Der 90-Jährige schien alle Lebensfreude verloren zu haben. Die Kinder erklärten sich das mit Altersbeschwerden. Doch der betagte Vater hatte ein Geheimnis. Eines, das ihn wohl schwer belastet hat.

Erst sein Tod vor drei Monaten hat es ans Tageslicht gebracht. Der Aargauer hatte ein Vermögen in heute wertlose Aktien investiert. Mit fast 400'000 Franken beteiligte er sich in den Jahren 2013 und 2015 am Zuger Pharmaunternehmen Amvac. 

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Zu diesem risikoreichen Investment hatten ihn Telefonverkäufer überredet. Sie prophezeiten dem Unternehmen eine goldene Zukunft, unter anderem dank Impfstoffen gegen Ebola und Vaginalinfektionen. Doch daraus wurde nichts. Anfang 2016 war das Unternehmen pleite.

Amvac-Werbefilm

Mit dieser professionellen Imagewerbung wurden Investoren dazu verleitet, Amvac-Aktien zu kaufen. Mittlerweile ist die Firma konkurs.

Gelder landen auf Privatkonten

Der Rentner war einer von fast 1000 Investoren, die für insgesamt rund 70 Millionen Franken Amvac-Aktien gekauft hatten. Das meiste Geld floss über zwei Zürcher Vermittlerfirmen auf private Konten der Ex-Amvac-Geschäftsleiterin Melinda K.. Gegen die 45-Jährige und weitere acht Personen führt die Zuger Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren wegen betrügerischen Aktienhandels.

Mit 24 Millionen Franken soll die Geschäftsleiterin persönlich von der Abzocke profitiert haben. Die Aktienverkäufer wurden jeweils mit 50 bis 60 Prozent des Verkaufspreises entschädigt.

Die Amvac-Chefin

Ohne Erfahrungen in der Pharmabranche leitete die in der Schweiz lebende Ungarin Melinda K. (45) die Amvac. Nach ihrem Rücktritt 2015 gründete sie die Firma Smart Lovelocks, die virtuelle Liebesschlösser anbietet, über die sich Paare per Software verbinden können. Was mit den rund 24 Millionen Franken geschehen ist, die aus dem Amvac-Aktienverkauf bei ihr landeten, ist unbekannt. Für Melinda K. und acht weitere Tatverdächtige gilt die Unschuldsvermutung.

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Nach dem Betrug ist vor dem Betrug

Opfer solcher Machenschaften geraten regelmässig in ein Netz von weiteren Abzockern. Kaum steht der Totalverlust der Investoren fest, werden sie wieder kontaktiert. Telefonverkäufer buhlen mit neuen, dubiosen Anlagen um die Gunst der Geschädigten. Im Fall der Amvac sollten die praktisch wertlosen Aktien gegen einen Aufpreis mit anderen Aktien getauscht werden, die dann entweder nie geliefert wurden oder sich als ebenfalls wertlos entpuppten. 

Ein Vermittler namens Lifflander Marketing PLC in London bot Opfern für 4 Euro Aktien des Pharmakonzerns Glaxo Smith Kline an. Ein verlockendes Angebot, denn der Kurs dieser Aktie lag etwa fünfmal höher. Warum aber sollte jemand einem Betrugsopfer Wertpapiere unter dem aktuellen Kurs verkaufen? Geschädigte, die kauften, haben die Aktien nie erhalten. 

Auch der verstorbene Aargauer hatte nach der Amvac-Pleite nochmals gekauft. «Er investierte 40'000 Franken in ein amerikanisches Pharmaunternehmen. Die Papiere sind heute wertlos», sagt sein Sohn. Anderen Opfern wurde der Tausch mit Pfizer-Aktien schmackhaft gemacht – gegen horrende Nachzahlungen.

Die Adressen von Geschädigten sind das Kapital der Telefonverkäufer. Denn Kunden, die Geld verloren haben, sind anfällig für neue Angebote, die ihren Schaden mindern sollen. Meist werfen sie gutes Geld ihrem schlechten hinterher. 

