Neue Hoffnung für Schuldner
Bei einer Lohnpfändung werden die Steuern nicht berücksichtigt. Schuldner kommen dadurch in einen Teufelskreis. Plötzlich will das auch die SVP ändern.
Veröffentlicht am 21. Dezember 2018 - 09:14 Uhr,
aktualisiert am 20. Dezember 2018 - 13:00 Uhr
Die Thurgauer SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr kennt das Problem aus dem familieneigenen Betrieb: «Wird der Lohn gepfändet, werden ausgerechnet jene Schuldner bestraft, die noch Geld verdienen. Das darf nicht sein. Sonst könnten sie die Motivation verlieren, überhaupt noch zu arbeiten.» Am wichtigsten sei, dass möglichst viele im Arbeitsprozess integriert bleiben und nicht dem Staat zur Last fallen.
Gutjahr ist deshalb aktiv geworden. In einer Motion verlangt sie, dass bei einer Pfändung die Ausgaben für die laufenden Steuern in die Berechnung des Existenzminimums einfliessen – sofern sichergestellt werden kann, dass damit auch die Steuern bezahlt werden. Parteipräsident Albert Rösti und weitere SVP-Parlamentarier haben die Motion unterzeichnet.
Ein ähnliches Anliegen hatten die meisten Unterzeichnenden 2015 noch abgelehnt. Ihr Argument: Die öffentliche Hand soll als Gläubigerin nicht bevorzugt behandelt werden. Wie brachte Gutjahr ihre Partei zu diesem Richtungswechsel? «Man muss die Sache nur zu Ende denken. Es ist eigentlich ein bürgerliches Anliegen», sagt die 34-Jährige. Der Staat riskiere Steuerausfälle, und im schlimmsten Fall müsse er dann auch noch Sozialhilfe leisten.
Eine Lebenskrise wie Krankheit, Jobverlust und Scheidung kann alle treffen. Oft türmt sich dann ein Schuldenberg auf. Wird der Lohn gepfändet, erhält der Schuldner nur noch das Geld für Nahrung, Miete und Krankenkasse – das sogenannte Existenzminimum . Geld für die provisorischen Steuerraten zählt nicht dazu.
Dadurch gerät der Schuldner in einen Teufelskreis. Der pfändbare Lohn geht ans Betreibungsamt, für die laufenden Steuern bleibt nichts übrig. Sie vom knappen Essensgeld abzusparen ist kaum möglich. So wachsen während der Lohnpfändung die Steuerschulden. Wenn später die Steuerrechnung kommt, ist der Schuldner schon pleite. Alle verfügbaren Mittel haben die privaten Gläubiger
erhalten. Das Steueramt dagegen geht leer aus. Es muss nun auch betreiben und wird dafür den Lohn pfänden. Das ist absurd: Der Schuldner muss die alten Steuern abstottern und hat deshalb kein Geld für die laufenden. Später wird er dafür erneut gepfändet.
«Es ist eine grosse Überraschung, dass ausgerechnet die SVP einen solchen Vorstoss macht.»
Sébastien Mercier, Schuldenberater
«Steuerschulden sind ein riesiges Problem. Davon profitiert keiner der Beteiligten», sagt Sébastien Mercier von der Schuldenberatung Schweiz. Die SP fordert deshalb seit Jahren, dass das Existenzminimum und sehr tiefe Einkommen erst gar nicht besteuert werden. Bei höheren Einkommen sollen die Steuern direkt vom Lohn abgezogen
werden, wie das in allen anderen Ländern in Europa geschieht. Das lehnt die SVP wiederum ab.
Schuldenberater Sébastien Mercier freut sich über die Motion. «Es ist eine grosse Überraschung, dass ausgerechnet die SVP einen solchen Vorstoss macht.» Auch die SP begrüsst, dass sich «die SVP für die Situation verschuldeter Personen einsetzt». Trotzdem ist sie nicht einverstanden und wird die Motion ablehnen. Sie löse die Ursache des Problems nicht. Damit teilt die SP die Bedenken des Bundesrats. Ob die Steuern tatsächlich bezahlt werden, sei nur schwer zu kontrollieren – und die Kontrolle sei mit einem grossen administrativen Aufwand verbunden. Und weil der pfändbare Teil schrumpfe, würden auch die familiären Unterhaltsleistungen kleiner.
Nun muss das Parlament über die Motion abstimmen. Der Ausgang ist unklar. Aber selbst wenn sie abgelehnt werden sollte: «Es hat sich eine Tür geöffnet, um Verhandlungen aufzunehmen», sagt Mercier optimistisch.
Wenn sich der Schuldenberg anhäuft, nutzen meist dubiose Sanierungsbüros die Unwissenheit der Schuldner. Beobachter-Mitglieder erfahren, wie das Verfahren eines Privatkonkurses aussehen könnte, welche Rechte bei einer Pfändung gelten und erhalten in einer Schuldenberatung weitere Handlungsanweisungen.