«Behandelt wie Staatsfeinde»
Berufsverbot, Heiratsverbot, willkürliche Gefängnisstrafen: Jahrzehntelang wurden Dienstverweigerer in der Schweiz tyrannisiert. Jetzt fordern sie Genugtuung.
Veröffentlicht am 9. Juli 2013 - 09:36 Uhr
Felix Ziegler konnte einiges wegstecken. Die scheelen Blicke auf der Strasse, die Schmähbriefe, die Tatsache, dass die Mitglieder der Schulpflege geschlossen die Sitzung verliessen, wenn er, der junge Lehrer, den Raum betrat. Dann kam der Tag, an dem bei seinem Auto während der Fahrt ein Rad absprang, weil jemand die Schrauben gelockert hatte. Und irgendwann meldete sich die Erziehungsdirektion des Kantons Zürich: Man werde dafür schauen, dass er als Landesverräter bald nicht mehr unterrichten könne.
Das war 1968. Zwei Jahre zuvor hatte Ziegler nach Rekrutenschule und sechs Wiederholungskursen den weiteren Dienst als Luftschutzsoldat verweigert. Er kassierte zwei Monate Gefängnis und stand später erneut unter Anklage, diesmal als Wiederholungstäter. Da hatte der 30-Jährige genug: Er nahm eine Stelle im Libanon an und kehrte erst 22 Jahre später in die Schweiz zurück. Heute sagt der mittlerweile 75-Jährige: «Das Gefängnis nahm man als Dienstverweigerer in Kauf. Das war nicht das Schlimmste. Schlimmer war die Diskriminierung durch die Behörden und die Gesellschaft, die in jedem Dienstverweigerer einen Parasiten und Landesverräter sah.»
Die Schweiz fasste Dienstverweigerer so hart an wie kein anderes Land Westeuropas. Einen zivilen Ersatzdienst gibt es erst seit 1996; davor landeten Männer, die nicht Soldat werden wollten, hinter Gittern – und gelten bis heute als vorbestraft. Rund 10'000 Männer dürften seit dem Zweiten Weltkrieg verurteilt worden sein, schätzt Piet Dörflinger vom Verein Zivildienst.ch. Er sammelt im Rahmen der «Kampagne 15. Mai» (Internationaler Tag der Militärdienstverweigerer) gegenwärtig Unterschriften für eine Petition an den Bundesrat, die eine Aufarbeitung des Themas und eine Rehabilitation der Dienstverweigerer fordert. Denn, so Dörflinger: «Die Schweiz hat sich im Umgang mit Dienstverweigerern Dinge geleistet, die mit den Prinzipien eines Rechtsstaats nicht vereinbar sind.»
Er kritisiert die Militärjustiz: Die unbedingten Haftstrafen von einigen Monaten bis zu über einem Jahr seien willkürlich festgelegt worden. Sie hätten die Disziplinierung politisch Andersdenkender zum Ziel gehabt. Zudem beanstandet er die Diskriminierung nach Absitzen der Strafen: «Dienstverweigerer und ihre Angehörigen wurden bespitzelt. Militär, Polizei und Behörden pflegten eine unkontrollierte, informelle Zusammenarbeit von erschreckendem Ausmass – und niemand griff ein.»
Die Konsequenzen: Standesämter erteilten ihnen Heiratsverbote, Kantone entzogen Stipendien, entliessen Lehrer und Verwaltungsangestellte. Der Bündner Regierungsrat Otto Largiadèr verkündete Anfang der achtziger Jahre: «Die Bündner Regierung stellt prinzipiell keine Dienstverweigerer an» – obwohl das Bundesgericht den Kanton für diese Haltung mehrfach gerügt hatte. Zürich wählte noch 1992 einen Mittelschullehrer nicht zum Hauptlehrer, weil er dem Wahlgremium seine Dienstverweigerung von 1982 verschwiegen hatte. «Ich lasse mich nicht gern hinters Licht führen», beschied ihm der damalige Erziehungsdirektor Alfred Gilgen.
Für Piet Dörflinger ist klar: Die Behörden haben die Persönlichkeitsrechte von Dienstverweigerern massiv verletzt. «Manche haben sich gewehrt, andere haben es ertragen. Viele sind daran zerbrochen.» Das Beschämende sei, dass die Verweigerer in der Öffentlichkeit als egoistische Drückeberger gebrandmarkt wurden – während sie sich in Wirklichkeit häufig stark sozial engagiert hätten.
Wie Felix Ziegler. Als junger Mann leistete er einen fast dreijährigen Einsatz im damals stark unterentwickelten Griechenland, später war er für eine Kirchenpflege tätig. Er habe im Militärdienst immer ein ungutes Gefühl gehabt, sagt er. Er habe nicht geglaubt, dass sich die Probleme der Welt mit Armeen lösen liessen. Die Staatsgewalt goutierte das nicht. «In allen umliegenden Ländern ausser Italien hätten Leute wie ich Zivildienst leisten können», sagt Ziegler. «Aber in der Schweiz wurde ich behandelt wie ein Staatsfeind.»
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