Prozentrechnen mit Alain Berset
Politiker verkünden gerne frohe Botschaften. Zum Beispiel, dass der Zuckeranteil in Frühstücksflocken und Joghurts gesunken sei. Die Realität sieht anders aus.
Veröffentlicht am 2. September 2019 - 17:30 Uhr
Die frohe Botschaft aus dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) war unüberhörbar: Dank einer vom Bundesrat initiierten freiwilligen Aktion reduziert die Industrie Jahr für Jahr den Anteil Zucker in Joghurts und Frühstücksflocken.
Dazu legte Bundesrat Alain Berset nun zum dritten Mal einen Bericht vor, in dem sein Bundesamt 466 Joghurts und 210 Frühstücksflocken, Cornflakes und Müesli unter die Lupe genommen hat. Und siehe da, der Bundesrat hat mit seiner Initiative Erfolg.
Bei Frühstücksflocken beispielsweise sank der Anteil Zucker gegenüber der ersten Erhebung 2016 um 13 Prozent. Wow!
Doch mit Auflistungen und Vergleichen in Prozent ist es so eine Sache. Das sieht man am nur schon im Ausverkauf von Luxus-Handtaschen. Auf dem Preisschild steht dann womöglich: minus 50%! Doch das schöne Stück kostet aber immer noch 698 Franken.
Wir lernen: Statt auf Prozent konzentrieren wir uns besser auf absolute Zahlen. Gemäss Bersets Bundesamt enthielten 100 Gramm Frühstücksflocken vor drei Jahren durchschnittlich 17,2 Gramm Zucker. Ein Jahr später waren es 16,4 Gramm, jetzt sind wir bei 15 Gramm. In drei Jahren hat die Industrie also etwas mehr als zwei Gramm Zucker auf 100 Gramm Frühstücksflocken weggelassen.
Doch auch diese Angabe hat mit der Realität wenig zu tun. Denn es handelt sich um einen Mittelwert aller untersuchten Produkte von über einem Dutzend Anbietern. Es ist der Durchschnitt vom Durchschnitt vom Durchschnitt.
Nicht berücksichtigt wurde in der Erhebung, ob sich ein Produkt gut verkauft oder nicht. Dabei wäre das entscheidend: Will ein Hersteller von überzuckerten Cornflakes besser dastehen und sich mit einer kräftigen Reduktion präsentieren, lanciert er ein zweites Produkt mit wenig Zucker. Diese Flocken brauchen sich gar nicht gross zu verkaufen, sie lassen den Durchschnittswert des Sortiments aber kräftig sinken. So lässt sich kaschieren, dass die Kassenschlager-Cornflakes Zuckerbomben geblieben sind.
Eine letztes Jahr vom Beobachter vorgenommene Auswertung von 47 beliebten Frühstücksflocken von Coop, Migros, Denner, Aldi und Lidl ergab: Fast zwei Drittel der betrachteten Cornflakes, Cerealien und Müeslis enthalten mehr als 20 Gramm Zucker pro 100 Gramm. Fast jedes dritte Produkt enthielt sogar mehr als 25 Gramm Zucker. Also annähernd doppelt so viel wie Bundesrat Alain Berset sagt.
Würden die amtlichen Prüfer Gleiches mit Gleichem vergleichen, wären die Zuckerwerte dramatisch höher. Denn in ihren Berechnungen haben sie neben Cornflakes und Müeslis auch Porridge und Haferflocken einbezogen. Produkte, die oft weniger als 10 Gramm Zucker enthalten. Eine ideale Methode , um den Zuckerwert rechnerisch zu senken.
Hinzu kommt, dass die Untersuchung von Bersets Bundesamt von niemandem nachvollzogen werden kann. Das Amt gibt nicht bekannt, welche Produkte es geprüft hat. Offensichtlich war das eine Zusicherung an die beteiligten Firmen, damit sie überhaupt an der freiwilligen Aktion teilgenommen haben.
Damit bleibt unüberprüfbar, wie das BLV darauf kommt, dass das Produkt mit dem höchsten Zuckerwert nicht 43 Gramm Zucker enthält wie im Vorjahr, sondern nur noch 37 Gramm. Eigenartig nur, dass Smacks von Kellogs mit seinen 43 Gramm Zucker weiterhin von Le Shop verkauft wird. Ob die Zuckerbomben von Kellogs vergessen gingen, kann das BLV nicht sagen, weil die Produkteliste ja geheim ist.
Die denkwürdigste Aussage ist im Bericht so gut versteckt, dass sie den Weg an die Öffentlichkeit nicht gefunden hat: Spezielle Frühstücksflocken für Kinder weisen einen deutlich höheren Zuckergehalt auf. Sprich: Die Industrie verfuttert unseren Kindern absichtlich mehr Zucker als den Erwachsenen. Und es gibt nach wie vor kein einziges an Kinder gerichtetes Produkt, das keinen zugesetzten Zucker enthält.
4 Kommentare
Die grosse Frage ist: wo sind sie denn, die - sehr gut entlöhnten (Volksteuergelder) - Zuständigen von: BAG, BLW, Parlament? Noch wichtiger die Frage: wann handeln sie endlich gegen die vielfache, gesundheitschädigende Lebensmittel-Industrie der Schweiz?? "Falsche Leute, in falschen Positionen"!
Es kommt doch nicht so sehr drauf an, wieviel Zucker in einzelnen Produkten ist. Davon alleine wird man weder dick noch kriegt man Diabetes. Die Menge macht es aus. Ich liebe Süssigkeiten, wenig Gemüse und habe seit Jahrzehnten das gleiche Gewicht und keinerlei gesundheitlichen Probleme!
Unsere vier Kinder sind die ersten Jahre ohne verarbeitet Produkte grossgewachsen. Zucker haben sie nur in natürlicher Form zu sich genommen (Früchte, etc)., sie haben keine verarbeiteten Produkte aus den Warenläden gegessen und nie Süssgetränke (Cola, Fanta etc) konsumiert. Später haben sie auch mal einen Kuchen oder Keks, oder auch ein Stück Schockolade genossen, die auch Zucker enthielten. Aber sie waren selbstgemacht und hatten nur halb soviel Zucker, wie auf den Rezepten angegeben.
Heute sind sie Jugendliche, und sie entscheiden selber, was sie essen. Sie mögen keine Zusatzstoffe, sie finden gekaufte Produkte eckelerregend, da viel zu süss und oft mit künstlichen Aromen "aufgepeppt". Joghurts und Thee mögen sie nur ungezuckert, etc...
Es ist offensichtlich, dass das Verlangen nach Zucker in dem Mass, wie wir es heute vorfinden in den Angeboten, nicht naturgegeben ist, sondern künstlich erregt wird. Zucker bewirkt im Körper eine Abhängigkeit, wie wir sie nur von Drogen kennen. Die Folgen für die Gesundheit sind auch dramatisch, aber erst längerfristig.
Es ist enttäuschend, wie lauwarm und schönfärberisch Herr Berset das Thema angeht.
Wie heisst es doch so schön: "Glaube keiner Statistik, die Du nicht selber gefälscht hast." Das Volk wird einfach wieder mal verarscht, wo es nur geht. Auch 15% Zucker ist immer noch viel zu viel. Ich bin der Meinung, dass ein Grenzwert von max. 1-2% zugesetzten Zucker angebracht wäre, wobei deklariert werden müsste, wieviel Fruchtzucker und wieviel zugesetzter Zucker enthalten ist. Das gilt auch für Joghurts.