Alle stöhnen, keiner hörts
Firmen müssten sich eigentlich Mühe geben, Angestellte zu motivieren und zu halten. Doch diese merken davon wenig: Ihre Enttäuschung nimmt zu.
Veröffentlicht am 9. Dezember 2014 - 10:26 Uhr
Der neue Chef hat sich beim Team noch nicht einmal vorgestellt. Doch eine böse Nachricht eilt ihm bereits voraus: Seine direkten Untergebenen müssen sich nochmals intern um ihre Stelle bewerben. Er entscheidet dann, wer bleiben darf und wer nicht. Das Vertrauensverhältnis ist zerstört, bevor es überhaupt entstehen konnte.
Firmen machen einiges falsch. Darauf deuten auch die Resultate des letzten Human-Relations-Barometers hin. Es wird von Uni und ETH Zürich herausgegeben und erfasst seit 2006 die Stimmung unter Schweizer Angestellten. Die Auswertungen zeigen, dass die Arbeitszufriedenheit zwar auf den ersten Blick gross ist: Vier von fünf Befragten gaben an, sie seien «zufrieden» mit ihrem Job. Doch bei genauerem Hinsehen wird klar: Fast 30 Prozent davon nennen die Arbeitssituation nur deshalb zufriedenstellend, weil sie ihre Ansprüche gesenkt haben. «Das sind Warnzeichen, die die Unternehmen ernst nehmen sollten», sagt Gudela Grote, Ko-Herausgeberin des HR-Barometers und Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der ETH Zürich.
In den nächsten Jahren kommen aufgrund der demografischen Entwicklung weniger Junge auf den Arbeitsmarkt. Das wird den Fachkräftemangel in der Schweiz noch verstärken. Hiesige Firmen müssen – auch angesichts der internationalen Konkurrenz auf dem Personalmarkt – einiges unternehmen, um sich als attraktive Arbeitgeber zu positionieren.
Hinzu kommt, dass derzeit eine Generation nachrückt, die Loyalität kleiner schreibt als ihre Vorgänger. «Die heutige Jugend ist aufgewachsen mit Eltern, die von der Wirtschaft alles andere als loyal behandelt wurden», sagt Matthias Mölleney, Leiter des Centers for Human Resources Management & Leadership an der Hochschule für Wirtschaft in Zürich. «Daraus hat sie ihre Lehren gezogen.»
Das HR-Barometer weist darauf hin, dass Firmen die Erwartungen der Mitarbeitenden zu wenig beachten. Die Kluft zwischen Erwartetem und Gebotenem vergrössert sich seit Jahren – vor allem, was angemessenen Lohn und berufliche Entwicklungsmöglichkeiten betrifft.
Diese Diskrepanz sehen nicht nur die Angestellten so. Sie wird auch gestützt durch Studien, die die Sicht der Unternehmen mit einbeziehen. «Firmen versprechen Bewerbern oft viel – bis der Vertrag unterschrieben ist. Danach passiert nichts. Der neue Angestellte wird ja kaum gleich wieder gehen, denken sich die Firmen», sagt auch Matthias Mölleney, der mit seiner Beratungsfirma für Personalmanagement in viele Unternehmen hineinsieht.
Gemäss HR-Barometer empfinden immer mehr Angestellte ihren Lohn als unangemessen. Gudela Grote vermutet als Ursachen, dass einerseits die Lohndiskussion seit längerem intensiv geführt wird, andererseits Lohnerhöhungen in vielen Branchen in den letzten Jahren selten waren.
Dass die Angestellten auch zu wenig Entwicklungsmöglichkeiten für sich sehen, könnte mit der Arbeitsplatzunsicherheit zu tun haben: Gemäss HR-Barometer ist die Angst, die Stelle zu verlieren, weiter leicht angestiegen. Jeder Dritte der 1450 Befragten bangt um seinen Job. Viele befürchten zudem, nicht genügend gerüstet zu sein für eine Stellensuche. Nur etwa die Hälfte gab an, sie sehe gute Chancen, bei einer Kündigung wieder einen vergleichbaren Job zu finden.
Befragungen zeigen: Erwartungen und Angebot klaffen auseinander.
Den Arbeitgebern ist allerdings nicht bewusst, wie wichtig es vielen ist, einen sicheren Job zu haben. Lediglich jede fünfte Firma in der Schweiz findet, diese Sicherheit sei ein wichtiger Grund für potenzielle Mitarbeitende, sich für einen bestimmten Arbeitgeber zu entscheiden. Unter Arbeitnehmern hingegen ist Jobsicherheit für 41 Prozent ein entscheidender Faktor, wie die Global Workforce Study der Beratungsfirma Towers Watson ausführt.
«In Zeiten, in denen kein Unternehmen eine Garantie für Arbeitsplätze mehr abgeben kann und will, braucht es eine neue Definition von Sicherheit», sagt Gudela Grote. Firmen müssten die Angestellten mit Weiterbildungen und Laufbahnberatung so aufstellen, dass sie bei einem Jobwechsel bestmögliche Chancen hätten. Doch das werde selten getan. Aus zwei Gründen: wegen der Kosten und der Befürchtung, dass die dann besser ausgebildeten Mitarbeitenden Richtung Konkurrenz abwandern. «Der Chef kann das Versprechen für Weiterbildung oder Lohnerhöhung durchaus ernst meinen», sagt Personalfachmann Mölleney, «aber wenn sein Budget sechs Monate später von der Zentrale angepasst wird, steht er vor einem Problem.» Mölleney geht davon aus, dass viele Firmen auch künftig Erwartungen der Mitarbeitenden enttäuschen werden. Um dieses Problem zu lösen, müsste die Aus- und Weiterbildung nicht mehr als Kostenfaktor, sondern als Investition gesehen werden. «Am besten würde man das gesetzlich für die Betriebsrechnung so festlegen.»
