Zwei Pässe – viele Pflichten
Eritreer zahlen doppelt Steuern und Militärmuffel zieht es nach Frankreich. Was haben Doppelbürger für Rechte und Pflichten?
Veröffentlicht am 31. Juli 2018 - 15:27 Uhr,
aktualisiert am 31. Juli 2018 - 14:58 Uhr
Über Menschen mit mehreren Staatsangehörigkeiten entzünden sich hierzulande mit zuverlässiger Regelmässigkeit hitzige Debatten – in diesem Sommer war der Fussball schuld. Aber auch vor der letzten Bundesratswahl sorgte Ignazio Cassis’ italienisch-schweizerische Doppelbürgerschaft für Zündstoff. Doppelbürgern wird unterstellt, illoyale Opportunisten zu sein, die sich nicht zu einer einzigen Nation bekennen wollen. Und ausserdem hätten sie unfaire Vorteile gegenüber Schweizern mit nur einem Pass.
Dabei geht es im Grunde nicht nur um Spitzensportler und Top-Politiker, sondern um fast jeden vierten Bürger unseres Landes: In der Schweiz leben derzeit rund 916'000 Doppelbürger. Addiert man die 560'000 Doppelbürger unter den im Ausland lebenden Schweizern dazu, kommt man auf knapp 1,48 Millionen Schweizer im In- und Ausland, die über mindestens eine zusätzliche Nationalität verfügen (Zahlen gemäss NZZ am Sonntag).
In der Schweiz leben rund 916'000 Doppelbürger.
Seit die Revision des Bürgerrechtsgesetzes 1992 in Kraft trat, ist das Doppelbürgerrecht ohne Einschränkungen gesetzlich erlaubt. Weil beinahe jede dritte Ehe binational ist, entstehen die weitaus meisten Doppelbürgerrechte durch die Weitergabe des Bürgerrechts der Eltern an ihre Kinder.
Was bedeuten diese Rechte und was haben Doppelbürger für Pflichten? Grundsätzlich gelten für alle Schweizerinnen und Schweizer die gleichen Bedingungen, egal über welche Zusatznationalitäten jemand verfügt. In bestimmten Bereichen kann der zweite Pass aber einen Vorteil, einen Nachteil oder sogar eine diplomatische Komplikation mit sich bringen. Wir haben die wichtigsten Fakten zu Wehrpflicht, Steuern und konsularischem Schutz zusammengefasst.
In der Schweiz ins Militär oder im anderen Heimatland? Diese Wahl kann für Doppelbürger sowohl Vor- als auch Nachteil sein. Dabei spielt es eine grosse Rolle, über welchen Zweitpass man verfügt. In der Regel wird der Militärdienst in dem Land absolviert, in dem man bei der Aushebung wohnhaft ist.
Grundsätzlich sind Doppelbürger in der Schweiz militärdienstpflichtig, eine zusätzliche Staatsangehörigkeit hat darauf keinen Einfluss. Hat man aber im anderen Land seine militärischen Pflichten erfüllt, Zivildienst geleistet oder Ersatzleistungen erbracht, muss man in der Schweiz nicht mehr ins Militär, wird zu keinen Dienstleistungen aufgeboten oder in die Armee eingeteilt. Allerdings geht das ins Geld: Denn trotz Dienst im Ausland müssen Doppelbürger – im Gegensatz zu Ausländern – hier Wehrpflichtersatz berappen. Und es besteht Meldepflicht: Kommuniziert man den ausländischen Wehrdienst nicht der Schweizer Armee, macht man sich strafbar.
Mit sieben Ländern hat die Schweiz aber bilaterale Abkommen abgeschlossen, die besondere Regeln festsetzen. Schweizer, die zusätzlich einen Pass eines dieser Länder besitzen, dürfen frei wählen, wo sie den Dienst absolvieren wollen und sind von jeglichen Pflichten im anderen Land befreit. Allerdings muss man sich vor der Volljährigkeit für eines der beiden Länder entscheiden. Das betrifft Deutschland, Frankreich, Kolumbien, Argentinien, die USA, Österreich und Italien. In einigen dieser Staaten wurde die Wehrpflicht in der Zwischenzeit aber faktisch abgeschafft, wie zum Beispiel in Deutschland und Frankreich, was diese Wahlmöglichkeit für Doppelbürger äusserst attraktiv macht. In Frankreich beispielsweise besteht die Dienstpflicht nur noch aus einem einzelnen Sensibilisierungstag. Wie die NZZ am Sonntag berichtete, profitieren zahlreiche Doppelbürger davon. Allein im Jahr 2017 nutzten 669 schweizerisch-französische Doppelbürger dieses Recht.
Doppelbürger, die im Ausland Militärdienst geleistet haben, werden in der Schweiz nicht mehr aufgeboten. Aber sie müssen Wehrpflichtersatz zahlen.
