Zwei Pässe: Das kann das Leben erleichtern, aber auch erschweren
Militärmuffel zieht es nach Frankreich, Eritreer zahlen doppelt Steuern. Der Beobachter sagt, welche Rechte und Pflichten Doppelbürger haben.
Veröffentlicht am 12. Februar 2025 - 17:56 Uhr,
aktualisiert vor 5 Stunden
Über Menschen mit mehreren Staatsangehörigkeiten entzünden sich mit zuverlässiger Regelmässigkeit hitzige Debatten. Etwa bei Fussballturnieren. Auch Ignazio Cassis’ italienisch-schweizerische Doppelbürgerschaft sorgte bei seiner Wahl zum Bundesrat für Zündstoff. Doppelbürgern wird oft unterstellt, sie seien illoyale Opportunisten, die sich nicht zu einer einzigen Nation bekennen wollen. Und ausserdem hätten sie unfaire Vorteile gegenüber Schweizern mit nur einem Pass.
In der Schweiz leben rund 1’125’300 Doppelbürgerinnen und Doppelbürger.
Dabei geht es nicht nur um Sport und Politik, sondern um etwa jeden fünften Bürger unseres Landes: 2023 hatten 21 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung über 15 Jahre neben der schweizerischen noch eine ausländische Staatsbürgerschaft. Das sind 1’125’300 Doppelbürgerinnen und Doppelbürger. Die meisten von ihnen haben zusätzlich zum schweizerischen noch einen italienischen, französischen oder deutschen Pass. Am meisten Doppelbürger wohnen im Kanton Genf (48,8 Prozent), am wenigsten in Appenzell Innerrhoden (4,7 Prozent).
Das Doppelbürgerrecht ist ohne Einschränkungen gesetzlich erlaubt. Weil etwa ein Drittel der Ehen binational ist, entstehen die weitaus meisten Doppelbürgerrechte durch die Weitergabe des Bürgerrechts der Eltern an ihre Kinder.
Was bedeuten diese Rechte und was haben Doppelbürgerinnen für Pflichten? Grundsätzlich gelten für alle Schweizerinnen und Schweizer dieselben Bedingungen, egal, über welche Zusatznationalitäten jemand verfügt. In bestimmten Bereichen kann der zweite Pass aber einen Vorteil, einen Nachteil oder sogar eine diplomatische Komplikation mit sich bringen. Wir haben die wichtigsten Fakten zu Wehrpflicht, Steuern und konsularischem Schutz zusammengefasst.
- Mit einigen Staaten hat die Schweiz bilaterale Abkommen, die ein Wahlrecht für den Militärdienst vorsehen (mehr dazu weiter unten). Ansonsten gilt: Grundsätzlich sind Doppelbürger, die in der Schweiz wohnen, auch in der Schweiz militärdienstpflichtig, eine zusätzliche Staatsangehörigkeit hat darauf keinen Einfluss.
- Schweizer, die im Ausland Militärdienst leisten, müssen damit rechnen, dass gegen sie in der Schweiz ein Strafverfahren eingeleitet wird. Leistet man aber als Doppelbürger im anderen Staat keinen Militärdienst, kann dort ein Strafverfahren drohen. Es lohnt sich, frühzeitig aktiv mit den Behörden in beiden Ländern zu kommunizieren und eine Lösung zu suchen.
- Wenn man bereits im anderen Land seine militärischen Pflichten erfüllt hat, Zivildienst geleistet oder Ersatzleistungen erbracht, muss man in der Schweiz nicht mehr ins Militär, wird zu keinen Dienstleistungen aufgeboten oder in die Armee eingeteilt. Allerdings kann das ins Geld gehen: Denn trotz Dienst im Ausland müssen Doppelbürger meist – im Gegensatz zu Ausländern – hier Wehrpflichtersatz berappen. Und es besteht Meldepflicht: Falls man den ausländischen Wehrdienst nicht der Schweizer Armee kommuniziert, macht man sich strafbar.
- Mit sieben Ländern hat die Schweiz aber bilaterale Abkommen abgeschlossen, die besondere Regeln für die Wehrpflicht festsetzen: Deutschland, Frankreich, Kolumbien, Argentinien, USA, Österreich sowie Italien. Die bilateralen Abkommen mit Deutschland, Frankreich, Österreich und Italien beinhalten ein Wahlrecht für den Militärdienst. Man muss sich allerdings bis zum vollendeten 19. Lebensjahr entscheiden.
