«Man muss den Garten nicht gleich umgraben»
Naturnahe Gärten fördern die Artenvielfalt. Wie man ein Wildblumenparadies erschafft, wissen die beiden Umweltexperten Patrick Fischer und Stefan Nänni.
Veröffentlicht am 16. März 2020 - 14:58 Uhr
Fährt man über Land, präsentieren sich ganze Gegenden in einem öden, unifarbenen Grün: Wie schlecht ist es um die Biodiversität in der Schweiz bestellt?
Stefan Nänni: Sehr schlecht, das zeigt eine Untersuchung des Bundesamts für Umwelt aus dem Jahr 2017. Sie hat unter anderem ergeben, dass es praktisch nirgends mehr Restflächen gibt, die der Natur überlassen werden. Hierzulande wird jeder Quadratmeter genutzt, gemäht, gepflügt oder geschnitten.
Was beeinträchtigt die Vielfalt von Arten und Lebensräumen am stärksten?
Patrick Fischer: Die Landwirtschaft mit ihren Pestiziden
, Kunstdüngern und Monokulturen. Jetzt hat man begonnen, Brachflächen anzulegen und mit verschiedenen einheimischen Pflanzen einzusäen, um die Biodiversität ein bisschen zu fördern. Auch der Siedlungsbrei trägt wesentlich zur Zerstörung der Artenvielfalt bei. Die Bautätigkeit ist hoch, und die paar wenigen Restflächen, die wir noch haben, werden oft zu häufig gemäht oder zu stark gedüngt.
Wo ist die Biodiversität grösser, in der Stadt oder auf dem Land?
Nänni: Im Mittelland, wo es viel Landwirtschaft gibt, ist sie in den Städten und Agglomerationen zum Teil grösser. Das Bewusstsein für naturnahes Gärtnern ist dort zwar noch nicht sehr gross, aber besser als noch vor einigen Jahren. Dazu hat auch Mission B beigetragen, die Aktion für mehr Biodiversität, die 2019 vom SRF gestartet wurde und die unter anderem vom WWF unterstützt wird. Einige wurden hellhörig und haben im Kleinen begonnen, die Artenvielfalt zu fördern.
Wie kann man aus einem langweiligen Garten einen naturnahen machen?
Nänni: Als Erstes braucht es eine Analyse: Ist der Standort trocken, gut besonnt oder liegt er eher im Schatten? Ist der Garten am Hang oder topfeben? Je nach Gelände braucht es andere Pflanzen. Wachsen im Garten
einheimische Pflanzen oder vor allem Exoten? Falls Letzteres zutrifft, müssen die exotischen Pflanzen mit einheimischen ergänzt oder ersetzt werden – vor allem wenn es Exoten sind, die sich rasch vermehren, sogenannte invasive Neophyten.
Gartenanalyse, das tönt nach Rat von Fachleuten.
Nänni: Manche können eine Analyse durchaus selber machen. Es gibt viele gute Bücher, und auch im Internet findet man Rat. Andere aber brauchen Hilfe von einer Fachperson, manchmal reichen bereits zwei, drei Stunden, um sich zu zweit einen Überblick zu verschaffen und ein Konzept zu machen.
Wie geht es danach weiter?
Nänni: Man muss den Garten nicht gleich umgraben und neu gestalten. Es gibt eine viel einfachere Variante. Am besten beginnt man damit, einen Teil des Rasens nicht mehr zu mähen, und schaut, was wächst. Weil eine Wildblumenwiese sehr langsam entsteht, aber nicht alle so viel Geduld haben, kann man mit Wildblumenpflanzen nachhelfen, die man in den Rasen setzt, oder man trägt vom Rasen Streifen ab und sät Wildblumensamen ein. Nach und nach überlässt man dann weitere Gebiete des Gartens sich selbst, schneidet verblühte Pflanzen nicht sofort zurück, sondern lässt sie eine Weile stehen, damit Insekten dort ihre Eier ablegen können. Der Rasen wird nur noch dort gemäht, wo die Kinder spielen, den Rest lässt man in Ruhe. Wenn eine Wildblumenwiese zu wachsen beginnt, kann man mit Ästen und mit Steinen Haufen machen, als Unterschlupf für Insekten und Amphibien. Und Brennholzbeigen sind ideale Igelgaragen.
Fischer: Offene Flächen mit lehmiger Erde gefallen Wespenarten und den Vögeln. Wildbienen
mögen Sand- oder Kiesinseln. Von den rund 600 Wildbienenarten, die wir in der Schweiz kennen, leben über 500 im Sand, im Kies oder in der Erde. Die Inseln kann man gut den Hausfassaden entlang anlegen, wo meist nichts wächst. Dazu setzt man Pflanzen, die die Insekten brauchen, man kann sich gut selber schlaumachen. Wichtig ist, dass es einheimische und vor allem standortgerechte Pflanzen sind. Wer nicht weiss, welche Pflanzengemeinschaften welche Standorte lieben, holt in einem Naturgarten-Fachbetrieb Rat.
