Milliardenpoker im Brillenmarkt
Die zwei weltgrössten Produzenten von Gläsern und Fassungen fusionieren. Werden die Brillen nun noch teurer?
Veröffentlicht am 4. Juli 2018 - 10:55 Uhr,
aktualisiert am 14. August 2019 - 10:11 Uhr
Noble Venezianer und deutsche Nonnen nutzten früh das nützliche Ding aus geschliffenem Kristall. Und da im Mittelalter alle Kristalle «Beryllium» hiessen, bekam die Sehhilfe ihren Namen: Brille. Heute sitzt, was der Iraker Alhazen vor 1000 Jahren erfunden hat, auf sieben von zehn älteren Schweizer Nasen und beschert den Optikern jedes Jahr über eine Milliarde Franken Umsatz. Tendenz steigend.
Bloss jeder neunte Mensch, der die 55 überschritten hat, kommt ohne Sehhilfe aus. Und schon heute sieht jeder dritte Schweizer Jugendliche schlecht. Augenärzte wie der St. Galler Veit Sturm nehmen an, dass in ein paar Jahren jeder zweite Schulabgänger kurzsichtig ist. Das heisst, sie sehen nur auf kurze Distanzen gut, weil sie sich zu wenig im Freien aufhalten.
Bis 1985 war der Schweizer Brillenmarkt ein Kartell wie der Biermarkt, bevor Grossbrauer wie Carlsberg und Heineken eine Schweizer Brauerei nach der anderen schluckten. Im Brillenbusiness übernahmen Firmen wie Visilab, McOptic und Fielmann schrittweise das Geschehen. Visilab (zu der auch Kochoptik gehört) wird von den Niederländern kontrolliert und zog ein Netz von 100 Filialen auf. McOptic ist im Besitz der Basler Familie Thaler und unterhält 62 Ladengeschäfte, Fielmann aus Deutschland zählt 43 Shops. Und Optic 2000, ein Netzwerk unabhängiger Schweizer Optiker, hat 39 Mitglieder.
1 Milliarde Gläser und Gestelle soll der fusionierte Brillenkonzern jährlich produzieren.
Die Anzahl Filialen widerspiegelt aber nicht die Marktmacht. Visilab setzte letztes Jahr 251 Millionen Franken um, 27 Prozent des Gesamtumsatzes der Branche. Fielmann liegt mit über 200 Millionen Franken Umsatz auf Platz 2 und expandiert weiter. Etwa jede zweite Korrekturbrille von Bülach bis Bulle geht über eine der Fielmann-Theken. McOptic gibt keine Zahlen bekannt. Ein Insider schätzt den Umsatz pro Filiale auf 800'000 bis 2 Millionen Franken und errechnet Erlöse von mindestens 60 Millionen Franken im Jahr.
Daneben existieren mehrere Hundert unabhängige Optikgeschäfte. Und neue Wilde wie Viu. Entstanden ist die Zürcher Firma aus der Erkenntnis, dass vor allem zwei Hersteller die Optiker beliefern: Essilor die Gläser, Luxottica die Fassungen. Ausserhalb der Branche sind die beiden Firmen kaum bekannt, obschon bereits heute jedes zweite bis dritte Brillenglas oder -gestell von ihnen stammt.
Die Marktmacht von Essilor und Luxottica hilft, die Preise hochzuhalten. Wobei in der Branche gilt: «Das Glas bringt das Geld. Alles andere ist Beiwerk.» Das hat mit der Geschichte zu tun. Geschliffene Gläser galten über die Jahrhunderte als medizinische Geräte, und dafür sind die Kunden traditionell bereit, viel Geld zu zahlen.
Ob bei Fielmann oder beim unabhängigen Optiker im Quartier: «Eine Korrekturbrille kostet im Schnitt 600 Franken», sagt Peter Kaeser, einer der Gründer von Viu. Bei Viu zahlt der Kunde die Hälfte. Entworfen werden die Brillen in der Schweiz, hergestellt in Italien und Japan.