Doch Matthias Mölleney sieht für die Angestellten auch schmale Lichtstreifen am Horizont: Erstens könnte bei den Firmen der anhaltende Druck der jungen Generation wirken, die auf ihren Ansprüchen besteht – und sonst kündigt. Zweitens gebe es Firmen, die sich dadurch von der Konkurrenz zu unterscheiden versuchten, dass sie stärker auf die Mitarbeiter setzten. Etwa nach dem Motto: «Die andern finden Weiterbildung unwichtig? Bei uns bekommt ihr sie garantiert.»
Dass es sich langfristig lohnt, in Mitarbeitende zu investieren, bestätigen diverse Untersuchungen. Die Angestellten sind demnach motivierter und produktiver, identifizieren sich stärker mit der Firma. Wenn Erwartungen hingegen ignoriert werden und es zu einem Vertrauensbruch kommt, bewirkt dies das Gegenteil. Laut Gudela Grote sink die Arbeitszufriedenheit und mit ihr die Motivation; die Bereitschaft, sich einzusetzen, lässt nach. Anders gesagt: «Die Kündigungsabsicht steigt.» Tatsächlich denken gemäss HR-Barometer knapp 40 Prozent der Befragten zumindet zeitweise darüber nach, ihre Stelle zu verlassen.
Das Problem mit den unerfüllten Erwartungen: Sie beruhen nicht auf transparenten Absprachen, sondern bauen sich mit der Zeit auf. Der künftige Chef erwähnt im Vorstellungsgespräch etwa, dass eine Lohnerhöhung «dann schon mal» möglich wäre. Oder das Wort «Laufbahnplanung» fällt beim Kaffee. Rechtlich einklagen lässt sich davon nichts. Mitarbeitende haben nur eine Möglichkeit: Sie müssen ihre Erwartungen klar – und wiederholt – kommunizieren und einfordern. «Aus der wolkigen Versprechung sollte möglichst eine schriftliche Abmachung werden», rät Gudela Grote. Dazu eignen sich etwa die Mitarbeitergespräche gut.
Der anfangs erwähnte Chef wird es aber auch im Mitarbeitergespräch nicht schaffen, das zerbrochene Geschirr zu kitten. Kein Angestellter wird sich trauen, seinen Groll im direkten Gespräch zu äussern. Hier bringt keine Lohnerhöhung oder Weiterbildung das zerstörte Vertrauen zurück.
Das Mitarbeitergespräch ist dazu da, gemeinsam mit dem Vorgesetzten auf das alte Jahr zu blicken und neue Ziele zu definieren. Es eignet sich auch, um gegenseitige Erwartungen zu formulieren. So gelingts.
- Vorbereitung ist alles: Machen Sie sich schon das Jahr über Notizen, sammeln Sie Belege für besondere Erfolge, für spezielle Vorfälle oder Probleme. Überlegen Sie sich, was Ihre Erwartungen sind und was Ihnen auf dem Magen liegt. Zum Beispiel: Häufen Sie Überstunden an, weil Sie befürchten, sonst bei der nächsten Kündigungswelle als Erster den Job zu verlieren? Stellen Sie eine Liste mit Themen zusammen, die Sie ansprechen möchten. Überlegen Sie, wie der Chef auf Ihre Anliegen reagieren könnte – und ob Sie damit umgehen können. Manchmal lohnt es sich, ein Thema mit einer Vertrauensperson vorzubesprechen.
- Sachlich bleiben: Es ist wichtig, im Gespräch die eigenen Erwartungen nicht als ultimative Forderungen zu formulieren. Sprechen Sie es aber an, wenn etwa ein regelmässiges Laufbahngespräch versprochen wurde, aber nie stattgefunden hat. Wenn Ihnen Erwartungen des Chefs unrealistisch erscheinen, zeigen Sie auf, was Sie zusätzlich benötigen, um diese zu erfüllen. Wenn Ihnen eine Kritik sehr nahe geht oder Sie sich überrumpelt fühlen: Bitten Sie darum, erst am Folgetag reagieren zu dürfen.
- Alternativen bereithalten: Wenn Ihr Wunsch nach einem Weiterbildungskurs aus Kostengründen abgelehnt wird, sollten Sie eine günstigere Alternative bereithalten. Sorgen Sie dafür, dass abgewiesene Wünsche im Gesprächsprotokoll vermerkt werden. So ist es einfacher, später darauf zurückzukommen.
- Achtung, Veränderung: Wenn in Ihrer Firma Veränderungen anstehen, die Sie beunruhigen: Sprechen Sie das an. Sie haben rechtlich Anspruch auf Informationen. Blocken Sie aber nicht gleich ab, sondern zeigen Sie sich offen und interessiert.
- Der Lohn zum Schluss: Den Lohn spricht man besser im Laufe des Jahres in einem speziellen Gespräch an – Ende Jahr sind die Budgets bereits gemacht. Wenn Sie den Lohn dennoch im Jahresgespräch thematisieren möchten: Tun Sie das am Schluss, nachdem der Chef bereits bestätigt hat, wie zufrieden er mit Ihnen ist. Rechtlich ist es übrigens völlig in Ordnung, sich unter Arbeitskollegen über das Salär zu unterhalten. Falls eine Lohnerhöhung nicht drinliegt, besteht vielleicht die Möglichkeit einer einmaligen Prämie.