Wenn ich Küchenabfälle entsorgen will, führt das schnell mal zu einem Zwischensprint. Der Kompost steht ganz zuhinterst in unserem Garten – und der Weg dorthin führt vorbei an Rosen, Minzen, Wegwarten, Ochsenaugen, Rainfarn, einem Zwetschgen- und zwei Birnenbäumchen.

Sitzt dann ein spannendes Tierchen auf einer Blüte, muss der Kompost warten. Ich stelle das Kesseli auf den Boden, renne zurück in die Stube und schnappe mir den Fotoapparat.

Man könnte mich als Insektenjäger bezeichnen. Mein Revier ist der Garten, meine Waffe eine Kamera mit Makroobjektiv und Ringblitz. Kein Tierchen ist vor mir sicher. Ich spüre Rindenwanzen auf, die flach wie Flundern auf der Rinde der 250-jährigen Linde liegen. Ich lauere vor einer Pfingstrose, bis eine Blattschneiderbiene aufkreuzt, mit ihren Mundwerkzeugen ein Stück aus einem Blatt schneidet und es als Tapete in ihr Nest zurückträgt.

Partnerinhalte
 
 
 
 

Und ich warte darauf, dass sich für einen Moment einer meiner Lieblinge auf ein Blatt oder eine Blüte setzt – eine Schwebfliege.

Ihren Namen tragen Schwebfliegen ihrer Flugkünste wegen: Mit bis zu 300 Flügelschlägen pro Sekunde können sie kolibrigleich in der Luft stehen bleiben. Wenn ich mich ihnen nähere, beschleunigen sie blitzartig – und sind weg. Ob sie vorwärts oder rückwärts manövrieren, scheint ihnen einerlei.

Manche Arten beherrschen sogar die Disziplin des Langstreckenflugs: Sie wandern im Herbst von Mitteleuropa über die Alpen in die Mittelmeerregion. Im Frühjahr fliegen die Nachkommen wieder zurück in unsere Gefilde.

480 Schwebfliegenarten gibts in der Schweiz, über 70 davon leben in meinem Garten.

Trotz solcher Leistungen stehen Schwebfliegen nicht besonders hoch im Kurs. Sie fliegen selbst unter dem Radar von Insektenkundlern hindurch. Es gibt nur wenige Expertinnen und Experten, die sich mit dieser Tiergruppe auskennen. In der Schweiz sind rund 480 Arten bekannt. Über 70 davon habe ich in meinem Garten gefunden, fotografiert und bestimmt.

Gelb-Schwarz sieht gefährlich aus

Manche Arten sind häufig. Die Hainschwebfliege (Episyrphus balteatus) sehe ich praktisch täglich. Sie ist sogar an warmen Wintertagen aktiv. Andere fliegen nur für ein paar Wochen im Jahr oder sind so klein, dass man sie leicht übersieht.

Manche sind wohl einmalige Zufallsfunde: Eines Sommers tat sich für ein paar Tage eine wunderschöne, goldene Schwebfliege an den Blüten meiner Karden gütlich. Es gelangen mir ein paar (mittelprächtige) Bilder von der Callicera aurata. Die Art hat keinen deutschen Namen. In den letzten 25 Jahren wurden nur ein Dutzend Funde gemeldet.

Wenn Schwebfliegen Fussballfans wären, würden sie auf die Berner Young Boys fliegen. Viele Arten sind gelb-schwarz gefärbt. Wer ein solches Tier sieht und nicht erkennt, schreckt automatisch zurück. Genau das ist die Absicht: Schwebfliegen haben keinen Giftstachel. Indem sie sich als Wespen ausgeben, manchmal auch als Honigbienen, Hummeln oder Hornissen, erscheinen sie wehrhafter, als sie sind.

Kleine Helfer bei der Rosenzucht

Dass sich in meinem Garten Umweltexperten im Interview «Man muss den Garten nicht gleich umgraben» derart viele Schwebfliegen finden lassen, hat einen Grund: Ich pützle nicht, habe keinen englischen Rasen, lasse auch Pflanzen blühen, die andere als Unkräuter betiteln. Die Flugkünstler danken es mir mehrfach: Schwebfliegen gelten nach den Bienen als zweitwichtigste Bestäuber von Blütenpflanzen.

Zudem sind die Larven vieler Arten darauf spezialisiert, Blattläuse zu vertilgen. Eine Hainschwebfliegen-Larve frisst im Lauf ihrer ein- bis zweiwöchigen Entwicklungszeit mehrere Hundert Blattläuse. Um solche Verbündete bin ich jeden Frühling froh, wenn die Bohnenpflänzchen und Rosentriebe noch zart und anfällig sind.

Die Larven anderer Arten, etwa der häufigen Mistbiene (Eristalis tenax), entwickeln sich in Pfützen, Güllelöchern, Miststöcken oder im Kompost. Dort filtern sie Bakterien und faulende Pflanzenteile aus dem Wasser. So helfen sie mit, dass die Welt nicht im Dreck erstickt.

Wieder andere Larven entwickeln sich im Mulm, dem krümeligen Totholzmaterial in Baumstrünken oder -höhlen. Weil wir Menschen alte oder abgestorbene Bäume gerne säuberlich entfernen, sind viele dieser Totholz-Arten, zu denen auch die schöne Callicera aurata zählt, selten geworden.

Die Weibchen der Hornissenschwebfliege dringen zur Eiablage in Hornissennester vor – ein lebensgefährliches ­Unterfangen.

Und nochmal andere Larven leben als Untermieter in Nestern von Ameisen oder anderen sozial lebenden Insekten Schweizer Insekten «Sie sind die wahren Helden der Natur» und ernähren sich von deren Abfällen. Die Weibchen der Hornissenschwebfliege Volucella zonaria, einer der grössten Schwebfliegen hierzulande, dringen zur Eiablage sogar in Wespen- oder Hornissennester vor – ein lebensgefährliches Unterfangen. Möglich ist das nur, weil sie von der Grösse und Färbung her einer Hornisse ähneln.

Wie andere Insekten leiden Schwebfliegen darunter, dass der Mensch ihre Lebensräume Honigbienen verdrängen Wildbienen Was Bienenschützer wissen müssen verkleinert, verändert und verschlechtert. Studien in Deutschland fanden bei der Anzahl Tiere Rückgänge um bis zu 90 Prozent. Umso mehr freut mich ihre Vielfalt in unserem Garten, denn sie zeigt: Wo etwas Unordnung erlaubt ist, dort spielt das Leben.