Baby fühlt sich gleich daheim
Nur sehr wenige Mütter gebären zu Hause. Dabei hat die Hausgeburt viele Vorteile – doch die Voraussetzungen müssen stimmen.
Veröffentlicht am 18. Dezember 2019 - 15:14 Uhr
Es ist so weit. Lea Bergers* Wehen kommen häufiger und sind länger. Ihr Mann greift nach dem Autoschlüssel, rennt zum Wagen – und fährt ihn in die Garage. So ist der Vorplatz frei für die Hebamme, die gleich einfahren wird.
Lea Bergers Sohn Noah gehört zu den rund 880 Babys jährlich in der Schweiz, die daheim geboren werden. Das ist ein Prozent der Geburten . Dass es nicht mehr sind, ist wohl eher der Gewohnheit als medizinischer Notwendigkeit geschuldet. Eine Nationalfonds-Studie kam bereits 1993 zum Schluss, dass Hausgeburten gleich sicher sind wie Spitalgeburten. Bei Neugeborenen gab es bei allen untersuchten Gesundheitsmerkmalen keine Unterschiede.
Frauen, die daheim gebären, erleben weniger medizinische Eingriffe als im Spital. «Viele werdende Eltern sind sich nicht bewusst, dass bei der Spitalgeburt Interventionen unternommen werden – teils routinemässig», sagt Jacqueline Niederer-Hartmeier, Präsidentin der Sektion Geburtshaus- und Hausgeburtshebammen beim Hebammenverband. Einleitung der Geburt, Dammschnitt, Zangengeburt, Kaiserschnitt : Dieses medizinische Einschreiten kann nachteilig für Mutter und Kind sein und wird entsprechend kontrovers diskutiert.
Doch Geburtsärzte an den Kliniken reagieren beim Stichwort Hausgeburt skeptisch. Bei Geburten müssten Mediziner dabei sein, weil zu viel schiefgehen könne, so der Tenor. Dahinter stecken unterschiedliche Philosophien. Ärzte wehren mögliche Risiken ab – Hausgeburtshebammen wollen dagegen unterstützen, was gesund und natürlich verläuft.
Frauen, die Vertrauen in ihren Körper und den natürlichen Geburtsrhythmus haben, können die Hausgeburt ansprechend finden. Denn sie verläuft ganz im Tempo der Gebärenden und nicht in demjenigen des emsigen Spitalbetriebs. Gerade bei der ersten Geburt kann das ein Vorteil sein, da sie im Allgemeinen länger dauert. «Daheim kann sich die Erstgebärende deutlich besser ablenken und ruhig bleiben», sagt Ruth Landis, die seit knapp vier Jahrzehnten als Hebamme tätig ist.
Das Spital und die Präsenz von Medizinern können wiederum Schwangere ruhiger stimmen, die sich eher verunsichert und ängstlich fühlen.
Bei der Hausgeburt ruft die Schwangere die Hebamme an, wenn die Wehen kommen. Die beiden sollten sich mit Vorteil schon zuvor kennengelernt haben. «So kann sich die Gebärende auf eine Person verlassen, zu der sie ein Vertrauensverhältnis entwickelt hat», sagt Jacqueline Niederer-Hartmeier vom Hebammenverband.
Die Hebamme fährt zu den werdenden Eltern, untersucht die Mutter und das Ungeborene. Sie hört seine Herztöne ab und stellt seine Lage fest. So kann sie einschätzen, wie weit die Geburt vorangeschritten ist. Danach unterstützt die Hebamme die Frau: «Wir massieren, motivieren, bestärken – je nach Wunsch und Bedarf», sagt Hebamme Ruth Landis.
Die werdende Mutter kann es sich immer noch anders überlegen. Etwa wenn die Wehen zu viel werden. «Die Verlegung in ein Spital geschieht meist deswegen», sagt Landis. Denn Schmerzmittel gibt es bei der Hausgeburt nicht. Stattdessen Atmungs- und Entspannungsübungen, Wärme etwa in Form eines Bades, Massagen, verschiedene Positionen und Positionswechsel sowie Bewegung.
Zur eigentlichen Geburt kommt meist eine weitere Hebamme hinzu. Zu zweit können die Aufgaben besser aufgeteilt werden.
