Mit Fake-Unterschrift zum Kassenwechsel
Beim Krankenkassenvermittler Swiss Home Finance sollen Mitarbeiter Kundenunterschriften zum Teil selber gesetzt haben. Der Geschäftsführer dementiert. So etwas werde nicht toleriert.
Veröffentlicht am 7. Dezember 2020 - 11:44 Uhr
Alle kennen sie, die lästigen Anrufe: «Wollen Sie 1000 Franken sparen?» Um die Krankenkasse zu wechseln, braucht man aber keine Vermittler. Ein Online-Prämienrechner und zwei Briefe reichen. Die Vermittler interessiert ohnehin vor allem eins: Bei jedem Wechsel klingelt ihre Kasse. Letztes Jahr zahlten die Krankenkassen 44,5 Millionen Franken Provision an Vermittler – finanziert mit Prämiengeldern. Dazu kommen 60 Millionen für Werbung.
Das Vermittlergeschäft ist aber so sehr in Verruf, dass der Bundesrat ein Gesetz plant, das Anrufe von Callcentern («Kaltakquise») verbieten und Provisionen reduzieren soll (mehr Infos dazu siehe Infobox am Artikelende). Trotzdem kümmert das offensichtlich viele Vermittler wenig.
So schildern mehrere ehemalige Mitarbeiter der Swiss Home Finance, sie seien von ihren Vorgesetzten stark unter Druck gesetzt worden, um Kundinnen und Kunden zu einem Kassenwechsel zu überreden. Das Unternehmen beschäftigt mehrere Dutzend Angestellte in Büros in Rothrist AG, Zürich und Montreux VD. Der Druck beginnt bereits beim Vertragszusatz, mit dem sich die Angestellten verpflichten, jeden Monat eine bestimmte Anzahl Vertragsabschlüsse «hereinzuholen».
Belastende Filmaufnahmen
Eine besonders fragwürdige Praxis herrscht im Zürcher Büro. Hier würden Vermittler kurzerhand auch mal selber unterschreiben, wenn die Originalunterschrift fehle. Das komme etwa beim Beratungsprotokoll vor, auf dem Kunden bestätigen müssen, dass der Vermittler sie transparent informiert habe. Oder wenn eine Kundin zwar Ja sagte zum Wechsel der Grundversicherung, bei der Zusatzversicherung aber nicht unterschrieb.
Dem Beobachter zugespielte Filmaufnahmen aus den Büros der Swiss Home Finance zeigen, wie Mitarbeitende ein Dokument mit der Unterschrift des Kunden an die Scheibe kleben, das nicht unterzeichnete Dokument darüberlegen und die Signatur nachzeichnen. «Das kommt immer wieder vor, sicher aber mehrmals pro Woche. Ich konnte es zuerst gar nicht glauben», sagt ein Ex-Mitarbeiter. Alle im Grossraumbüro bekämen es mit, niemand schreite ein.
Firmengründer und Geschäftsführer Benard Duzhmani betont: «Ich toleriere keine Unterschriftenfälschungen.»
Infografik: Krankenkassen zahlen immer mehr Provisionen
Es gibt auch Hinweise, dass Swiss Home Finance die in Verruf geratene Kaltakquise nutzt, was Duzhmani vehement dementiert. Ex-Angestellte berichten aber, intern sei die Zusammenarbeit mit einem Callcenter im Kosovo kein Geheimnis.
Gegen aussen wird aber jeglicher Eindruck eines Zusammenhangs vermieden. So müssen Kunden auf dem Beratungsprotokoll explizit bestätigen, der Termin habe auf ihren Wunsch hin stattgefunden und sei nicht durch ein Callcenter initiiert worden. Allerdings kann man auf dem Formular gar nicht angeben, ob man von einem Callcenter kontaktiert worden ist.
Fragen wirft auch das interne System auf. Bei jedem Kundenkontakt wird vermerkt, wer den Termin vereinbart hat. Bildschirmfotos zeigen: Hier sind Namen eingetragen, die in der Schweiz geläufig sind, im Kosovo aber kaum vorkommen: «Ramona Zimmermann», «Mario Costa», «Lara Stein», «Jana Reimann». Aber: Hinter jedem Namen steht noch ein Kürzel, das nicht den Initialen entspricht. Der Verdacht: Dahinter verbergen sich Callcenter-Angestellte.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die meisten erst Anfang 20, würden durch Firmeninhaber «Beni» Duzhmani und Büroleiter Thomas C. angetrieben, möglichst viele Verträge abzuschliessen. «Pure Sklaventreiberei», sagt dazu ein Ex-Mitarbeiter.
