Wer wird sich um mein Kind kümmern?
Was passiert mit dem Kind, wenn man plötzlich stirbt? Gerade für Alleinerziehende kann diese Frage belastend sein. Wie können sie ihre Meinung festhalten?
Veröffentlicht am 2. August 2021 - 17:05 Uhr
Noëmi ist die Mutter des siebenjährigen Joël. Mit dem Vater von Joël gibt es schon lange keinen Kontakt mehr. Heute leben Noëmi und ihr Sohn zusammen mit ihrem neuen Lebenspartner Brian und dessen zwei Töchtern. Falls ihr etwas zustossen sollte, wünscht sie, dass Joël in seinem gewohnten Umfeld aufwachsen und Brian die elterliche Sorge übernehmen kann. Das Beispiel ist fiktiv – doch die Frage kennen viele Alleinerziehende: Können sie etwas vorkehren?
«Ja», sagt Denise Freitag, Präsidentin der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) des Kantons Schaffhausen. «Eltern mit alleiniger elterlicher Sorge können eine Sorgeverfügung oder Absichtserklärung verfassen. Darin können sie jene Person bezeichnen, die im Todesfall die Vormundschaft für das Kind übernehmen soll.»
Diese Erklärung bewahrt man bei seinen Dokumenten auf, so dass sie im Todesfall gefunden wird. Idealerweise übergibt man ein Exemplar der darin bezeichneten Person. Eine Absichtserklärung eignet sich auch für Eltern, die für den Fall ihres gemeinsamen Todes vorsorgen wollen. Wie eine solche Erklärung bei alleinigem Sorgerecht aussehen könnte, sehen Sie im Musterbrief «Wunschvormund für den Fall des Todes» (exklusiv für Beobachter-Mitglieder).
«Für die Kesb sind solche Erklärungen sehr hilfreich – auch wenn sie nicht rechtsverbindlich sind und die Behörde letztlich aufgrund des Kindeswohls entscheidet», sagt Denise Freitag. Der Wunsch verstorbener Eltern wird aber ernst genommen. Die Kesb muss sogar von Amts wegen prüfen, ob die in der Erklärung bezeichnete Person die Vormundschaft übernehmen kann.
Weil jedes Kind das Recht hat, beide Elternteile zu kennen und Kontakt mit ihnen zu haben, kommt oft auch der überlebende Elternteil in Frage. Dann wird im Sinne des Kindeswohls abgeklärt, wie sich diese Beziehung seit der Geburt entwickelt hat – und ob das Kind inzwischen zu einer anderen Person, etwa zu einem Stiefelternteil, eine Eltern-Kind-Beziehung aufgebaut hat. Entscheidend ist, wo und bei wem das Kind am besten aufwachsen und sich entwickeln kann.
Alleinerziehende können nicht verfügen, dass der überlebende Elternteil die elterliche Sorge bei ihrem Tod nicht erhält. Wenn es aber Hinweise gibt, dass dieser nicht geeignet oder gar gewalttätig ist, wird die Kesb dem nachgehen.
In Noëmis und Joëls Fall würde darum der bislang abwesende Vater kontaktiert. Möglicherweise hat sich Joël aber gut in der Patchworkfamilie eingelebt und zum Stiefvater eine Eltern-Kind-Beziehung aufgebaut. Noëmis Wunsch könnte entsprochen und Brian die Vormundschaft übertragen werden. Umso mehr, wenn der biologische Vater für Joël ein Fremder geworden ist. Je nach Situation würde ihm aber ein Besuchsrecht eingeräumt.
Es gibt keine fixen Annahmen, welche Personen besonders geeignet sind, die Verantwortung zu übernehmen. Massgebend ist der konkrete Einzelfall. «Natürlich ist es wünschenswert, wenn ein Kind innerhalb der eigenen Familie aufwachsen kann – also vor allem dort, wo es enge Beziehungen hat, die Bezugspersonen bereits kennt und auch die Erinnerung an die verstorbene Bezugsperson gepflegt wird», sagt Freitag.
Grosseltern sind nicht immer die beste Lösung, etwa wenn sie schon älter sind. Idealerweise sollte die eingesetzte Person das Kind bis zum Abschluss der Ausbildung begleiten können. Das Kind soll nicht erneut eine enge Bezugsperson verlieren.
Eine gute Alternative kann dann die Unterbringung in einer Pflegefamilie sein, wobei die Grosseltern das Kind besuchen, übers Wochenende betreuen oder in die Ferien zu sich nehmen können. Eine solche Lösung ist in der Regel auch für die Grosseltern entlastend.
Anders läuft es, wenn ein Elternteil mit gemeinsamer elterlicher Sorge stirbt. Dann geht die elterliche Sorge automatisch auf den überlebenden Elternteil über. Die Kesb ist dabei nicht involviert. Niemand prüft, ob die nun allein sorgeberechtigte Person wirklich geeignet ist. Die Kesb wird nur tätig, wenn es Hinweise gibt, dass das Wohl des Kindes gefährdet ist.
Auch als juristischer Laie können Sie mit einem schriftlichen Beschwerdebrief beim zuständigen Gericht gegen einen Entscheid der Kesb vorgehen. Beobachter-Mitglieder erhalten mit der Mustervorlage «Beschwerde gegen Entscheid der Kesb» eine nützliche Hilfe, wie Sie das Schreiben aufsetzen können.