Gutachter attestiert Long-Covid-Patientin psychische Störung
Eine 39-jährige Frau leidet an den Folgen einer Corona-Erkrankung. Nach einem Jahr verlangt die Versicherung eine Begutachtung. Doch der Vertrauensarzt sagt, ihre Beschwerden seien nur eingebildet.
Veröffentlicht am 6. Mai 2021 - 17:37 Uhr
Nicole Hofer* (Name geändert) will ihre Geschichte unbedingt erzählen. Um andere zu warnen und um zu zeigen, wie grotesk ein Fall werden kann, der nur etwas gesunden Menschenverstand, ärztliche Unterstützung und arbeitgeberisches Mitgefühl verlangt. Ihre Ärzte stehen hinter ihr, ebenso ihre Chefinnen. Nur der Gutachter macht ihr einen Strich durch die Rechnung.
Vor ihrer Erkrankung fuhr Nicole Hofer täglich mit dem Velo 15 Kilometer zur Arbeit, schwamm regelmässig und wanderte viel. Heute schafft sie höchstens zehn Minuten Velofahren auf dem Hometrainer.
Hofers Geschichte beginnt Anfang März 2020, als die 39-jährige Biologin ihren Osteopathen wegen eines blockierten Nackenwirbels aufsuchte. Die Therapie dauerte 60 Minuten in einem kleinen Zimmer. Beide trugen keine Maske – wie das ganz zu Beginn der Pandemie üblich war.
Wenige Tage danach kommt eine Mail: Ihr Therapeut ist positiv auf Covid-19 getestet worden. Hofer begibt sich sofort in Quarantäne. Sie lebt allein, eine Nachbarin stellt das Essen vor die Tür. Eine Woche später bekommt sie Fieber und Husten. Ein Test wird nicht gemacht; zu dieser Zeit stehen zu wenige zur Verfügung.
«Ich war total reduziert»
Im April fängt sie wieder an zu arbeiten, doch ihr Zustand verschlechtert sich plötzlich. Lähmende Müdigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Schmerzen auf der Lunge sowie ein Stechen im Brustkorb. Ihre Ärztin schreibt sie Mitte Mai rückwirkend und bis Juli zu 100 Prozent krank. Eine Lungenärztin und ein Kardiologe bestätigen Long Covid. Hofer hat im ganzen Körper Mikroembolien. Sie sei nur noch auf dem Sofa gelegen, konnte weder lesen noch fernsehen. «Ich war total reduziert.»
Ab Ende Juli arbeitet sie wieder 50 Prozent. Seither geht es nur langsam aufwärts, immer wieder unterbrochen von Rückschlägen. Im Februar ist Hofer bei 70 von ursprünglich 80 Prozent. Die Prognose ist positiv, ihre Chefinnen möchten sie unbedingt behalten und unterstützen sie in allen Belangen. Für die Biologin hat die Zeit auf dem Feld angefangen, sie muss Naturschutzgebiete überprüfen, Pflanzen sammeln, viel gehen. Sehr anstrengend. «Aber ich bin guten Mutes», sagt sie.
Umso wichtiger, als die Krankentaggeldversicherung sie im März 2021 für ein Gutachten aufbietet. Der Gutachter teilt ihr nach einer sechsstündigen Marathonsitzung mit, ihre Ärzte seien unfähig und hätten ihr Long Covid nur eingeredet, sie habe eine Anpassungsstörung. Long Covid gebe es gar nicht. Er droht mit der Einstellung der Zahlungen. Sie müsse zum Psychiater.
Dort wird sie verstanden. Der Psychiater bescheinigt ihr, dass sie «psychisch vollkommen gesund ist und keine emotionale Anpassungsstörung hat». Hofer wartet nun auf den abschliessenden Bericht. Wenn er negativ ausfällt, wird sie vor Gericht ziehen.
15 Kommentare
es sollte jeder sofort hilfe bekommen - nicht nur mit worten, sondern mit geld
gerne übermittle ich mein konto - ich leide unter covid, meinen geldsorgen - und jeder sollte mir helfen, jetzt.
Nun anhand dieses Artikels möchte ich kein Urteil abgeben, da sind zu wenige Informationen enthalten. Ich arbeite als Case Managerin mit Taggeldversicherungen und vor allem Betroffenen, auch von Covid. Die Krankheit stelle ich nicht in Frage, nur erlebe ich, dass bei vielen Patienten grosse Ängste geschürt werden. Die Berichterstattung und die Tatsache, dass die Krankheit zu wenig erforscht, trägt dazu bei. Es fehlt die Sicherheit. Ob im Gutachten tatsächlich steht, dass sie sich das alles nur einbildet, wage ich zu bezweifeln, wobei es tatsächlich sehr unempathische Gutachter gibt. Dagegen sollten sich Betroffene wehren. Menschen mit Langzeitdiagnosen entwickeln mitunter zusätzlich psychosomatische Symptome, die unglaubliche Ausmasse annehmen können, und die aber überhaupt nicht eingebildet sind. Es fehlt lediglich ein medizinisch nachweisbarer Befund. Und das macht eine Einschätzung tatsächlich schwer. Das ist nicht nur bei den Covid- Folgen so. Unser System funktioniert immer ganzheitlich (somatisch, neurologisch, psychologisch), alles hängt zusammen. Es gibt unzählig andere Krankheiten, bei denen das so ist. Das darf man nicht vergessen! Das wissen Betroffene von IV Entscheiden nur zu gut.
Ich habe zum Beispiel mit Menschen mit Pfeifferschen Drüsenfieber gearbeitet, die zum Teil Monate oder gar Jahre nicht mehr auf den "Damm" gekommen sind, mit Burnoutfolgen etc. Nur gibt es kein "Long-" dazu. Ich habe aber deutlich gesagt, die Folgen gibt es!
Habe einen ähnlichen Fall im Bekanntenkreis erlebt: Eine ehemals sehr sportliche 13-jährige Schülerin erkrankte im April 2020 und wurde damals nicht getestet. Sie leidet heute noch an Long Covid, wird aber nicht anerkannt, da die Krankheit damals nicht offiziell diagnostiziert wurde. Ihrer Mutter wurde von den Kinderärzten mitgeteilt, das Mädchen sei in der Pubertät und würde "simulieren". Dies u.a. in der akuten Krankheitsphase, als die Tochter nicht mehr alleine aufstehen konnte. Monate später ist sie bei einem Schwimmversuch beinahe ertrunken und musste wiederbelebt werden. Es ist unglaublich, aber leider wahr...
Ein Diplom ist noch KEIN Garant für effektive EIGNUNG zu einer Berufsausübung = die Krux mit psychiatrischen/psychologischen Gutachtern/Gutachterinnen.....wer eignet sich effektiv und wer eben nicht....