Wenn Sex zum Problem wird
Leistungsdruck, Unwissen, Krankheiten – vieles kann die Intimität zu zweit vermiesen. Doch meist gibt es Lösungen.
Veröffentlicht am 14. Oktober 2022 - 11:51 Uhr
Er will, sie nicht. Sie will, er nicht. Beide wollen, aber jemand kann nicht. Er kann, aber nicht lang genug. Sex. So schön und zugleich so häufig problembeladen. Google listet die verzweifelten Suchanfragen Hunderttausender auf: «Frigide, was tun», «Libidoverlust psychische Ursachen», «Erektion, wie kann Frau helfen».
Unlust – das ist einer der häufigsten Gründe, weshalb Frauen und Männer Karoline Bischof am Zürcher Institut für klinische Sexologie und Sexualtherapie aufsuchen. Gefolgt von frühzeitiger Ejakulation, Schmerzen beim Sex und Erektionsstörungen. Den Begriff Störungen lehnt die Gynäkologin und klinische Sexologin allerdings ab. «Auch wenn ein medizinischer Grund vorliegt: Sexuelle Erregung ist immer ein Resultat aller fördernden Faktoren – minus aller hemmenden Faktoren», erklärt sie.
Die meisten ihrer Patientinnen und Patienten können sich bestens selbst befriedigen. Zu hapern beginnt es erst, wenn sie ihre Erregungsgewohnheiten auf eine gemeinsame Sexualität übertragen sollen. Wenn sich eine Frau zum Beispiel jahrelang in derselben Form klitoral befriedigt hat, kann der Geschlechtsverkehr für sie unbefriedigend sein. Denn ihr Körper hat nie gelernt, vaginal zum Höhepunkt zu kommen. Ähnlich sieht es beim Mann aus. «Wenn ein Mann immer nur über starkes Rubbeln während der Masturbation zum Orgasmus gelangt ist, wird ihm die Penetration nicht dieselbe Intensität bieten», sagt die Sexologin.
Lustförderung statt Schadensbegrenzung
Das Problem ist also vielfach nicht, dass zwei Menschen sexuell nicht harmonieren, sondern dass das Stimulationsmuster gar nie auf eine zweite Person ausgeweitet wurde. Hier kritisiert Bischof auch die Erziehung: «Sexualpädagogik an Schulen und zu Hause ist vielfach auf Schadensbegrenzung ausgerichtet, aber nicht auf Lustförderung.»
Lustförderung , genau das wäre aber für ein erfülltes Sexleben zu zweit wichtig. Denn – ähnlich wie beim Sport – hat der Körper auch ein Gedächtnis, wenn es um Lust geht. «Der Körper muss erst einmal die nötigen Verbindungen im Gehirn schaffen und begreifen, dass er auf ganz viele Berührungen und Stimulationen mit Erregung und einem Orgasmus reagieren kann», sagt Bischof.
«Vielfach ist nicht die Unlust die Wurzel des Problems.»
Brigitte Leeners, Direktorin Klinik für Reproduktions-Endokrinologie, Unispital Zürich
Umso wichtiger ist es deshalb, den eigenen Körper besser kennenzulernen – nur so kann man beim Sex dem Partner, der Partnerin zeigen, was man möchte. Unwissenheit ist ein Lustkiller.
Aber auch Druck und Versagensängste wirken hindernd. Vor allem beim Mann. Die gute Nachricht ist: Der Körper ist nie zu alt, neue Befriedigungsmuster zu erlernen. Man kann mithilfe verschiedener Strategien und Atemübungen das Nervensystem so beeinflussen, dass die Anspannung abfällt. «Mit Motivation und Offenheit, neue Dinge auszuprobieren, können auch 80-Jährige noch lernen, eine befriedigende Sexualität zu leben», sagt Bischof.
Die 5 häufigsten Probleme im Schlafzimmer
Schwierigkeiten mit der Erektion
Eine Erektion ist ein Zusammenspiel von Nerven, Blutgefässen, Hormonen und der Psyche. Entsprechend vielfältig können die Ursachen für Erektionsstörungen
sein. Forschende in den USA haben herausgefunden, dass dort gut ein Drittel der über 60-Jährigen und sogar mehr als die Hälfte der über 70-Jährigen davon betroffen sind. Insbesondere bei älteren Männern liegt die Ursache für die Erektionsschwierigkeiten oft bei einem Hormonmangel, arteriellen Verkalkungen, Kreislauferkrankungen, Bluthochdruck, Diabetes sowie
Nebenwirkungen von Medikamenten, erklärt Daniel Eberli, Direktor der Klinik für Urologie am Unispital Zürich.
Weitaus am häufigsten, sagt Urologe Eberli, seien allerdings schlicht die Alterung sowie mangelnde Praxis das Problem: «Wenn man den Penis nicht trainiert, verliert er die nötige Elastizität, um ausreichend anzuschwellen.»Mit Medikamenten oder Injektionen kann eine Erektion unterstützt werden, doch das sind keine Allheilmittel. «Präparate wie Viagra unterstützen zwar eine Erektion, letztlich muss aber auch das ganze Drumherum stimmen», sagt Eberli. Immerhin: Den meisten Männern kann man helfen.
Der vorzeitige Samenerguss zählt zu den häufigsten sexuellen Funktionsstörungen beim Mann. Was genau vorzeitig ist, wird immer wieder anders definiert und hängt letztlich davon ab, wie es Betroffene empfinden.
Bedarf zur Verbesserung gibt es, wenn sich die Ejakulation nicht ausreichend kontrollieren lässt, um ein befriedigendes Sexleben zu führen.
