Ein Wasserfall plätschert im fünften Stock. Ein Apfel-, ein Birnen-, ein Zwetschgen- und ein Aprikosenbaum stehen da. Im Gewächshaus Sommerblumen, unter einer Pergola ein Tisch. Ein Nutz- und Ziergarten, 150 Quadratmeter, 16 Meter über der Strasse, mit Blick auf Schwarzwald und Vogesen. Manchmal schwenkt der Kran der nahen Baustelle nur wenige Meter über den Garten hinweg.

Maja Geitlinger gärtnert seit zehn Jahren hier, hoch über Basel. In ihrem Garten wachsen – sie hat es einmal gezählt – über 300 Pflanzenarten. Sie locken Insekten an, Hummeln, Schmetterlinge, Bienen. Ameisen wohnen hier und Schnecken, deren Eier wohl über Blumenerde eingewandert sind. Zwischendurch schauen Vögel vorbei. Alles ganz wie in einem gewöhnlichen Garten, einem bodennäheren.

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Doch Dachgärtnerin Geitlinger weiss: «Das Gärtnern im fünften Stock unterscheidet sich in manchem vom ‹normalen› Gärtnern.» Zum Beispiel bei der Bewässerung. Geitlinger ist oft abwesend, sie arbeitet als Pflegefachfrau und reist gern; eine Bewässerungsanlage musste her.

Die erste Anlage erwies sich als untauglich: Sie versprenkelte das Wasser einen halben Meter über dem Boden – der Wind blies es davon. Maja Geitlinger musste eine Lösung installieren lassen, die das Wasser direkt im Wurzelbereich abgibt.

Schnittgut wirft sie auf die Strasse runter

Etwas mühsam ist zudem, dass jeder Sack Erde und jeder Setzling die Treppe hochgetragen muss. Kleinere Gartenabfälle kompostiert Maja Geitlinger in einem Thermo-Komposter, damit der Kreislauf geschlossen bleibt. Für das Grüngut musste sie mit dem Hauseigentümer ein Entsorgungssystem austüfteln: Zuerst wirft sie das Schnittgut auf ihre darunterliegende Terrasse, von dort auf das schlagfeste Dach des Velounterstands, bevor der Häckseldienst der Stadt die Äste abholen kann.

Beim Dachgarten geht gar nichts ohne den Hauseigentümer. Laut Obligationenrecht ist seine schriftliche Einwilligung Voraussetzung. Und es muss genau geregelt werden, was nach Beendigung des Mietverhältnisses mit den baulichen Veränderungen passiert – ob der Eigentümer den Garten übernimmt und den ehemaligen Mieter für die Investitionen entschädigt, da der Garten einen Mehrwert darstellt. Sonst kann er die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands verlangen.

Auch Stockwerkeigentümer können nicht auf eigene Faust einen Dachgarten anlegen. Sie haben in der Regel für Terrassen und Dächer bloss ein Nutzungsrecht. Wenn sich das äussere Erscheinungsbild verändert – wie es bei einem Dachgarten der Fall ist –, muss die Hausgemeinschaft ihre Einwilligung geben, sagt das Zivilgesetzbuch. Zudem muss immer auch das kantonale und das kommunale Baurecht berücksichtigt werden: Falls die maximale Höhe des Gebäudes bereits erreicht ist, ist es zum Beispiel kaum möglich, eine Hecke zu setzen oder ein Geländer zu montieren.

Im Fall von Maja Geitlinger waren die Verhältnisse günstig: Hauseigentümer Urs M. Fischer ist mit ihr befreundet, er liess den Garten anlegen und fungierte als Bauherr, sie mietet Wohnung und Garten. Da der Garten nur durch Geitlingers Wohnung erreichbar ist, kann er von den anderen Mietern im Haus nicht benutzt werden.

«Rechnerisch geht es nicht auf»

Um auf dem Gebäude aus dem Jahr 1962 einen Dachgarten anzulegen, war eine sorgfältige Planung mit genauen Statikberechnungen nötig (siehe «So entsteht ein Dachgarten»). «Es braucht etwas Mut für ein solches Projekt», sagt Hauseigentümer Fischer, der Architekt ist. «Doch wenn man es seriös angeht, gibts keine Probleme.» Ein alltagstaugliches Modell für Mietshäuser sei ein Dachgarten aber nicht. «Rechnerisch geht es nicht auf, da man die Investition für den Garten nicht mit dem Mietpreis amortisieren kann.»