Datensammlungen über Geschädigte werden weitergegeben und gehandelt. Aus diesem Grund erhalten Geprellte umgehend dubiose Tauschangebote für ihre Aktien. So war es auch im Fall Max Entertainment, in dem inzwischen mehrere Verantwortliche Freiheitsstrafen kassiert haben.

Das Max-Geschäft

Der Haupttäter in einem Schweizer Anlagebetrug muss für fünf Jahre hinter Gitter. Das Zuger Obergericht hat im Mai ein Urteil der Vorinstanz im Grundsatz bestätigt, die Strafe aber um ein Jahr nach unten korrigiert.

Der 59-jährige Hans-Jürgen K. hat mit einer Truppe von Telefonverkäufern Hunderte Kleinanleger zu Investitionen in sein Firmenprojekt Max Entertainment überredet.

Dieses hätte den in den USA beliebten Kampfsport Mixed Martial Arts mit Grossevents in die Schweiz holen sollen. Rund sieben Millionen Franken flossen innert eines Jahres in die Taschen der Aktienverkäufer. In die eigentliche Geschäftsidee wurde praktisch nichts investiert.

Die Ex-Frau von K. erhält wegen Gehilfenschaft eine Freiheitsstrafe von 29 Monaten, drei weitere Aktienverkäufer 14 bis 18 Monate. 
K. akzeptiert die Strafen, mindestens ein Gehilfe will gegen das Urteil Beschwerde beim Bundesgericht einlegen.

Mit Ausnahme der Frau droht allen die Ausweisung aus der Schweiz, weil sie deutsche oder italienische Staatsbürger sind und Strafen von mehr als einem Jahr kassiert haben. Darüber entscheiden müssen die kantonalen Migrationsämter, sobald die Urteile rechtskräftig sind.

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Retten, was nicht mehr zu retten ist 

Auch Geschädigte, die der Tauschabzocke widerstehen, sind für Geschäftemacher nicht verloren. Nach der Amvac-Pleite meldete sich eine IGA (Interessengemeinschaft & Aktionärszusammenschluss der Amvac AG) bei den Geprellten. Sie gibt vor, Lizenzen und Tochterfirmen der Amvac im Ausland herauszukaufen, um die Firma weiterzuführen. Dafür müssten Aktionäre Nachzahlungen leisten. Der Präsident der IGA hat selber Betreibungen von über einer Million Franken am Hals. 

Auf ihrer Website kritisiert die IGA ein Konkurrenzprojekt als Trittbrettfahrer – die Stiftung IDC (Investment Damage Claim). «Mit lautem Geschrei versuchen sie auf den IGA-Zug aufzuspringen und die Lokomotive gleich an sich zu reissen». 

Die IDC, die sich als Selbsthilfeorganisation bezeichnet, will mit einer Zivilklage gegen ehemalige Verwaltungsräte und die Geschäftsleitung der Amvac vorgehen. Weil eine eigentliche Sammelklage von Geschädigten in der Schweiz nicht möglich ist, setzt sie auf Vergleichsverhandlungen mit den Verantwortlichen. Aber ausgerechnet jene Verantwortlichen, gegen die bereits ein Strafverfahren läuft, nimmt sie nicht ins Visier. Vielmehr sollen die Manager und Verwaltungsräte der letzten Stunde für die Amvac-Pleite verantwortlich sein, nachdem die umstrittene Geschäftsführerin Melinda K. bereits abgesetzt war. Ihre Nachfolger sollen nicht das Nötige unternommen haben, um die Amvac zu retten. 

Geschädigte, die sich der IDC-Stiftung anschliessen, müssen ebenfalls Geld nachschiessen. Damit soll vorerst eine Machbarkeitsstudie für eine Verantwortlichkeitsklage finanziert werden – konkret ein Anwalt, der damit beauftragt wird. Auch die aktiven Stiftungsräte wollen später für ihre Arbeit entschädigt werden. Falls das Geld dann für eine Klage nicht mehr reicht, müssen die Geschädigten wohl mit weiteren Nachzahlungen rechnen. Für Betrugsopfer, die bereits viel Geld verloren haben, ein langes, teures Abenteuer mit höchst ungewissem Ausgang.