Raus aus den Schulden – so gehts
Wer seine Rechnungen nicht mehr bezahlen kann, sollte schnell handeln – und sich Hilfe holen. Bei vielen seriösen Beratungsstellen ist die Erstberatung gratis.
Veröffentlicht am 1. März 2019 - 17:24 Uhr
Schulden hat, wer halt einfach zu viel Geld ausgegeben hat – dieses Vorurteil ist weit verbreitet. Doch der Grund für die Schwierigkeiten ist selten übermässiger Konsum. «Schuld sind oft Lebenskrisen. Zum Beispiel ein Jobverlust, gesundheitliche Probleme oder eine Scheidung», sagt Sébastien Mercier vom Dachverband der Schuldenberatungsstellen. Das Problem zu verdrängen macht es nur noch schlimmer, die Schulden vergrössern sich. Brenzlig wird es, wenn die laufenden Kosten dauerhaft höher sind als die Einnahmen.
«Leider kommen viele zu spät zu uns. Oft erst dann, wenn bereits der Lohn gepfändet wird», so André Widmer vom Beratungsdienst Triangel in Zug. Daher gilt: bei Geldsorgen nicht zögern, sondern so schnell als möglich zu einer seriösen Schuldenberatungsstelle gehen. Die erste Beratung ist oft kostenlos, wie in St. Gallen und den beiden Appenzell, oder zumindest bezahlbar. Selbst das teuerste Angebot, zeigt die Umfrage des Beobachters (siehe Infografik), kostet nur 100 Franken.
Vorsicht: Neben den seriösen Stellen gibt es kommerzielle Schuldensanierer . Sie erstellen weder brauchbare Budgets, noch verhandeln sie mit Gläubigern. Sie kassieren lediglich hohe Honorare, ohne grosse Gegenleistung.
Eine seriöse Beratungsstelle listet als Erstes alle Schulden auf und analysiert die finanzielle Lage. Zudem bittet sie die Gläubiger, für den Moment auf Inkassomassnahmen oder Betreibungen zu verzichten. «Oft erschrecken unsere Klienten über diese Schuldenliste. Meist ist die Summe doppelt so hoch, wie sie gemeint hatten», sagt Carmen Kern von der Caritas Thurgau. «Bei langjährig Überschuldeten ist es am schwierigsten, herauszufinden, wem was geschuldet wird, und die entsprechenden Verlustscheine und Betreibungsregisterauszüge zu erhalten», sagt Barbara Bracher von der Fachstelle für Schuldenfragen Luzern.
Haben Sie Ihre Ausgaben im Griff? Können Sie am Ende des Monats wirklich genau sagen, wie viel Geld Ihnen zur Verfügung steht? Beobachter-Mitglieder können mit der Vorlage «Budgetplanung» ihre Ausgaben und Einnahmen in der Tabelle detailliert auflisten, um keine Schulden zu machen.
Die Fachpersonen prüfen, wie sich die Ausgaben reduzieren lassen. Zum Beispiel bei Kredit- und Leasingverträgen und Kundenkarten. Oft werden die gesetzlichen Vorgaben nicht erfüllt (siehe Merkblatt «Konsumkredit: Das Wichtigste in Kürze»); dann kann man günstig aussteigen. Auch unnötige Versicherungen werden aufgespürt. Zudem wird geprüft, ob man Ansprüche geltend machen kann, etwa auf Prämienverbilligung der Krankenkasse .
Um festzustellen, ob jemand überhaupt Geld hat, um Schulden abzuzahlen, erstellt die Beratungsstelle ein Sanierungsbudget. Dabei geht sie vom Existenzminimum aus – das ist jener individuell berechnete Betrag, den man behalten kann, wenn der Lohn gepfändet wird. Dazu gehören ein Grundbetrag, die Miete, die Krankenkasse. Die Beratungsstelle rechnet ausserdem Steuern, Gesundheitskosten und eine Reserve mit ein. Auf der anderen Seite steht das Einkommen. In manchen Kantonen wird der 13. Monatslohn dazugerechnet, in anderen kann man diesen für sich behalten.
Wenn dann tatsächlich noch etwas übrig bleibt – eine sogenannte Sanierungsrate –, fragt sich: Kann der Schuldner damit in den nächsten drei Jahren genug erwirtschaften, um den Gläubigern ein Abzahlungsangebot zu machen? Längere Sanierungsphasen sind nicht sinnvoll – mehr als drei Jahre halten Schuldner kaum durch. Oft leben sie schon seit Jahren in prekären Verhältnissen und sind am Ende ihrer Kräfte. Entscheidend ist, dass die Lebens- und Einkommenssituation während der Sanierungsphase stabil bleibt. Falls man nicht alle Schulden abzahlen kann, müssen die Gläubiger einverstanden sein, einen Teil abzuschreiben – Verhandlungsgeschick der Beratungsstelle ist gefragt.
