So machen sich Firmen attraktiv
Schindler, Breitling oder Microsoft geniessen bei ihren Angestellten einen guten Ruf. Andere Arbeitgeber müssen zunehmend kreativ werden, um Talente zu gewinnen. Was funktioniert?
Veröffentlicht am 23. Mai 2023 - 11:23 Uhr
Der Arbeitsmarkt spielt zurzeit für die Arbeitnehmer. Die Arbeitslosenquote lag im April mit 1,9 Prozent auf einem historisch tiefen Niveau. Und ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht, heisst es beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco): «Trotz dieser bereits sehr guten Ausgangslage erwarten die Expertinnen und Experten in den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) auch für die nächsten Monate ein weiteres Absinken der Arbeitslosigkeit sowie auch einen Anstieg der Beschäftigung.»
Gar von einem Arbeitnehmerparadies
spricht Matthias Mölleney, Unternehmensberater und Leiter des Centers für Human Resources Management & Leadership an der Hochschule für Wirtschaft in Zürich (HWZ).
Arbeitgeber müssen sich anstrengen, um für ihre Mitarbeitenden attraktiv zu bleiben und freie Stellen möglichst schnell zu besetzen. Einige Unternehmen schwingen dabei obenaus. Die «Handelszeitung» kürt jedes Jahr die beliebtesten unter ihnen.
Doch warum schaffen es gerade diese Unternehmen in die Spitzenränge? Wir haben einige der Topplatzierten gefragt. Um zu klären, wie stark die Salärhöhe zur Beliebtheit beiträgt, wollten wir auch den Medianlohn wissen. Das ist jene Lohnsumme, bei der die Hälfte der Beschäftigten mehr, die andere Hälfte weniger verdient. Hier ergab sich die grösste Gemeinsamkeit bei den befragten Betrieben: Keines der Unternehmen wollte diese Zahl bekannt geben. Lohntransparenz ist in der Schweiz immer noch ein heikles Thema .
Schindler: Die Talentmanagerin
Der Lifthersteller nennt die sehr guten internen Weiterbildungsmöglichkeiten sowie das Talentmanagement als grössten Trumpf. Im Programm «Aufwärts, bitte» erlernen begabte Mitarbeitende während zweier Jahre das Rüstzeug für eine Führungsposition. Wer gerne in fremden Ländern arbeiten möchte, könne konzernintern von einem weltweiten Netz profitieren. Auch Quereinsteigerinnen und -einsteiger hätten eine Chance: Im sogenannten Lift Camp würden jedes Jahr über 200 Personen aus anderen Berufen zu Servicetechniker und -technikerinnen und Aufzugsmonteuren und -monteurinnen ausgebildet.
Breitling: Die Engagierte
«Unsere Mitarbeitenden legen ein hohes Mass an Engagement an den Tag. Das fördern wir durch eine Vielzahl von L&D-Aktivitäten (Learning and Development), durch interne Kommunikation und attraktive Arbeitsbedingungen», schreibt der Uhrenhersteller. Die Beschäftigten hätten dank der «relaxten, inklusiven und nachhaltigen Ausprägung der Marke» eine emotionale Bindung zu den Produkten. Ein hohes Mass an sozialer Verantwortung trage weiter zur Attraktivität bei.
Microsoft Schweiz: Die Innovative
Künstliche Intelligenz und Cybersicherheit: Bei Microsoft könne man an der Front der neusten technologischen Trends und Entwicklungen arbeiten. «Unsere Mitarbeitenden schätzen diese sinnstiftende Arbeit an relevanten Themen für die Gesellschaft und die Wirtschaft in der Schweiz.» Viel Wert werde auch auf Diversität und Inklusion gelegt. Jeder Mitarbeitende soll sich unabhängig von seiner Herkunft und Identität entfalten können. Dafür sorgten ein Familien-, Frauen- und LGBTQIA+-Netzwerk sowie ein Netzwerk für Behinderte, die sich für die Interessen der jeweiligen Gruppe einsetzen würden.
