Der Streit begann Ende August mit einem pointierten Editorial im «Lancet». Mit dem Titel «Philip Morris International: Geld vor Moral?» war der Ton gesetzt, und der oder die namentlich nicht genannte Schreibende hielt sich nicht zurück.

Philip Morris zeige mit kontroversen Marketingstrategien, die auf junge Menschen abzielen und einem aggressiven Rebranding von Zigaretten in Tieflohnländern einen «noch nie dagewesen Grad an unternehmerischer Heuchelei», heisst es in dem Editorial: «Philip Morris gedeiht weiterhin dank der globalen Tabaksucht». Der Ruf nach einer rauchfreien Zukunft beginne «mit dem Mut, sofort jegliche Produktion von Zigaretten einzustellen».

Als Beweis eine Studie aus Japan

Das konnte Marian Salzman, Senior Vice President Global Communications bei Philip Morris, nicht auf sich sitzen lassen. Sie hob – ebenfalls im «Lancet» – zum Gegenschlag aus. Acht Millionen erwachsene Raucher seien mittlerweile auf Iqos umgestiegen, einen Zigarettenersatz, bei dem der Tabak nur noch erhitzt, aber nicht mehr verbrannt wird: «All das geschah, ohne dass (der Gebrauch von Iqos, Anm. d. Red.) unter Nichtrauchern und speziell unter Jugendlichen ein beunruhigendes Niveau erreicht hätte.»

In anderen Worten: Das Lifestyle-Produkt, mit dem Philipp Morris die Raucher bei der Stange halten und neue Märkte erschliessen will, verleitet Jugendliche nicht zum Rauchen.

Als zentralen Beweis für diese Behauptung führt Salzman eine japanische Studie an – die es nur auf Japanisch gibt. Wer sich die Mühe macht, das Dokument mit einem Online-Übersetzungsdienst lesbar zu machen, staunt jedoch: In der Studie geht es zwar auch um das Rauchverhalten von 12- bis 18-jährigen Schülerinnen und Schülern aus dem Land der aufgehenden Sonne, aber nicht nur. Die Forscher untersuchten das Suchtverhalten allgemein, zum Beispiel den Alkoholkonsum (besorgniserregend) und die Nutzung des Internets (alarmierend).

Ihr Fazit in Sachen Tabakkonsum: Der traditionell tiefe Anteil von Rauchern unter den japanischen Jugendlichen sinkt. Rauchersatzprodukte wie Iqos oder Dampfer sind jedoch in japanischen Schulen bestens bekannt, selbst wenn sich die Werbung angeblich nur an erwachsene Raucher richtet, wie Philip Morris mantramässig betont.

Mehr Jugendliche konsumieren Tabakprodukte

Der Verweis auf die japanische Studie ist jedoch Mumpitz. 12- bis 18-jährige Japanerinnen und Japaner, die in der Schule einen Fragebogen ausfüllen, sind für eine Aussage über den globalen Effekt von riesigen Marketingkampagnen Rauchen «95 Prozent weniger schädlich? Schlicht nicht wahr!» für neue Raucherwaren schlicht nicht repräsentativ. Zudem hätte man durchaus auch andere wissenschaftlichen Studien zum Zitieren gefunden.

Etwa die Studie des staatlichen amerikanischen «Center for Disease Control and Prevention». Dieses stellte zwischen 2017 und 2018 einen dramatischen Anstieg von Jugendlichen fest, die Tabakprodukte konsumierten. Die Autorinnen und Autoren dieser Studie vermuten eine Hauptursache hinter den steigenden Zahlen: die Einführung des Iqos-Konkurrenzprodukts Juul Nikotinsalze «Mit den neuen E-Zigaretten wird man schneller süchtig» in den USA.

Auch in Korea fanden Forscher Hinweise, die gegen die von Philip Morris verbreitete Behauptung sprechen, dass Iqos und Co. helfen, vom Rauchen wegzukommen: Bei aktiven Nutzern von Iqos sei die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie auch normale Zigaretten und Dampfgeräte benutzten, heisst es in der im «British Medical Journal» publizierten Studie.

Die Resultate solcher Untersuchungen passen deutlich weniger gut in die Marketingstrategie eines Tabakkonzerns. Wie heisst es doch im «Lancet»-Editorial: «Die Tabakindustrie ist berüchtigt dafür, Konsumenten in die Irre zu führen

«Für dumm verkauft»

Etikettenschwindel, falsche Preisangaben, haarsträubende Werbung oder sonst ein Reinfall: Für Ärger von Konsumentinnen und Konsumenten ist leider nur allzu häufig gesorgt. Auch Beobachter-Redaktorinnen und -Redaktoren fühlen sich öfters für dumm verkauft. Was sie dabei erleben, lesen Sie unter dieser Rubrik.

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