Weil 80 Prozent der Schuldner Steuerschulden haben, hat oft das Steueramt das letzte Wort zum Sanierungsangebot. «Meistens ist es das Zünglein an der Waage», sagt Jürg Gschwend von Plusminus in Basel. Die Steuerämter sind unterschiedlich kooperativ. In den Kantonen Basel-Stadt, Glarus, Zug, Graubünden und Tessin bestehe ein gutes Einvernehmen, heisst es bei den dortigen Fachstellen. Anderswo weht ein schärferer Wind, etwa in Luzern oder Freiburg.
Falls es der Beratungsstelle nicht gelingt, alle Gläubiger vom Abzahlungsplan zu überzeugen, ist die aussergerichtliche Schuldensanierung gescheitert. Die weiteren Möglichkeiten:
- Schuldenbereinigung: Eine sinnvolle Variante, wenn die verschuldete Person zwar noch gewisse Mittel hat, aber eine Gnadenfrist benötigt, ist die sogenannte private einvernehmliche Schuldenbereinigung. Dabei stoppt das Gericht Betreibungen bis zu einem halben Jahr und setzt einen Sachwalter ein. Der versucht, einen aussergerichtlichen Nachlassvertrag auszuhandeln, mit dem alle Gläubiger einverstanden sind. Die Kosten sind gering: Sie betragen in der Regel 800 bis 1500 Franken.
- Gerichtlicher Nachlassvertrag: Wenn die Gläubiger nicht kooperieren, kann ein gerichtlicher Nachlassvertrag die Lösung sein. Denn dabei muss nur die Mehrheit der Gläubiger einverstanden sein. Weil das Verfahren kompliziert ist und für den Sachwalter sehr aufwendig, sind die Kosten hoch: rasch mehrere tausend Franken.
- Privatkonkurs: Ein Privatkonkurs kann Luft verschaffen, wenn jemand sich zwar finanziell erholen wird, momentan aber keine Einigung mit den Gläubigern möglich ist. Für Schulden aus dem Konkurs kann er erst wieder belangt werden, wenn er zu neuem Vermögen gekommen ist. Gerichtsgebühren: bis zu 5000 Franken.
Wenn eine verschuldete Person nichts übrig hat, sind Gerichtsverfahren nicht sinnvoll. «Die meisten unserer Klientinnen und Klienten können nicht saniert werden», sagt Mario Roncoroni von der Berner Schuldenberatung. Umso wichtiger ist es, dass sie sich an eine seriöse Schuldenberatungsstelle wenden. Denn ihr Ziel ist es, die finanzielle Situation zu stabilisieren und neue Schulden zu verhindern. Die Fachleute helfen beim Umgang mit Gläubigern, Inkassobüros und Betreibungsämtern, manchmal sogar beim Ausfüllen der Steuererklärung.
Die wichtigsten Rechnungen werden zuerst bezahlt: Wohnungsmiete, Krankenkasse, Alimente, Steuern. «Wenn mit den Einnahmen die laufenden Auslagen bezahlt werden, kann man die Schuldenspirale unterbrechen», sagt Barbara Bracher von der Fachstelle für Schuldenfragen Luzern.
Falls jemand zu verarmen droht, helfen die Fachstellen dabei, Stiftungen anzuschreiben und andere Hilfsangebote zu finden. «Unsere Klienten beim Leben mit Schulden zu begleiten – das ist ein sehr wichtiger Teil unserer Arbeit. Gemeinsam erarbeiten wir eine Perspektive – es kann sein, dass die Schulden zu einem späteren Zeitpunkt bezahlt werden können», sagt Max Klemenz von der Schuldenberatung des Kantons Zürich.
Wer überschuldet ist, bleibt oft ein Leben lang bestraft. Betroffene sind stärker gefährdet, in Armut abzudriften, und in vielen Bereichen benachteiligt: Wohnen, Gesundheit, Arbeit und soziale Kontakte . Dem Staat entstehen Kosten. Und die Gläubiger gehen in der Regel ohnehin leer aus.
Besser wäre es darum, den Verschuldeten eine zweite Chance auf wirtschaftliche Erholung zu geben. Das heisst, Schulden unter gewissen Voraussetzungen auch ohne Abzahlung zu tilgen. Diese sogenannte Restschuldbefreiung ist in den meisten europäischen Ländern und den USA möglich. Aber nicht in der Schweiz. Das will der Bundesrat ändern , wie er im März 2018 festhielt. Er erarbeitet im Auftrag des Parlaments eine entsprechende Vorlage. Aber bis eine Reform in Kraft tritt, können sich nur diejenigen vor der Pfändung bis aufs Existenzminimum retten, die die Forderungen der Gläubiger wenigstens zum Teil erfüllen können.
Wenn sich der Schuldenberg anhäuft, nutzen meist dubiose Sanierungsbüros die Unwissenheit der Schuldner. Beobachter-Mitglieder erfahren, wie das Verfahren eines Privatkonkurses aussehen könnte, welche Rechte bei einer Pfändung gelten und erhalten in einer Schuldenberatung weitere Handlungsanweisungen.