- In einigen dieser Staaten wurde die Wehrpflicht faktisch abgeschafft, was diese Wahlmöglichkeit für Doppelbürger äusserst attraktiv macht. In Frankreich etwa besteht die Dienstpflicht nur noch aus einem einzelnen Sensibilisierungstag. Davon profitieren zahlreiche Doppelbürger. Allein im Jahr 2024 nutzten laut Eidgenössischem Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) 762 schweizerisch-französische Doppelbürger dieses Wahlrecht, daneben 96 schweizerisch-deutsche Doppelbürger. Das entspreche den Durchschnittswerten der letzten zehn Jahre.
- Die doppelte Staatsbürgerschaft kann sich jedoch in militärischer Hinsicht auch als höchst problematisch erweisen. Was, wenn man im wehrfähigen Alter ins zweite Heimatland zu Verwandten reist und der Zweitstaat einen plötzlich als potenziellen Soldaten sieht? So etwa geschehen bei einem Schweizer, der zwar nur einen Schweizer Pass besass, aber dessen Vater Ägypter war (der Beobachter berichtete). Ein Armeesprecher sagt auf Anfrage, dass gemäss allgemeinem Völkerrecht jeder Staat grundsätzlich einen Doppelbürger als seinen eigenen Bürger betrachten und behandeln könne, ohne auf die andere Staatsangehörigkeit Rücksicht nehmen zu müssen. Das gelte auch für die Erfüllung der militärischen Pflichten. Konkrete Fälle seien aber keine bekannt.
- Primär betrifft das Thema Doppelbürger und Wehrdienst Männer. Aber in einigen Ländern gilt die Militärpflicht auch für Frauen, etwa in Norwegen, Israel, Schweden, im Sudan, in Tschad oder Kuba. Könnten in der Schweiz ansässige Doppelbürgerinnen also plötzlich von anderen Staaten in die Armee einberufen werden, obwohl sie in der Schweiz keine Wehrpflicht kennen? Theoretisch schon, denn gemäss VBS gelten die gleichen Regeln wie bei den Männern.
- Doppelte Staatsbürgerschaft kann steuerliche Nachteile mit sich bringen. Bekanntestes Beispiel sind die USA. Sie gehören zu den wenigen Ländern, die auch von im Ausland lebenden Staatsangehörigen Steuern eintreiben – unabhängig davon, ob diese je vom US-Staat profitierten, dort lebten, arbeiteten oder sich überhaupt im Land aufhielten.
- Seit 2010 hat sich die Lage für US-schweizerische Doppelbürger verschärft: Mit dem unilateralen «Foreign Account Tax Compliance Act» (Fatca) können sämtliche im Ausland gehaltenen Konten von Personen, die in den USA steuerpflichtig sind, besteuert werden. Weltweit müssen alle Finanzinstitute wie Banken , Versicherungen, Hedgefonds et cetera der US-Steuerbehörde Informationen über ihre US-Kunden weitergeben. Institute, die sich weigern, werden happig gebüsst. Weil Fatca für Finanzinstitute zu beträchtlichem administrativem Mehraufwand führte, hat die Schweiz 2014 mit den USA ein Abkommen zur erleichterten Umsetzung abgeschlossen.
- Fatca gilt übrigens auch für Personen, die keine doppelte Staatsbürgerschaft, jedoch eine Aufenthaltsbewilligung (Greencard) in den USA haben. Die komplizierte Steuersituation mit den USA führte hierzulande zu einer regelrechten Flucht aus der US-schweizerischen Doppelbürgerschaft, was sich für die Betroffenen jedoch häufig als langwieriger und teurer Prozess herausstellte.
- Die Situation hat für US-Bürger auch noch weitere Nachteile, wie Beobachter-Experte Martin Müller sagt: «Gerade weil die Banken verpflichtet sind, Angaben zu US-Bürgern an die USA zu melden, ist das vielen Banken zu kompliziert und zu aufwändig, und deshalb nehmen sie gar keine Kunden mehr an, die irgendeinen Bezug zur USA haben. Das heisst, dass US-(Doppel-)Bürger hier Mühe haben, eine Bank zu finden, selbst dann wenn sie in der Schweiz Wohnsitz haben.»