Ursprünglich waren Viu-Brillen nur online erhältlich. Doch zum Anpassen brauchen Träger oft Hilfe, «eine Brille ist ja kein T-Shirt», sagt Kaeser. Fünf Jahre nach der Gründung ist seine Firma Viu in vier Ländern mit 35 Läden präsent, 11 davon in der Schweiz. (Anfang August 2019 waren es 38 Shops in neun Ländern, davon 14 in der Schweiz.)
Nun werden sich Essilor und Luxottica per Ende Juli zusammenschliessen. Diese Megafusion ist «keine gute Nachricht für den Optikmarkt», sagt Daniel Mori, der Gründer von Visilab. Er gehe davon aus, dass der neue Konzern die Einkaufspreise von Brillengläsern und -fassungen «nach oben drücken wird». Unabhängige Optiker wird das stärker treffen als Ketten, erwartet Mori. Immerhin hat Visilab, beziehungsweise deren Hauptaktionärin Grandvision, erhebliche Marktmacht und damit die Möglichkeit, «die Konkurrenz zwischen den Lieferanten zu nutzen, um über die Preise zu verhandeln», sagt Mori.
Fielmann liess die Fragen des Beobachters unbeantwortet. Für McOptic ist der Zusammenschluss «kein Gegenstand zur Beunruhigung», lässt Marketingchef Robert Giehl den Beobachter wissen. Die Firma liege «gut im Markt». McOptic lässt die Gläser im Baselbiet schleifen, was teurer ist, aber dafür schneller. Schwierig könnte es für die Optiker werden, wenn die Produkte verknüpft werden. Falls sie nur noch dann Fassungen der begehrten Luxottica-Marke Ray Ban bekommen, wenn sie die Gläser von Essilor beziehen.
Mehr Kopfzerbrechen bereitet den Optikern vorderhand der Reigen der Rabatte. Hier eine Lesebrille für angeblich weniger als 50 Franken, dort ein Rabatt von 50 Prozent. «Der Kunde kommt nur noch ins Geschäft, wenns ein Glas gratis gibt. Wie geht das weiter? Wie soll man das dauernd toppen?», fragt ein Händler.
Für Luxottica-Gründer Leonardo Del Vecchio jedenfalls hat sich der Lebenstraum erfüllt: Brillen «made in Luxottica», entworfen, produziert, verteilt und verkauft online, en gros und in eigenen Geschäften, wie das in den USA bereits teilweise der Fall ist. Daher halten es Branchenkenner für möglich, dass der neue Riese schon bald Shops in Basel, Genf und Zürich eröffnen wird.
Anfang August 2019 übernahm der Riese Essilor-Luxottica für 7,2 Milliarden Euro den niederländischen Konzern Grandvision. Zu Grandvision gehört der Schweizer Marktführer Visilab, und Visilab übernahm die 62 Ladengeschäfte des Konkurrenten McOptik, der Nummer 3 für Sehhilfen. "Die kleine Schweizer Kette McOptik landet über verschlungene Wege letztlich in den Händen des reichsten Italieners, Del Vecchio", schrieb die "NZZ am Sonntag".
Gläserhersteller Essilor entwickelte unter anderem Varilux-Gleitsichtgläser, die Sehen in der Nähe wie in der Ferne ermöglichen. Die Firma nahe Paris hat jeden zweiten ihrer fast 70'000 Mitarbeiter am Erfolg beteiligt.
Luxottica, Hersteller von Fassungen, wurde von Leonardo del Vecchio in den Dolomiten gegründet. 1988 hatte er die Idee, den Namen Giorgio Armani auf das Gestell zu schreiben, und die Designerbrille war geboren. Luxottica fertigt mit rund 80'000 Mitarbeitern Millionen Fassungen für Modehäuser von Chanel bis Prada und übernahm starke Marken wie Ray Ban.
Nach vierjährigem Zögern erlaubten die EU-Kartellhüter Anfang 2018 die Heirat von Essilor und Luxottica. Eine Fusion der Superlative im Brillenmarkt, den Analysten auf mindestens 100 Milliarden Franken Umsatz schätzen. Ende Juli tauscht das Power-Couple die Ringe. Künftig wird es jährlich etwa eine Milliarde Gläser und Gestelle fabrizieren.