Eine Luxustasche vom Chef
Zentrales Instrument ist ein Flipchart-Plakat, auf dem alle Mitarbeitenden und die angepeilte Anzahl Vertragsabschlüsse notiert sind. Ende Monat entsteht eine Rangliste. Die «guten» Mitarbeiter schaffen 40 bis 50 Abschlüsse, die «schlechten» 10 oder 20. Neulich belohnte Büroleiter C. die Angestellte D. B. für ihren ersten Rang – mit einer Tasche der Luxusmarke Louis Vuitton. Das Foto landete auf dem internen Chat – um die anderen Mitarbeitenden zu motivieren.
Bürochef C. führte zuvor selber im Kosovo ein Callcenter. In der Schweiz war er davor mit einer anderen Vermittlerfirma verbunden, über die der Beobachter vor vier Jahren berichtete: Die Business Academy überredete jahrelang im grossen Stil Jugendliche zu teuren Kursen und trieb gnadenlos Schulden ein.
Die Ermittlungen zum fragwürdigen Geschäftsmodell der Business Academy stellte die Staatsanwaltschaft Zürich schliesslich ein. Die Ermittler hatten Drahtzieher C. nicht mal im Visier. Kein Wunder, er trug früher einen anderen Namen. So hielt er sich während Jahren gekonnt im Hintergrund. Auch ein Verfahren wegen Geldwäscherei wurde ergebnislos eingestellt.
Benard Duzhmani, Geschäftsführer von Swiss Home Finance, betont: «Den Vorwurf, meine Firma mit unlauteren, gar strafrechtlichen Methoden zu führen, weise ich in aller Deutlichkeit zurück.» Und: «Die Swiss Home Finance AG hält alle gesetzlichen und selbstregulatorischen Bestimmungen ein.» Es gebe keine Kaltakquise, die Anschuldigungen stammten von «mutmasslich unzufriedenen Ex-Mitarbeitenden». Benard Duzhmani: «Ich gehe von einer Intrige eines Konkurrenten aus.»
Ab 1. Januar 2021 soll Schluss sein mit aggressiven Anrufen von Krankenkassenvermittlern. So will es eine Vereinbarung der Branchenverbände Santésuisse und Curafutura. Sie ist freiwillig, doch fast alle Krankenkassen haben unterzeichnet.
Laut Vereinbarung müssen Vermittler auf Kaltakquise verzichten, dürfen also nicht von sich aus irgendwelche Leute anrufen.
Zudem wird die Höhe der Provisionen begrenzt – auf 70 Franken bei der Grundversicherung und auf die Höhe einer Jahresprämie bei einer Zusatzversicherung. Fehlbare Vermittler können hart sanktioniert werden. Vorgesehen sind Bussen von bis zu 100'000 Franken (Grundversicherung) und bis 500'000 Franken (Zusatzversicherungen). «Es ist uns ernst, wir wollen diese Vereinbarung durchsetzen», sagt Santésuisse-Direktorin Verena Nold.
SP-Nationalrätin Barbara Gysi meint trotzdem: «Die Branchenlösung reicht nicht, es braucht eine gesetzliche Regelung.» Der Bundesrat hat aufgrund verschiedener Vorstösse ein Gesetz ausgearbeitet. Es kommt wohl erst 2022 ins Parlament.
Was kann man tun, um sich gegen Entscheide der Krankenkasse zu wehren? Und was gibt es bei der Wahl der Krankenkasse oder der Franchise zu beachten? Beobachter-Mitglieder erhalten schnell und einfach Antworten auf Fragen zur Krankenversicherung und welche Kosten sie bezahlt.
2 Kommentare
Ja das ist uns vor 4 Jahren selbst so ergangen. Ein Versicherungsmakler der KK Groupe Mutuel hat unsere Unterschriften gefälscht. Und wir waren machtlos dagegen!
Ein weiteres Beispiel dafür, wie krank unser Krankenkassensystem ist. Man müsste nochmals eine Initiative für eine Einheitskasse lancieren, damit dieser Unsinn endlich aufhört.