Drogen waren noch nie so einfach zu haben
Kokain, Ecstasy und LSD – diskret und schnell nach Hause geliefert. Ein aktueller Gerichtsfall gibt Einblick in das verschwiegene Geschäft der Drogenhändler, das sich zunehmend auf Telegram und Co. verlagert.
Veröffentlicht am 31. Dezember 2022 - 22:00 Uhr
Es war ein ungewöhnlich regnerischer und kühler Dienstagabend im April 2020, als der Polizei ein seltener Fang gelang. Mitten in Zürich, in der Nähe des Schaffhauserplatzes, verhaftete sie einen 29-jährigen Schweizer, der mit einem roten Opel Astra mit Waadtländer Kennzeichen unterwegs war.
Im Rucksack auf dem Beifahrersitz hatte er so viele Drogen dabei, um einen ganzen Rave in Ekstase zu versetzen. Die Polizisten zählten insgesamt 14 illegale Substanzen, darunter 323 MDMA-Pillen, 93 LSD-Blotter sowie über 400 Gramm Liquid Ecstasy. So steht es in einer bislang unveröffentlichten Anklageschrift, die dem Beobachter und der NZZ am Sonntag vorliegt.
Dass der Polizei der Fahndungserfolg gelang, lag am Auftraggeber des Mannes: dem wohl grössten Schweizer Online-Drogenlieferdienst, damals unter dem Namen «Vitamin Taube» bekannt. Der Mann war als Kurier unterwegs und versorgte Kunden, die den Stoff online bestellt hatten.
Einfache Beschaffung
Die «Vitamin Taube» operierte über den Messenger-Dienst Telegram. In einer öffentlichen Gruppe boten die Händler eine so breite Palette Drogen an, als verkauften sie Süssigkeiten. Von Haschisch über Kokain und Ketamin bis hin zu Opium war fast alles zu haben. Geliefert wurde per Post oder Kurier, bezahlt mit Bitcoin oder bar. Bei grösseren Bestellungen winkte ein Mengenrabatt.
Der Fall illustriert, wie rasant sich der Drogenhandel verändert. Nie war es einfacher, an Stoff zu kommen. Keine Dealer in dunklen Parks, keine mühsamen Reisen ins Darknet , die technisches Wissen erfordern. Ein paar Klicks reichen.
Die neuen Online-Drogenlieferdienste – «Vitamin Taube» hat zahlreiche Nachahmer – funktionieren fast so intuitiv wie Zalando oder Uber Eats. Inklusive Rezensionen zu den verkauften Substanzen und Kundenservice, falls Fragen zur Bestellung auftauchen. Es gibt gar vollautomatisierte Bots, die eine Bestellung koordinieren. In Frankreich werden die Dienste darum auch Kokain-Callcenter genannt.
«Wer bessergestellt ist, lässt nach Hause liefern. Dort ist man unbeobachtet.»
Frank Zobel, Suchtforscher
«Der heutige Drogenmarkt widerspiegelt die Globalisierung, Digitalisierung und ‹Uberisierung› unserer Gesellschaft», sagt Suchtforscher Frank Zobel, der die Schweizer Drogenszene seit Jahren untersucht. Er hat an einer kürzlich veröffentlichten europaweiten Umfrage zum Drogenkonsum mitgewirkt und dabei den Schweizer Markt analysiert. Dabei ging es auch um die Beschaffungspraxis.
Seine Ergebnisse zeigen: Rund ein Drittel der befragten Konsumentinnen und Konsumenten gab an, sich die Drogen nach Hause liefern zu lassen. Die Zahlen variieren je nach Substanz stark. Kokain ist besonders beliebt für Home Delivery, Ecstasy und Amphetamine etwas weniger.
