«Eifersucht gehört früher oder später dazu»
Treue, Eifersucht und Dialog – die psychologische Beraterin Tina Beerli weiss, was es braucht, damit monogame und alternative Beziehungsformen glücken.
Veröffentlicht am 14. Februar 2023 - 14:31 Uhr
Frau Beerli, eine unromantische Zahl zum Valentinstag: 40 Prozent aller Ehen in der Schweiz werden geschieden. Sind exklusive Liebesbeziehungen zum Scheitern verurteilt?
Meiner Meinung nach zeigt die hohe Scheidungsrate, dass es anspruchsvoll ist, eine Beziehung zu führen, und es manchmal auch das Richtige sein mag, sich zu trennen. Zum Beispiel, weil man merkt, dass man miteinander nicht mehr weiterkommt.
Immer mehr Paare experimentieren mit alternativen Beziehungsformen. Das Konzept der Monogamie scheint aus der Mode zu geraten.
Nicht monogame Beziehungsformen sind nichts Neues. Heute scheint man mehr darüber zu sprechen, und Menschen scheinen sich stärker mit Beziehungsnormen und Stereotypen zu beschäftigen. Ich glaube, dass dadurch immer mehr Tabus aufgebrochen werden.
Was bedeutet es denn, eine nicht monogame Beziehung zu führen?
Im Unterschied zu monogamen Beziehungen kommt man in einer nicht monogamen Beziehung
nicht um das Gespräch und die Auseinandersetzung mit der Treue, ob und was sie eigentlich bedeutet, herum. Man muss besprechen, wie man mit Eifersucht umgeht und wie individuell, wie auch auf Beziehungsebene, trotz Unsicherheiten ein Gefühl der Sicherheit entstehen kann.
Zur Person
Tina Beerli ist psychologische Beraterin und berät Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen. Dabei setzt sie sich besonders mit Liebe, Sexualität und Beziehungen auseinander.
Eifersucht spielt also eine grosse Rolle?
Wenn man eine nicht monogame Beziehung führt, gehört Eifersucht früher oder später dazu. Im Unterschied zu monogamen Beziehungen nimmt sie in einer alternativen Beziehungsform wahrscheinlich vergleichbar mehr Raum ein. Es ist jedoch sehr individuell, wie intensiv Eifersucht empfunden wird und in welchen Situationen sie getriggert wird. Auch in monogamen Beziehungen kann Eifersucht ein Thema sein. Oft kann sie dort aber mit dem Konzept der sexuellen Treue ausgeklammert werden.
Eifersucht: Was ist das eigentlich? Romantischer Liebesbeweis? Oder Zeichen für Besitzanspruch?
Eifersucht ist ein Gefühl, das zum Leben dazugehört. Es ist eine Empfindung, die unangemeldet kommt und oft auch Unsicherheiten hervorruft. Meiner Meinung nach ist sie weder ein romantischer Liebesbeweis noch ein Zeichen von Besitzanspruch, sondern vielmehr ein innerer Spiegel von Unsicherheiten, die durch das Leben in Beziehungen hervorgerufen werden.
Kann man Eifersucht irgendwie wegtrainieren?
Da es sich um ein Gefühl handelt, ist es schwierig, die Eifersucht loszuwerden. Man kann jedoch einen Umgang mit ihr erlernen, indem man sich mit ihr auseinandersetzt und mit seinen Beziehungspartnern und -partnerinnen über sie spricht. Um den Bedürfnissen aller Partner und Partnerinnen gerecht zu werden, empfehle ich eine konsensuale Lösungsfindung. Im Unterschied zum Kompromiss wird es beim Konsens nicht so empfunden, dass Abstriche gemacht werden müssen. Es findet so lange ein Austausch statt, bis möglichst alle Bedürfnisse und Erwartungen berücksichtigt werden und eine für alle stimmige Lösung entstehen kann. Das braucht Zeit und ein empathisches, respektvolles und wohlwollendes Engagement von allen Involvierten.
«Manche Paare stellen fest, dass der Bruch mit der sexuellen Treue nicht auch das Ende für die Beziehung bedeuten muss.»
