«Russischer Bär liebt unseren Käse», frohlockte die «Bauernzeitung» 2015. Ein Jahr zuvor hatten russische Truppen die ukrainische Halbinsel Krim besetzt, und die EU hatte Sanktionen gegen Russland verhängt. Russland verbot im Gegenzug die Einfuhr von Lebensmitteln aus der EU, darunter auch Käse.

Die Schweiz übernahm die EU-Sanktionen nicht, und die Schweizer Lebensmittelhersteller durften weiter nach Russland liefern. Für die Käser war das ein Segen. Die Ausfuhren nach Russland haben sich seither versiebenfacht. 2021 wurde Käse im Wert von rund 30 Millionen Franken nach Russland verkauft – 4 Prozent der Exporte.

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Russische Importeure hätten den Schweizer Käsern nach dem Krimkrieg die Türen eingerannt, berichtet Christoph Scherrer von der Züger Frischkäse AG, einem Mozzarellahersteller aus der Ostschweiz. «Von einem Tag auf den anderen durften deutsche oder französische Hersteller nicht mehr liefern. Gegen hundert russische Händler haben sich bei uns gemeldet.» Züger, einer der grossen Schweizer Exporteure, kam ins Geschäft mit den Russen. Seither erwirtschaftet die Firma dort einige Prozent ihres Umsatzes.

Mahnende Worte vom Bauernverband

Die Schweiz verfuhr damals ähnlich wie in früheren Krisen: Sie stellte ihre Guten Dienste zur Verfügung, übernahm ein Minimum an Sanktionen – und machte gute Geschäfte. Dabei hatte Markus Ritter, der Präsident des Bauernverbands, gemahnt: «Wir möchten nicht als Profiteure dastehen und deshalb in Europa ein schlechtes Image erhalten.» Man solle den Export von Agrargütern nicht um jeden Preis antreiben.

Ritters Worte verhallten ungehört. Die Agrarexporte nach Russland stiegen seit 2013 um 13 Prozent, es ist der sechstwichtigste Absatzmarkt für Lebensmittel aus der Schweiz – für Babynahrung, Schokolade und Kaffee. Noch vor drei Monaten, der Krieg gegen die Ukraine zeichnete sich schon ab, wollte der Bundesrat die Zusammenarbeit mit Russland im Agrarbereich sogar noch ausbauen. Das Vorhaben ist mittlerweile sistiert.

30 Millionen Franken betrug 2021 der Wert der Käse­-Exporte nach ­Russland.

Dass das Russlandgeschäft heikel war, ist man sich in der Käsebranche bewusst. Als Kriegsgewinnler sieht man sich aber nicht. Martin Spahr von Switzerland Cheese Marketing, der Dachorganisation der Branche, sagt: «Das Umfeld hat sich zu unseren Gunsten entwickelt.» Wegen des EU-Embargos sei die Nachfrage nach Schweizer Käse stark gestiegen. Man habe nicht mehr Werbung in Russland gemacht, sondern die Früchte einer jahrelangen Aufbauarbeit geerntet.

«Dem Tüchtigen gehört das Glück», findet ein grösserer Käsehändler, der nicht genannt sein will. Sein Absatz in Russland habe sich seit 2014 vervielfacht. Er habe auch davon profitiert, dass Russland für ihn nicht neu war und er diesen Markt schon früher beliefert hatte.

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hat die Schweiz die EU-Sanktionen übernommen. Bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe konnten Nahrungsmittel aber frei gehandelt werden. Nestlé etwa ist trotz Kritik weiterhin in Russland tätig, wenn auch reduziert. Viele Käsehersteller haben die Lieferungen jedoch gestoppt. Zahlungen können nicht überwiesen werden, der Transport ist unsicher.

«Warum sollten die Russen nicht unseren Käse essen dürfen?»

Wie es weitergeht, ist ungewiss. Christoph Scherrer von Züger Frischkäse rechnet damit, dass der Handel mit Russland ruhen wird. Seine Firma werde das verschmerzen, seine Handelspartner täten ihm aber leid. «Das sind gute Leute, die ich persönlich kenne. Sie verlieren jetzt ihre Arbeit. Wenn man einzelne Schicksale anschaut, ist die Situation auch für die Russen schlimm.»

Ein anderer Käsehändler sagt, er würde ohne Skrupel wieder nach Russland liefern. «Man muss Politik und Konsum unterscheiden. Warum sollten die Russen nicht unseren Käse essen dürfen?»

Insgesamt dürften die Schweizer Käseproduzenten den Wegfall des russischen Markts locker wegstecken. Zugenommen hat in den letzten Jahren aber auch der Handel in die umgekehrte Richtung. Die Schweiz ist zwar nicht direkt von russischen Agrargütern abhängig, doch eine Branche kommt ins Rotieren: die Futterhersteller . Denn Russland ist heute laut dem Verein Soja-Netzwerk mit 41'500 Tonnen oder einem Anteil von rund 16 Prozent knapp hinter Brasilien der zweitgrösste Lieferant von Soja, dem wichtigsten Eiweissfuttermittel in der Schweizer Landwirtschaft.

Wieder brasilianische Soja statt russische Soja?

Die Importe sind aber kaum als Folge des Krimkriegs explodiert. Man wollte brasilianische Soja ersetzen, die oft mit der Abholzung von Regenwald in Verbindung gebracht wird. Europäische Soja dagegen wird als nachhaltig vermarktet. Der Krieg in der Ukraine habe die Warenströme «komplett auf den Kopf gestellt», heisst es bei Fenaco, dem grössten Schweizer Futterhändler. Russische Soja sei nicht mehr verfügbar. «Wir setzen alles daran, alternative Bezugsquellen zu erschliessen.» Konkret könnte wieder mehr aus Brasilien eingekauft werden. Selbst Biosuisse hat Importe aus Übersee bewilligt. Bis zu 40 Prozent der Soja dürfen Biobauern – entgegen den üblichen Regeln – von dort beziehen. Nachhaltigkeit adieu.

Wäre es momentan zu verantworten, russische Soja zu kaufen – und damit den Krieg mitzufinanzieren? Beim Soja-Netzwerk heisst es: Wenn dereinst wieder russische Soja verfügbar sei, werde «die Branche das unter den dann herrschenden politischen Gegebenheiten neu beurteilen». Fenaco nahm nicht konkret Stellung.

Schweizer Bauern auf Futter und Dünger vom Ausland angewiesen

Der grösste Schweizer Agrarhändler muss gerade Ersatz für ein weiteres Produkt suchen: Dünger. Rund 14 Prozent des Fenaco-Kunstdüngers stammten bisher aus Russland. Auch damit ist Schluss. Das sei verkraftbar, man kaufe vor allem in Westeuropa ein. Und momentan habe es genug Dünger in der Schweiz.

Mehr Sorgen bereiten zurzeit die stark steigenden Preise für Futtermittel und Dünger. Ohne diese Importwaren geht in der Landwirtschaft fast nichts. Der Krieg führt den Schweizer Bauern gerade ihre Abhängigkeit vom Ausland brutal vor Augen.

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