- Die Situation hat für US-Bürger noch weitere Nachteile, wie Beobachter-Experte Martin Müller sagt: «Gerade weil die Banken verpflichtet sind, Angaben zu US-Bürgern an die USA zu melden, ist das vielen Banken zu kompliziert und zu aufwändig. Deshalb nehmen sie gar keine Kunden mehr auf, die irgendeinen Bezug zu den USA haben. Das heisst, dass US-(Doppel-)Bürger hier Mühe haben, eine Bank zu finden, selbst wenn sie in der Schweiz Wohnsitz haben.»
- Auch Eritrea zieht von seinen ausgewanderten Bürgern Steuern ein. Und zwar mit der sogenannten Diasporasteuer oder Zwei-Prozent-Steuer. Laut Staatssekretariat für Migration verlangen eritreische Botschaften, «dass diese Steuer bezahlt wird, bevor bestimmte konsularische Leistungen für einen eritreischen Bürger erbracht werden». Hinweise zu gewaltsamen Steuereintreibungen führten gar zu einem Ermittlungsverfahren des Bundesamts für Polizei und einer Strafanzeige bei der Bundesanwaltschaft.
- Vor einigen Jahren sorgte ein Fall von acht schweizerisch-türkischen Doppelbürgern für Aufsehen, die wegen Verdachts auf Verbindungen zu verbotenen Organisationen nicht aus der Türkei ausreisen durften (der Beobachter berichtete). Was kann die Schweiz für ihre Doppelbürger tun, wenn diese im zweiten Heimatland auf rechtliche Probleme stossen?
- Beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) heisst es: «Wenn eine Person neben der Schweizer Staatsangehörigkeit auch die Staatsangehörigkeit des Empfangsstaates besitzt, kann sie von der Schweiz konsularisch geschützt werden, sofern sich der Empfangsstaat nicht widersetzt. Schweizer Doppelbürgerinnen und Doppelbürger, die die Staatsbürgerschaft des Aufenthaltsstaats besitzen, werden von den lokalen Behörden als eigene Staatsangehörige angesehen und behandelt.»
- Ausnahme: Bei schweren oder wiederholten Verstössen gegen Menschenrechte (etwa Folter) kann ausnahmsweise konsularisch und allenfalls auch diplomatisch interveniert werden. Rund 1000 neue Dossiers werden im Rahmen des konsularischen Schutzes pro Jahr behandelt.
- Wie das EDA bestätigt, ersuchen Doppelbürgerinnen und Doppelbürger die Schweiz primär bei Freiheitsentzug im zweiten Heimatstaat um konsularische Unterstützung. Meistens sei es möglich, gewisse Hilfeleistungen wie Gefängnisbesuche zu erbringen.
- Wenn eine Doppelbürgerin in einem Drittstaat entführt wird, ist nicht immer klar, welcher ihrer beiden Heimatstaaten für ihren Schutz zuständig ist. In der Regel übernimmt nach gegenseitiger Absprache ein Land den Lead und das andere leistet subsidiäre Hilfe, wie das EDA erläutert. Es gebe keine festen Kriterien dafür. Eine Rolle spiele allerdings, wo der Lebensmittelpunkt der betroffenen Person liegt.
Hinweis: Dieser Artikel wurde erstmals am 31. Juli 2018 veröffentlicht und am 12. Februar 2025 aktualisiert.
- Schweizer Armee: Informationsseite zu Doppelbürgern
- Bundesamt für Statistik: Doppelbürgerschaft
- Bundesamt für Statistik: Doppelbürgerschaft nach verschiedenen soziodemografischen Merkmalen in der Schweiz
- Bundesamt für Statistik: Ständige schweizerische Wohnbevölkerung ab 15 Jahren mit Doppelbürgerschaft nach Kanton
- Staatssekretariat für Migration: Doppelbürger
- Staatssekretariat für internationale Finanzfragen: Fatca-Abkommen
- SRF: Fedpol nimmt Steuereintreiber aus Eritrea ins Visier
- Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA: Hilfe im Ausland