Maja Geitlingers grüne Oase befindet sich zwar in luftiger Höhe, ist aber alles andere als isoliert. Immer wieder finden Samen von Wildpflanzen den Weg in den Garten. Der Efeu etwa, der um den Liftschacht rankt, wuchs einfach, und weil er grad schön passte, liess sie ihn gewähren.

23 Kilo Zwetschgen vom Dach

Dank der Wärme des Hauses ist der Dachgarten recht frostsicher. Im Sommer wird es zudem so warm, dass die Früchte sehr gut ausreifen können – 23 Kilo Zwetschgen hat Gärtnerin Geitlinger im letzten Jahr geerntet. Auch das ist fast wie in einem «richtigen Garten» – bloss Gespräche über den Gartenzaun sind nicht möglich; weit und breit ist kein anderer Dachgarten in Sicht.

Begrünte Dächer hingegen schon. Seit den neunziger Jahren nimmt ihre Zahl stark zu. Basel leistete Pionierarbeit mit Subventionierungsaktionen: Heute ist jedes dritte Flachdach der Stadt begrünt – mit einer mageren Substratschicht belegt und besiedelt mit wärmetoleranten und trockenheitsliebenden Pflanzen wie Sedum-Arten, Thymian und Hauswurz. «Das spart Energie», sagt Stephan Brenneisen, Leiter der Forschungsgruppe Dachbegrünung an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. «Das Gebäude erwärmt sich durch die zusätzliche Isolationsschicht im Sommer nicht so schnell, zugleich geht im Winter weniger Wärme verloren.» Zudem halte die Abdichtung bei einem begrünten Dach länger. «Und die Pflanzen wirkten sich positiv auf das Stadtklima aus und sind schön anzusehen.»

Alles Gründe, weshalb inzwischen viele Gemeinden vorschreiben, neue Flachdächer zu begrünen. Das könnte der erste Schritt zu mehr Dachgärten sein. Gemäss Stephan Brenneisen reicht die Abdichtung bei begrünten Flachdächern nämlich auch für einen richtigen Garten aus – sofern die Statik es zulässt. Es gibt also Potential für weitere Oasen im fünften Stock.

So entsteht ein Dachgarten

Es gibt verschiedene Systeme, um Dächer abzudichten und zu bepflanzen. Der Dachgarten von Maja Geitlinger ist wie folgt entstanden:

  • Ein Statiker berechnete die Tragfähigkeit des Hausdachs. Es zeigte sich, dass es mit 500 Kilo pro Quadratmeter belastet werden kann, im Randbereich sogar mit einer Tonne. Das wird mit dem heutigen Garten zwar nicht ausgeschöpft – doch es braucht immer auch etwas Reserve, da im Winter der Schnee zusätzlich ins Gewicht fällt.

  • Die Abdichtung: Auf das Betondach kam eine Dampfsperre und anschliessend eine Wärmedämmung. Sie wurde mit Bitumen überstrichen und mit Dachpappe ausgelegt. Mit Holzbalken wurden unterschiedlich tiefe Staustufen für das Regenwasser geschaffen. Wo die Becken tief sind und sich viel Wasser sammelt, befinden sich nun die eher feuchteren Zonen des Gartens. Über das Balkengerüst kam ein fünf Zentimeter dicker Betonüberzug, der als mechanischer Schutz dient, damit die Abdichtung bei Gartenarbeiten mit dem Spaten nicht verletzt wird.

  • Nun ging es an den eigentlichen Gartenboden: Zuerst wurde eine 5 bis 15 Zentimeter dicke Schicht von Blähtonkügelchen eingefüllt und mit einem Vlies überdeckt, damit die Erde sich nicht damit vermischt. In dieser Schicht kann sich das Regenwasser sammeln. Darüber kam spezielles Dachgartensubstrat, das als Humusschicht fungiert. Je nach Stelle ist diese 10 bis 30 Zentimeter tief.

  • Rund um den Dachgarten wurde ein extra stabiler Maschendrahtzaun gebaut.

  • Schliesslich kam die Gestaltung des 150 Quadratmeter grossen Gartens mit Platten- und Schnitzelwegen, einem Sitzplatz, Kleingehölzen und Stauden.
Nicht geeignete Pflanzen

Nicht alle Pflanzen eignen sich gleich gut für einen Garten auf dem Dach – weil sie zu stark wachsen, sehr kräftige oder tiefe Wurzeln bilden oder mit der dünnen Erdschicht nicht zurechtkommen. Ungeeignet sind zum Beispiel Bambus, Birke, Robinie, Weide, Pappel, Föhre, Feige, Geissblatt, Glyzinie, Flieder, Rose oder Lupine.