Wenn das Baby nur zur Mutter will
Als Vater steht man in den ersten Monaten meist im Hintergrund. Warum man das akzeptieren sollte und wie man trotzdem eine gute Beziehung zum Kind aufbaut.
Veröffentlicht am 8. Juli 2022 - 14:22 Uhr
Frage eines Lesers: Ich will ein guter Vater sein. Aber unser Baby lässt sich nur von der Mutter trösten. Was kann ich tun?
Haben Sie Geduld. Im ersten halben Jahr steht vor allem die Mutter im Zentrum, der Vater schützt und ermöglicht diese Innigkeit. Danach kommt Ihre grosse Zeit.
Was ist ein guter Vater? Diese Frage stellt sich immer wieder neu. Und die Antworten haben sich – zumindest in unserem Kulturraum – massiv verändert, während die Erwartungen an Mütterlichkeit relativ stabil geblieben sind. Durch den ständigen Wandel von «guter Väterlichkeit» gibt es heute wenig stabile Rollenvorbilder.
Für Männer vor etwa 100 Jahren war es grundsätzlich von Wert, Kinder zu haben. Vor allem Söhne sorgten für ein Fortbestehen des Familiengeschlechts. Väter waren Autoritäten. Sie wurden respektiert, aber oft nicht geliebt. Gefühlvolle Alltagskontakte und Bindung schienen Frauensache.
Ein halbes Jahrhundert später, nach dem Krieg und der gesellschaftlichen Veränderung durch die 1968er-Jahre, begannen sich die Väter anders für ihre Kinder zu interessieren.
Sie trauten sich aber erst dann näher ran, wenn sie mit dem Nachwuchs etwas «Richtiges» anfangen konnten, wie etwa Fussball spielen oder Drachen bauen. Hier konnten Männer über ihre Söhne und Töchter eine Art zweite Kindheit erleben, oder wie es Alexandre Dumas lange vor dieser Zeit formuliert hat: «Mein Vater ist ein grosses Kind, das ich bekommen habe, als ich noch ganz klein war.»
Und heute? Heute wollen Eltern mehr. Sie wollen gleichberechtigt und gleichwürdig zusammenleben und Verantwortung übernehmen. Die Familienformen sind vielfältig geworden. Weibliche und männliche Eigenschaften sind nicht mehr rigide an das biologische Geschlecht gebunden. Väter sind ein aktiver, wichtiger und emotionaler Teil ihrer Familie. Das ist eine positive Entwicklung, die der Qualität der Beziehungen zugutekommt. Davon profitieren Väter, Mütter und vor allem die Kinder.
Warum also fühlen sich engagierte Väter in den ersten Monaten so hilflos und aussen vor? Für eine Antwort auf diese Frage ist es wichtig zu verstehen, wie ein Neugeborenes «funktioniert» – und das als Grundlage für die Rolle von Vater und Mutter zu akzeptieren.
«Die Zeit des Vaters kommt so ab dem siebten Monat – als Begleiter auf dem Weg in die Welt.»
Christine Harzheim, Psychologin FSP und systemische Familientherapeutin
Die Wiener Kinderärztin für Säuglingspsychosomatik Josephine Schwarz-Gerö beschreibt einige dieser Aspekte:
Der Säugling hat ein angeborenes Bedürfnis nach Bindung und die Fähigkeit dazu. Und er hat eine klare Hierarchie der Bindungspersonen: Ganz oben ist erst mal die Mutter, die «sicherste Person», alle anderen sind B-Mannschaft. Das kann sich später ändern. Der Säugling, der körperlich völlig unreif und schutzlos zur Welt kommt, ist in den ersten fünf bis neun Monaten vor allem auf Sicherheit, das Eins-Sein mit der Mutter, angewiesen. Grundsätzlich können auch andere diese Rolle einnehmen, zum Beispiel, wenn die Mutter krank ist.
Etwa ab dem siebten Monat dann löst sich das Baby langsam aus der Symbiose mit der Mutter. Es beginnt sich zunehmend für «das Andere» zu interessieren. Jetzt gewinnt der Vater massiv an Bedeutung. In dieser Autonomiephase braucht das Kleinkind mehr als Fürsorge , es sucht Anregung. Der Vater gestaltet nun Schritt für Schritt seine ureigene Beziehung mit dem Kind. Er ist Vater und keine zweite Mutter, er dient dem Kind als Begleiter auf dem Weg in die Welt.
Schwarz-Gerö sagt: Wenn die Mutter der schützende Hafen für das Kind ist, hat der Vater die Rolle der Bucht davor. Er steht für Veränderung, Lernen und Erkundung. Hier braucht es das Vertrauen der Mütter. Beide Aspekte ergänzen sich hervorragend.
Damit die Familie gut zusammenwächst, müssen Eltern anerkennen, dass die Bindung in den ersten Monaten nicht symmetrisch ist. Konkurrenz um die Zuneigung des Kindes schafft Leid. Der wichtige väterliche Beitrag findet zunächst in der zweiten Reihe statt. Er sorgt dafür, dass es der Mutter-Kind-Einheit gut geht, und stellt keine eigenen Ansprüche gegen die Bedürfnisse der beiden. Je entspannter, geduldiger und vertrauensvoller sich ein Vater in diese Position begeben kann, umso wahrscheinlicher ist es, dass auch hier schon viele innige Momente bei der Versorgung des Kindes möglich sind.
Josephine Schwarz-Gerö: «Ein Papa ist keine Mama. Was ein Baby von seinem Vater braucht»; Verlag Patmos, 2018, 200 Seiten, Fr. 27.90
Jedes Kind ist anders. Einige Merkmale in der Entwicklung des Kindes ähneln sich jedoch. Worauf Beobachter-Mitglieder in ihrer Erziehung achten können, zeigen die folgenden Checklisten.
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1 Kommentar
Dass Babies, Kleinkinder, eine intensive und spezielle Beziehung zu ihren Müttern haben, ist doch logisch, da sie 9 Monate eng verbunden sind miteinander (Körper-Seele-Geist)!
Erwachsene, Väter = mit Geduld den Kindern Zeit lassen....bis diese von sich aus die Nähe von ihnen suchen!