«Der Bundesrat handelt verantwortungslos»
Die Schweiz muss Schulen schliessen und die Bewegungsfreiheit massiv einschränken – das fordert Adriano Aguzzi. Der Prionenforscher kritisiert das bisherige Vorgehen des Bundesrats scharf.
Veröffentlicht am 12. März 2020 - 16:32 Uhr
Herr Aguzzi, Sie kritisieren den Bundesrat wegen der Coronakrise scharf. Warum?
Adriano Aguzzi: Er handelt verantwortungslos. Wir bewegen uns auf eine schwere Krisensituation zu und alles, was der Bundesrat empfiehlt, ist, dass wir in die Armbeuge niesen sollen.
Er hat auch Veranstaltungen mit über 1000 Personen verboten. An der Grenze zu Italien sind ausser zwei alle Grenzübergänge geschlossen worden.
Die Grenze ist nicht mehr das Problem, denn das Virus ist längst schon hier. Es braucht den Lockdown jetzt. Das heisst: Universitäten und Schulen sollten geschlossen und die Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt werden. Sonst sind wir in zwei Wochen so weit, wie Italien es bereits heute ist.
Ein Lockdown ist eine radikale Massnahme und wird schwere wirtschaftliche Schäden verursachen.
Wir müssen langfristig denken. Klar wird ein Lockdown die Wirtschaftsaktivitäten stark beeinträchtigen. Doch wenn wir jetzt die Weitergabe des Coronavirus
stoppen, sind wir es in kurzer Zeit los und das Leben kann weitergehen wie vor der Krise. Verzichten wir jetzt auf radikale Massnahmen, werden wir später einen viel höheren Preis bezahlen müssen, weil sich viel mehr Leute angesteckt haben werden. Jeder zusätzliche Tag der Unentschlossenheit wird viele Menschenleben kosten.
Welche Massnahmen haben Sie als Institutsleiter ergriffen?
Ich habe alle Leute nach Hause geschickt, die ihre Arbeit über Internet und Telefon erledigen können. Ausserdem habe ich jedem, der sofort drei Tage Urlaub nimmt, zwei weitere freie Tage geschenkt. Das Ziel ist, in dieser Phase alles zu tun, um zwischenmenschliche Übertragungen des Virus zu verhindern. Ich bin kein Fan von Telearbeit. Der zwischenmenschliche Kontakt ist sehr wichtig. Aber in der aktuellen Situation wäre jede andere Entscheidung falsch gewesen. Auch ich selber werde in der kommenden Zeit nicht am Institut sein. Sogar das wöchentliche Reporting unserer Forschungsergebnisse habe ich unterbrochen, obwohl das in den letzten 27 Jahren noch nie geschehen ist.
Haben Sie denn mit dem Bundesrat Kontakt aufgenommen?
Mein Spezialgebiet ist die Neurodegeneration bei Alzheimer, Parkinson, Creutzfeldt-Jakob. Dennoch habe ich immer auch über Viren geforscht. Allerdings bin ich kein Politiker und mein Einfluss auf die Behörden ist klein.
Adriano Aguzzi ist mehrfach ausgezeichneter Prionenforscher und leitet das Institut für Neuropathologie an der Universität Zürich.
6 Kommentare
Tatsache ist, dass das Coronavirus unbekannt, also ein Novum darstellt für: Forschung, Medizin und somit die gesamte Menschheit. Erfahrungen macht die gesamte Medizin und Forschung also erst durch Reaktionen an Menschen, vielen Menschen, welche das Virus auslöst. Mittlerweile ist ua - aus gemachten Erfahrungen - bekannt, welche "Menschengruppen" speziell bis tödlich betroffen sind.
Logisch ist deshalb auch, dass sich - betreffend Ansteckungsgefahren - die massiv überbevölkerte Welt, bewusst "isoliert". Den aktiven Lebens-Berufs-Alltag herunterfahren und sich adäquat und "en distance" gegenüber andern Menschen verhalten, bewegen. Ruhe und Disziplin sind unbedingt einzuhalten.
Pandemie Plan heisst was zu tun ist wenn z.B. ein stark ansteckender Virus im Land/Kontinent oder Welt aktiv wird.
Bei diesen Überlegungen geht es einerseits die Wirtschaft zu erhalten versus Quarantäne des Volkes. Es gibt dazu das Vorgehen der Salamitaktik oder des Ende des Schreckens anstatt das Schrecken ohne Ende. Das es so oder so wirtschafliche Verluste gibt ist zweifelsohne. So versucht man mit der Salamitaktik dies soweit als möglich zu minimieren was aber langfristig logischerweise auf die erhöhte Ansteckungsgefahr des Volkes geht. Es gibt sicher viele die sagen warum Abwarten wenn es sowieso wie anderswo erfahren nicht zu verhindern ist. Andere denken das Unternehmen und Wirtschaftssystem darf nicht absinken und böse: mit Verlusten muss man halt mal rechnen.
Wie auch immer was nicht entschuldigtbar ist sind die Unstimmigkeiten einer Pandemieplanung wie zu Hause bleiben versus volle Transportmittel, fehlende Reinigungs und Schutzmaterielien etc. Letztendlich ist jeder für sich und Gott für alle.
Ich geh mal davon aus, dass man in Bern einen Beraterstab von Fachleuten hat und gemeinsam die Situation beurteilt und dann von der zuständigen Person kommuniziert wird.
Kritiker wird es immer geben, dass wissen die in Bern schon im Voraus. Die Befürworter melden sich dann oft auch gar nicht zu Wort.
Dass jetzt jeder noch seinen Senf dazu gibt und dagegen hält hilft der Situation überhaupt nicht, im Gegenteil, es spaltet die Gesellschaft anstelle die zur Kooperation zu einen.
Es ist egal, was der Bundesrat oder eine andere Behörde, beschliesst. Es gibt immer jemand, der es kritisiert - unnötig, zu spät, zu lasch, zu hart... und auch immer jemand, der das Gegenteil sagt.