Schweizerische Südostbahnen (SOB): Die Familiäre
Dank wertschätzender Unternehmenskultur fühlten sich die Mitarbeitenden als aktiver Teil einer Familie, schreiben die SOB. Über alle Hierarchiestufen würden die Werte Fairness, Verlässlichkeit, Wertschätzung, Transparenz und Lernbereitschaft gelebt. Dies äussere sich in einer hohen Identifikation mit dem Unternehmen. An Znünis mit der Geschäftsleitung etwa werde ein ungezwungener Austausch zwischen Mitarbeitenden und Führungspersonen in Du-Kultur gepflegt. Die Unternehmensgrösse erlaube zudem eine effiziente Arbeitsweise und gebe den Mitarbeitenden doch genügend Freiräume, kreative und innovative Ideen und Lösungen zu generieren und umzusetzen,
Roche: Die Sinnstifterin
«Die sinnstiftende Arbeit ist eine grosse Motivation für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter», schreibt Roche. Die Produkte und Dienstleistungen des Konzerns hätten die Gesundheit und Lebensqualität von Menschen auf der ganzen Welt verbessert. Roche fördere zudem eine Arbeitskultur der Diskussion, des gegenseitigen Respekts, des Vertrauens und der Vielfalt. Auch auf die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben werde grossen Wert gelegt. Die meisten Mitarbeitenden würden in Jahresarbeitszeitmodellen arbeiten. Wenn an einigen Tagen mehr gearbeitet werde, könne dies an anderen wieder ausgeglichen werden. Für Familien gebe es Unterstützung bei der Suche nach einer Kinderbetreuung.
Innovative Rekrutierung
Von den beliebtesten Arbeitgebern zu lernen, ist eine gute Strategie. Eine andere lautet: Hürden im Bewerbungsprozess abbauen. Bewerben ohne Lebenslauf und lästiges Motivationsschreiben – so lautet das innovative Konzept der beiden welschen Unternehmerinnen Vanessa Grutter und Sylvie Descloux. In der Eishalle in Freiburg konnten sich Ende April Arbeitgeber und Stellensuchende an einer von Grutter und Descloux organisierten Veranstaltung treffen. Die beiden Personalexpertinnen machen aufgrund von Ausbildung und Erfahrung der Bewerberinnen und Bewerber eine erste Vorselektion. Bei den «Work at first sight»-Treffen kennen die Personalverantwortlichen dann aber nur Namen und Geburtstag der Person, die sich bewirbt.
Der Ablauf der Treffen orientiert sich am Prinzip des Speeddating, das an den beruflichen Rahmen angepasst wurde. Ziel dieser Interviews ist, den menschlichen Kontakt und die Authentizität zu fördern, die für den Erfolg einer Rekrutierung entscheidend sind. Die Verhaltenskompetenzen werden hervorgehoben, indem sich die Teilnehmenden an einem neutralen und freundlichen Ort treffen. «Die ersten Rückmeldungen der Arbeitgeber sind äusserst positiv. Mehrere Unternehmen haben die Absicht geäussert, diese Erfahrung zu wiederholen», sagt Vanessa Grutter.
Künstliche Intelligenz krempelt Bewerbungsverfahren um
Die beiden Unternehmerinnen sind überzeugt, dass sich dieses Modell durchsetzen wird. Personalfachleute und Manager seien sich zunehmend bewusst, dass die menschlichen Kompetenzen eine entscheidende Rolle für den Erfolg des Unternehmens spielen würden. Zudem habe die künstliche Intelligenz das Bewerbungswesen völlig umgekrempelt: «Heute kann jeder eine hervorragende Bewerbung einreichen, ohne sie selbst verfasst zu haben. Die Personalabteilungen können sich also nicht mehr nur auf Lebensläufe stützen», sagt Grutter. Bewerberinnen und Bewerber seien vertraut mit den in den Unternehmen bei der Rekrutierung eingesetzten sogenannten Applicant Tracking Systems und würden Techniken nutzen, um die Algorithmen zu umgehen. «Das Layout des Lebenslaufs und der Inhalt des Bewerbungsschreibens werden deshalb immer unwichtiger werden. Unser Konzept ermöglicht es uns, bei den ersten Treffen direkt auf das Wesentliche einzugehen.»
Auch die Präsidentin des Schweizerischen HR-Verbandes, Jessica Silberman Dunant, sieht Vorteile beim «Work at first Sight»-Verfahren. Firmen könnten sich als Arbeitgeberinnen positionieren, denen Persönlichkeit wichtiger sei als Diplome. Dass sich Bewerbungen ohne Lebenslauf durchsetzen werden, glaubt sie nicht. «Viele Firmen haben aber gemerkt, dass sie Konzessionen machen müssen, um Arbeitskräfte zu finden», sagt Silberman. Der Markt spielt also tatsächlich zugunsten der Arbeitnehmenden.