Generell übernimmt die Grundversicherung alle Kosten, die mit Schwangerschaft und Geburt entstehen. Eine Ausnahme sind die Kosten für den Bereitschaftsdienst der Hebamme vor, während und nach der Hausgeburt. Dieses sogenannte Pikettgeld beträgt: 100 Franken für die Vorbetreuung, 780 für die Geburt und 120 Franken für die Betreuung im Wochenbett.
Die Haupthebamme bleibt rund drei bis sechs Stunden nach der Geburt vor Ort. Sie kontrolliert unter anderem, ob sich die Gebärmutter rückbildet. Dabei kann es zu stärkeren Blutungen kommen. «Die hohe Spitaldichte in der Schweiz bietet selbst in diesem Notfall ein starkes Sicherheitsnetz», sagt Ruth Landis. Sie hat in bald 35 Jahren Arbeit als Hausgeburtshebamme keinen lebensgefährlichen Fall erlebt.
«Frauen können aus einer Hausgeburt grösseres Vertrauen in ihren Körper und ihre mentale Stärke schöpfen», beobachtet Landis. Sie stellten fest, dass sie selbst sehr anstrengende Situationen wie eine Geburt meistern – ohne Medikamente, ohne Arzt. «Dadurch sind sie sicherer und ruhiger im Umgang mit dem Neugeborenen.»
Allerdings kommt eine Geburt daheim nicht für jede Schwangere in Frage. «Ich empfehle keine Hausgeburt bei vorbestehenden Erkrankungen der Mutter wie Bluthochdruck und Diabetes», sagt Olav Lapaire, stellvertretender Chefarzt und Professor der Geburtshilfe und Schwangerschaftsmedizin am Unispital Basel. Mediziner sprechen bei solchen Vorerkrankungen von Risikoschwangerschaften .
Als Risiko gelten unter anderem auch Mehrlingsschwangerschaften. Falls schnelle medizinische Hilfe nötig werden sollte, ist die Gebärende dann im Spital sicherer als daheim. «Nur wenn keine Risikoschwangerschaft vorliegt und die erste Geburt problemlos verlaufen ist, sollte man eine Hausgeburt in Erwägung ziehen», sagt Daniel Surbek, Chefarzt und Professor für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Frauenklinik des Inselspitals Bern. Auch er hält die Geburt im Spital für empfehlenswerter, um etwaige Risiken zu mindern.
Die Hebammen wollen die Risiken natürlich ebenfalls minimieren. Die meisten begleiten die Geburt daheim nur, wenn keine Risikoschwangerschaft vorliegt und das Kind zwischen der 38. und 42. Woche zur Welt kommt. Das bespricht die Hebamme bei den Treffen mit der Schwangeren.
Dabei thematisiert die Hebamme auch alle Wünsche und Befürchtungen der werdenden Eltern. Einige Bedenken haben mit der Hygiene daheim zu tun – und ob es für eine Geburt nicht zu unrein ist, etwa wenn Tiere im Haushalt leben. Doch im Spital gibt es problematischere Keime als daheim. Laut einer schwedischen Studie infizieren sich knapp drei Viertel der Säuglinge im Spital mit dem Durchfallerreger Clostridioides difficile. Er gehört zu den häufigsten Spitalkeimen.
Nach der Hausgeburt wird das Baby in der ersten Lebenswoche kinderärztlich untersucht, um Herz, Sauerstoffsättigung und Gehör zu testen. Sechs Wochen nach der Geburt gibt es eine gynäkologische Abschlusskontrolle.
Die Hausgeburt fordert deutlich mehr eigene Vorbereitung als die Geburt im Spital. «Das empfinden die einen als Vorteil, weil sie so ihre organisatorische Stärke als Eltern erproben können», erklärt Hebamme Ruth Landis. «Andere fühlen sich überfordert und möchten lieber mehr Unterstützung.» Für sie ist das Spital oder das Geburtshaus hilfreicher.
* Name geändert
Weitere Infos
- www.hebamme.ch
- www.hebammensuche.ch
- Alternativen zur Haus- und Spitalgeburt: www.geburtshaus.ch
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