Lange ging die Medizin davon aus, dass die Ursachen für die frühzeitige Ejakulation vor allem psychologisch sind und sich etwa erklären lassen mit starker Aufregung, Versagensängsten , Stress bis hin zu sexuellen Traumata. Mittlerweile weiss man, dass vereinzelt auch körperliche Auslöser wie eine übersensible Penishaut oder Eichel vorliegen können. Auch Schilddrüsenerkrankungen, Prostataentzündungen oder Diabetes können eine mögliche körperliche Ursache sein.
«Das ist ein Problem, das insbesondere jüngere Männer betrifft», weiss Urologe Eberli. In vielen Fällen erledigt sich das Thema mit zunehmender Erfahrung von selbst. Wenn es die Sexualität der betroffenen Person zu sehr belastet, können vor dem Geschlechtsverkehr spezielle Cremes aufgetragen werden. Sie mindern die Empfindlichkeit und damit die Erregung. Alternativ kann auch ein Kondom helfen.
Der lustlose Mann ist ein Phänomen, das in den letzten Jahren häufiger geworden ist. 15 Prozent der Männer geben heute an, ihnen mache Lustlosigkeit zu schaffen. Häufig sind psychologische Gründe wie Stress , Leistungsdruck oder Probleme in der Partnerschaft schuld daran, dass Männer vorübergehend die Libido verlieren.
Die Lustlosigkeit hängt auch oft zusammen mit Grunderkrankungen wie Diabetes, Niereninsuffizienz, Schilddrüsenunterfunktion oder Depression. Dass im Alter weniger männliche Sexualhormone (Androgene) gebildet werden, kann zwar eine Ursache für die schwindende Lust sein – muss aber nicht, erklärt Urologe Eberli. «Ein Mann mit einem hohen Androgenspiegel muss nicht an sich sexuell aktiver sein als ein Betroffener mit einem niedrigen Hormonspiegel.» Trotzdem können Hormonersatztherapien in manchen Fällen Erleichterung verschaffen.
Lustlosigkeit ist das am häufigsten genannte Problem bei Frauen – doch Brigitte Leeners will das nicht so stehen lassen. «Denn vielfach ist nicht an sich die Unlust die Wurzel des Problems, sondern der Umstand, dass die Frau den Geschlechtsverkehr als nicht lohnenswert empfindet», sagt die Direktorin der Klinik für Reproduktions-Endokrinologie am Unispital Zürich. «Eine der wichtigsten Fragen ist deshalb: Weiss die Frau, was ihr Lust bereitet? Und gelingt es ihr, das auf die partnerschaftliche Sexualität zu übertragen?»
Das Gefühl, begehrt zu werden, trägt für viele Frauen zur Lust auf Sexualität bei. Auch die Nähe zur Partnerin oder zum Partner kann erfüllend sein. Diese beiden Motivatoren sind allerdings vielfach nicht nachhaltig. «Spätestens wenn man nach einigen Jahren Beziehung sicher ist, dass einen der Partner oder die Partnerin will – und man durch Kinder mehr Nähe bekommt, als einem an manchen Tagen lieb ist –, fallen diese zwei Anreize für Sex weg», erklärt Sexologin Karoline Bischof. Dann ist die wichtigste Frage: Wie erregend ist der Geschlechtsverkehr für die Frau körperlich? Wichtig ist es, die Verantwortung nicht allein auf die Partnerin oder den Partner abzuschieben. «Frau muss wissen, was sie will und wie sie es sich holen kann. So kann sie selbst mit dem ungeschicktesten Liebhaber der Welt zum Orgasmus kommen.
Untersuchungen haben gezeigt, dass jede fünfte Frau unter 24 Jahren Schmerzen beim Sex hat. Auch danach wirds nicht besser. Insgesamt verspürt jede zehnte Frau Schmerzen beim Eindringen des Penis oder im weiteren Verlauf des Geschlechtsverkehrs.
Die Ursachen sind vielfältig: Sie können zum Beispiel mit Entzündungen im Genitalbereich, einer unzureichenden Befeuchtung der Scheide oder einer Pilzinfektion zusammenhängen. Auch Endometriose , ein Wuchern der Gebärmutterschleimhaut, kann nicht nur zu Menstruationsstörungen und Unfruchtbarkeit führen, sondern auch Unterleibsschmerzen beim Sex verursachen. «Das ist ein schwieriges Thema, weil insbesondere Frauen mit einem ausgeprägten Kinderwunsch Schmerzen und Unlust in Kauf nehmen, um ein Kind zu zeugen», erklärt Gynäkologin und Klinikdirektorin Brigitte Leeners.
Trotzdem ist es wichtig zu wissen: Schmerzen beim Sex sind nicht normal und sollten nicht hingenommen werden. Ein Besuch bei der Gynäkologin ist bei andauernden Schmerzen in jedem Fall zu empfehlen.
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1 Kommentar
Zuerst ist da die notwendige, wichtige, jahrelange, vielfältige, umsichtige Erziehung der Kinder durch deren Eltern.
Dazu gehört selbstverständlich auch, eine umsichtige, verantwortungsbewusste, sexuelle Aufklärung in der Pubertät, damit junge Menschen sich entsprechend respektvoll, höflich, verhalten lernen im Umgang mit andern Menschen generell und speziell betreffend Liebe und Sexualität.
Eltern werden ist nicht schwer - Eltern sein dagegen sehr!
Drum überlege gut, wer Kinder in die Welt setzen will!