«Die Heimlieferungen werden weiter zunehmen», sagt Suchtforscher Zobel. Es seien fast nur noch Intensiv-Drogenkonsumierende, die sich die Substanzen auf der Strasse beschafften. «Wer bessergestellt ist, lässt nach Hause liefern. Dort ist man unbeobachtet.» Gebildete und wohlhabende Konsumierende würden Drogen oft nur in der Freizeit einnehmen und den Konsum planen. «Sie kaufen in der Tendenz grössere Mengen als Randständige, konsumieren aber nicht alles auf einmal.»
«Aktuell geben bei uns 16 Prozent an, Drogen online zu kaufen.»
Dominique Schori, Leiter Drogeninformationszentrum in Zürich (DIZ)
Kaum Daten gibt es aber zur Frage, wo die Drogen gekauft werden. Etwas Einblick hat Dominique Schori. Er leitet das Drogeninformationszentrum in Zürich (DIZ), das ein kostenloses Drug Checking anbietet, um einen möglichst risikoarmen Konsum zu ermöglichen.
Im obligatorischen Beratungsgespräch fragen die DIZ-Mitarbeitenden auch nach den Einkaufskanälen und werten die Antworten statistisch aus. Käufe über soziale Medien haben danach jährlich rund drei Prozent zugenommen, sagt Schori. «Aktuell geben bei uns 16 Prozent an, Drogen online zu kaufen.» Die Dunkelziffer sei aber riesig, ergänzt er. «Wir kennen nur die Angaben der Konsumierenden. Es ist aber sehr plausibel, dass sich der Zwischenhandel vermehrt in den Online-Bereich verlagert hat.»
Verdeckte Fahndungen
Für die Polizei ist diese Entwicklung eine enorme Herausforderung. Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, wo «Vitamin Taube» ebenfalls aktiv war, schreibt auf Anfrage: Man habe «umfangreiche Untersuchungen» durchgeführt, musste das Verfahren aber im Herbst 2021 «zufolge unbekannter Täterschaft» sistieren.
In Zürich ist der 29-Jährige erst der zweite Angeklagte aus dem Fall «Vitamin Taube». Im Frühling 2021 hatte das Zürcher Bezirksgericht eine rumänische Kurierin verurteilt. «Sie war nicht viel mehr als eine Lieferantin, eine Brieftaube», wurde ihr Anwalt damals im Tages-Anzeiger zitiert.
«Wir machen verdeckte Fahndungen, kaufen also selbst Substanzen, um so an die Händler zu kommen.»
Serdar Günal Rütsche, Leiter Cybercrime-Abteilung Zürcher Kantonspolizei
«Auch die kleinen Fälle sind für uns wichtig, um ein Zeichen zu setzen», sagt Serdar Günal Rütsche, der Kopf hinter den Zürcher Ermittlungen. Der Polizist in Turnschuhen und Jeans ist gelernter Informatiker und leitet die Cybercrime-Abteilung der Kantonspolizei.
Wie seine Truppe konkret vorgeht, will Günal Rütsche aus ermittlungstaktischen Gründen nicht verraten. Nur so viel: «Wir machen verdeckte Fahndungen, kaufen also selbst Substanzen, um so an die Händler zu kommen.» Man könne aber nicht erwarten, dass die Polizei in der Lage sei, alle Telegram-Gruppen auszuheben, in denen Drogen verkauft werden. Es sei letztlich eine Frage der Ressourcen.
Wie aus dem letzten Jahresbericht hervorgeht, arbeiten 75 der 3900 Kantonspolizisten für die Abteilung Cybercrime, die sich auch mit Pädokriminalität im Internet und Hacking-Attacken befassen muss.
Günal Rütsche appelliert denn auch an die Verantwortung der Plattformbetreiber. Neben Telegram auch an Instagram, Facebook und Snapchat, wo ebenfalls Drogen verkauft werden. «Die Betreiber sehen viel besser, was bei ihnen passiert, und sollten die Geschäfte krimineller Netzwerke unterbinden und der Polizei melden.» Dazu brauche es mehr gesetzliche Regulierung, wonach die Nutzer verbindlich identifiziert werden müssen, wie beispielsweise bei Finanzplattformen.