Die doppelte Staatsbürgerschaft kann sich jedoch in militärischer Hinsicht auch als höchst problematisch erweisen. Was ist, wenn man im wehrfähigen Alter ins zweite Heimatland zu Verwandten reist und der Zweitstaat einen plötzlich als potenziellen Soldaten sieht? «Der Fall, dass man unfreiwillig in die Armee eingezogen wird, könnte durchaus eintreten,» bestätigt die Schweizer Armee auf Anfrage. So beispielsweise geschehen bei einem Schweizer, der zwar nur einen Schweizer Pass besass, aber dessen Vater Ägypter war (Der Beobachter berichtete
).
Primär betrifft das Thema Doppelbürger und Wehrdienst Männer. Aber in einigen Ländern gilt die Militärpflicht auch für Frauen, wie zum Beispiel in Norwegen . Könnten in der Schweiz ansässige Doppelbürgerinnen also plötzlich von anderen Staaten ins Militär einberufen werden, obwohl sie in der Schweiz keine Wehrpflicht kennen? Zumindest im Fall von Norwegen gilt das nicht – denn Doppelbürger werden nur aufgeboten, wenn sie auch in Norwegen wohnhaft sind.
Über zwei Staatsbürgerschaften zu verfügen kann steuerliche Nachteile mit sich bringen, falls beide Heimatländer ihre Bürger besteuern. Bekanntestes Beispiel hierfür ist die USA. Sie gehören zu den wenigen Ländern, die auch von im Ausland lebenden Staatsangehörigen Steuern eintreiben und zwar unabhängig davon, ob diese je vom amerikanischen Staat profitierten, dort lebten, arbeiteten oder sich überhaupt im Land aufhielten.
Seit 2010 hat sich die Lage für US-schweizerische Doppelbürger verschärft: Mit dem unilateralen «Foreign Account Tax Compliance Act» (FATCA) können sämtliche im Ausland gehaltenen Konten von Personen, die in den USA steuerpflichtig sind, besteuert werden. Weltweit müssen alle Finanzinstitute wie Banken , Versicherungen, Hedge-Fonds etc. der amerikanischen Steuerbehörde Informationen über ihre US-Kunden weitergeben. Institute, die sich dem verweigern, werden happig gebüsst. Da FATCA für Finanzinstitute zu beträchtlichem administrativem Mehraufwand führte, hat die Schweiz 2014 mit den USA ein Abkommen zur erleichterten Umsetzung abgeschlossen.
FATCA gilt übrigens auch für Personen, die keine doppelte Staatsbürgerschaft, jedoch eine Aufenthaltsbewilligung (Greencard) in den USA haben. Die komplizierte Steuersituation mit den USA führte hierzulande in den letzten Jahren zu einer regelrechten Flucht aus der US-schweizerischen Doppelbürgerschaft, was sich für die Betroffenen jedoch häufig als langwieriger und teurer Prozess herausstellte.
Neben den USA zieht weltweit nur noch Eritrea von seinen ausgewanderten Bürgern Steuern ein. Und zwar mit der sogenannten «Diasporasteuer» oder «2%-Steuer». Laut Staatssekretariat für Migration SEM verlangen eritreische Botschaften, «dass diese Steuer bezahlt wird, bevor bestimmte konsularische Leistungen für einen eritreischen Bürger erbracht werden.» Hinweise zu gewaltsamen Steuereintreibungen führten gar zu einem Ermittlungsverfahren des Bundesamts für Polizei Fedpol und einer Strafanzeige bei der Bundesanwaltschaft.
Derzeit sorgt der Fall von acht schweizerisch-türkischen Doppelbürgern, die wegen Verdachts auf Verbindungen zu verbotenen Organisationen nicht aus der Türkei ausreisen dürfen, für Aufsehen. Was kann die Schweiz für ihre Doppelbürger tun, wenn diese im zweiten Heimatland auf rechtliche Probleme stossen? Die Antwort ist ernüchternd: Gemäss Staatssekretariat für Migration SEM «darf grundsätzlich der andere Heimatstaat nicht zu ihren Gunsten intervenieren» (so genannte Ausschlussregel), wenn sich die betroffene Person im zweiten Heimatstaat aufhält. Ausnahme: Bei schweren oder wiederholten Verstössen gegen Menschenrechte (z. B. Folter) kann ausnahmsweise konsularisch und allenfalls auch diplomatisch interveniert werden. Rund 1000 neue Dossiers werden im Rahmen des konsularischen Schutzes pro Jahr behandelt. Aber: Doppelbürger können im zweiten Heimatland von der Schweiz nur konsularisch geschützt werden, wenn sich der zweite Staat dem nicht widersetzt.
Wie das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA bestätigt, ersuchen Doppelbürgerinnen und Doppelbürger die Schweiz primär bei Freiheitsentzug im zweiten Heimatsstaat um konsularische Unterstützung. Meistens sei es möglich, gewisse Hilfeleistungen wie Gefängnisbesuche zu erbringen.
Wird eine Doppelbürgerin in einem Drittstaat entführt, ist nicht immer klar, welcher ihrer beiden Heimatstaaten für ihren Schutz zuständig ist. In der Regel übernimmt nach gegenseitiger Absprache ein Land den Lead und der andere leistet subsidiäre Hilfe, wie das EDA erläutert. Es gebe keine festen Kriterien dafür. Eine Rolle spiele allerdings, wo der Lebensmittelpunkt der betroffenen Person liegt.