Tina Beerli, psychologische Beraterin
Das klingt intensiv. Wie oft hält eine Beziehung diesem Druck nicht stand?
Ich glaube nicht, dass ein Druck erlebt wird, wenn man einen Weg gefunden hat, wie man in der Auseinandersetzung bleiben und zu konsensualen Lösungen kommen kann. Die Beziehung kann dann als etwas Wohlwollendes und Gewinnbringendes erlebt werden. Ganz unabhängig von der Beziehungsform ist es auch in monogamen Beziehungen möglich, einen solchen Dialog miteinander und die Auseinandersetzung mit der innigen Gefühlswelt zu haben. Ein Druck ist es in beiden Beziehungsformen dann, wenn dieser Dialog nicht wohlwollend und respektvoll stattfindet, sondern strittig. Die Gründe für eine Trennung sind in beiden Beziehungsformen ähnlich.
Aus welchen Gründen entscheiden sich Paare für eine nicht monogame Beziehung?
Das ist sehr individuell. Gewisse Paare starten schon von Anfang an mit einer nicht monogamen Beziehung, weil sie beispielsweise das Konzept der sexuellen Treue hinterfragen möchten. Andere öffnen ihre Beziehung zu einem späteren Zeitpunkt, weil sie neue intime Erfahrungen machen wollen. Oder weil ausserhalb der Beziehung eine sexuelle Erfahrung gemacht wurde und deswegen die sexuelle Treue hinterfragt wird. Sie stellen aufgrund dieser Erfahrung fest, dass der Bruch mit der sexuellen Treue nicht auch das Ende für die Beziehung bedeuten muss.
Ist das Öffnen einer Beziehung nicht oft der letzte Versuch, Pep in die Partnerschaft zu bringen?
Das kann man nicht so pauschal sagen. Sicherlich gibt es Paare, die ihre Beziehung öffnen, weil zum Beispiel die Sexualität langweilig geworden ist. Genauso wie es auch Paare gibt, welche die Beziehung öffnen möchten, um etwas Neues auszuprobieren oder einfach weil es ein spannendes Konzept und eine emotionale Auseinandersetzung miteinander ist. Wichtig ist der Konsens. Dass man so lange im Dialog bleibt, bis es für alle stimmig ist.
«Ohne die Bereitschaft, sich mit sich selbst, seiner eigenen Gefühlswelt wie auch mit derjenigen seines Gegenübers auseinanderzusetzen, wird es schwierig, eine Beziehung mit mehreren Partnerinnen und Partnern zu führen.»
Tina Beerli, psychologische Beraterin
Laut Umfragen können sich Männer eher eine nicht exklusive Beziehung vorstellen als Frauen. Warum ist das so?
Da ich glaube, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, glaube ich auch, dass man es nicht an einem Geschlecht festmachen kann. Es hängt sehr davon ab, inwieweit ein Individuum dazu bereit ist, sich mit sich selbst, seinem Gegenüber und seiner Gefühlswelt auseinanderzusetzen. Dass diese Auseinandersetzung für ein Geschlecht einfacher ist als für ein anderes, glaube ich nicht. Gefühle und Empfindungen sind sehr individuell und nicht geschlechtsabhängig. Die Möglichkeit, sich mit ihnen zu beschäftigen, hängt von der eigenen Motivation und den Entwicklungsmöglichkeiten ab, die man in seinem Leben gehabt hat oder eben nicht.
Was ist der Vorteil der Monogamie?
Ohne die Bereitschaft, sich mit sich selbst, seiner eigenen Gefühlswelt wie auch mit derjenigen seines Gegenübers auseinanderzusetzen, wird es schwierig, eine Beziehung mit mehreren Partnerinnen und Partnern zu führen. Gerade wenn die Eifersucht Unsicherheiten aufkommen lässt und man die Energie, Kraft oder Lust nicht hat, da dranzubleiben, kann es sein, dass eine monogame Beziehung besser passt.
Was passt denn nun besser zur Natur des Menschen: Monogamie oder eben Nicht-Monogamie?
Es ist nicht ein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Beides kann stimmig sein und kommt sehr auf das Individuum, sein Gegenüber und die Lebensumstände an.
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