Riskant ist es für die Kuriere
Von der aktuellen Situation profitieren vor allem die Drogenhändler. Für sie ist das Geschäft im Netz mit weniger Risiko verbunden. Es ist anonymer als die Strasse. Die Kuriere werden direkt auf Telegram angeworben, die eigentlichen Drahtzieher kriegen sie nie zu Gesicht. Die Drogen selbst werden entweder per Post zugeschickt oder «an speziell bezeichneten Abholorten» hinterlegt, heisst es in der aktuellen Anklageschrift.
Auch die Konsumierenden müssen kaum etwas befürchten: «Wir fokussieren im Online-Geschäft ausschliesslich auf die Anbieter», sagt Günal Rütsche. Es sei nicht die Aufgabe der Strafverfolgung, das gesellschaftliche Problem des Drogenkonsums zu lösen.
Das Risiko tragen die Kuriere. Bei Verdienstmöglichkeiten, die verlockend sind. Der beschuldigte Dealer kassierte in 39 Tagen 22'952 Franken netto. Vom Gewinn dürfte ihm allerdings nichts übrig bleiben. Der Staatsanwalt fordert zwei Jahre bedingt und eine fünfstellige Geldstrafe. Mitte Januar wird das Zürcher Bezirksgericht sein Urteil fällen.
Der Fall «Vitamin Taube» zeigt auch, wie flexibel Kurierdienste auf die Strafverfahren reagieren. Nach den beiden Verhaftungen in Zürich verschwand das «Täubchen» für einige Zeit von der Bildfläche, um dann vor wenigen Monaten unter neuem Namen wieder aufzutauchen. Darauf deutet ein Werbeschreiben hin, das mit Sonderangeboten lockt und per Post an ehemalige Kunden verschickt wurde. Der Titel lautet: «Back in the Game».
Anlaufstellen für Drogensüchtige und Angehörige
Sie möchten mehr wissen oder kennen jemanden mit einem problematischen Drogenkonsum?
- Safezone ist eine Online-Beratungsstelle, an die sich Drogenkonsumentinnen und -konsumenten anonym wenden können: www.safezone.ch
- Der Verein eve&rave setzt sich für einen risikobewussten und selbstverantwortlichen Umgang mit Drogen ein: www.eve-rave.ch
- Für Angehörige von Suchterkrankten gibts die Anlaufstelle Ada: www.ada-zh.ch
- Infos zu Drogen und Sucht bietet die Fachstelle Infodrog: www.infodrog.ch
Das Neuste aus unserem Heft und hilfreiche Ratgeber-Artikel für den Alltag – die wichtigsten Beobachter-Inhalte aus Print und Digital.
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2 Kommentare
Strafen für Drogen-Produktion, Verkauf, Kauf...., sind viel zu human!
Mehr abschreckende, langjährige Gefängnis-Strafen sind längst notwendig....! Bundesamt für Justiz ....???
Frau Casagrande: Dass das schwarz/weiss- Denken, und Alle in den gleichen Topf werfen in der Drogenpolitik einfach nicht funktioniert, weiss man inzwischen schon seit (bald) Jahrzehnten... Dies liegt in der teuflischen Natur der Sache - der Sucht, und dem entsprechenden (Sucht-) Verhalten, dass es nach sich zieht...
Wirklich verstehen können das leider meist nur jene, die selbst schon "darin gefangen" waren. Für sie funktioniert schwarz/weiss schlicht nicht und aber es sind auch die Ersten, die sofort und auf der Stelle den berühmten Schnitt machen würden. Wenn es denn so einfach wäre...
- Daneben bin aber auch ich der Meinung, dass diejenigen, die das Zeug's nur des Profits wegen verkaufen (also mit Sucht gar nichts am Hut haben), ruhig härter angefasst werden sollten!