Nänni: In einen naturnahen Garten gehören auch immer einheimische Sträucher mit Früchten
und Beeren, die liefern unseren Vögeln Futter. Auch Insekten und Larven ernähren sich von den Sträuchern und legen dort ihre Eier ab.
Was ist mit Schädlingen? Soll man sie der Biodiversität zuliebe leben lassen?
Nänni: Ja sicher, es geht keine Pflanze kaputt, nur weil sie voller Läuse ist. Sie ist nur ein bisschen geschwächt, zudem verschwinden die Läuse von selber wieder. Es ist wie bei uns: Geht es uns gut, sind wir weniger krank. Gärtnerinnen und Gärtner müssen also darauf achten, dass sich ihre Pflanzen wohlfühlen. Ist eine trotzdem von Schädlingen befallen, gilt es zu überlegen, welche Nützlinge ihnen den Garaus machen können – die Natur hat für alles vorgesorgt. Bevor man als allerletzte Lösung zum biologischen Schädlingsbekämpfungsmittel greift, heisst es erst mal, einiges zu überlegen. Zum Beispiel, ob die Nährstoffversorgung des Bodens stimmt oder ob die Pflanzen richtig geschnitten sind.
Der Garten wird am besten mit Regenwasser gegossen. Was aber macht man in heissen, regenarmen Sommern?
Nänni: Viele Leute glauben, jede Pflanze müsse täglich gegossen werden. Das ist nicht so. Wachsen im Garten standortgerechte Pflanzen, brauchen sie nur in den ersten zwei, drei Jahren, bis sie richtig angewurzelt sind, regelmässig Wasser. Danach nicht mehr.
Fischer: Wenn man etwa dem Rasen immer wieder Wasser gibt, wachsen seine Wurzeln auf der Suche nach Feuchtigkeit nicht in die Tiefe. Den Rasen kann man ruhig austrocknen lassen, der erholt sich wieder.
Nänni: Nach vier Wochen bei 30 Grad ist der Garten nicht mehr attraktiv, er wird langsam braun. Die Pflanzen rollen ihre Blätter ein, damit nicht mehr so viel Feuchtigkeit verdunstet, das ist normal. Will man in Hitzesommern einen sattgrünen Garten haben, kommt man mit Giessen gar nicht mehr nach.
Darf man den naturnahen Garten düngen?
Fischer: Wachsen im Garten standortgerechte Pflanzen, braucht es keinen Dünger. Nur im Gemüsegarten muss man dem Boden wieder zurückgeben, was man ihm mit dem Gemüse
entnimmt.
Nänni: Aber nicht mit Kunstdünger. Gut sind Kompost, Hornspäne, Stroh oder Lauberde. Wer einen Gemüsegarten hat, recht im Herbst das Laub in die Beete, statt es abzuführen. Laub liegen zu lassen, gibt dem Boden Nährstoffe. Aber auch wer keinen Gemüsegarten hat, kann den zusammengerechten Laubhaufen liegen lassen, als Spielplatz für die Kinder.
«Den Rasen kann man austrocknen lassen, der erholt sich wieder.»
«Gegen Schädlinge gibts Nützlinge: Die Natur hat für alles vorgesorgt.»
Der Frühling ist nebst dem Herbst die beste Jahreszeit, um mit dem naturnahen Gärtnern zu beginnen. Das kann man jetzt tun:
- Sobald es wärmer wird, in Gärtnereien Bienenweiden und Insektenpflanzen kaufen und in den Garten setzen. Bienenweiden sind etwa Wilder Majoran, Natternkopf, Kriechender Günsel, Johanniskraut, Wilde Karde, Wegwarte und Färberkamille. Wichtig: Die Pflanzen müssen einheimisch sein und standortgerecht. Wer eine Königskerze in eine schattige Ecke pflanzt, tut ihr keinen Gefallen, die Pflanze liebt Sonne.
- Sind noch nicht alle Sträucher oder Bäume geschnitten, das Schnittgut zu Haufen stapeln, als Lebensraum für Tiere.
- Liegen in einer Ecke alte Platten, können daraus zusammen mit Erde Haufen mit Hohlräumen gebaut werden.
- Exoten, zum Beispiel Kirschlorbeer, durch einheimische Pflanzen und Stauden ersetzen.
- Vom Rasen streifenweise Gras abtragen und in die Erde Blumenwiesensamen einsäen. Das Saatgut soll einheimisch sein, mit einheimischen Gräsern . Manche Mischungen enthalten exotische Gräser.
- Der ganze Rasen soll eine Wildblumenwiese werden? Hundert Wildblumenpflanzen kaufen und sie in den Rasen setzen.
Infos: Auf www.gartencheck.ch zeigt ein interaktiver Fragebogen, wie naturnah der eigene Garten ist. Auf www.floretia.ch findet man einheimische Pflanzen für alle Standorte.